Natürlich sind wir auf der 'anderen Seite der Macht', denn wir sind Clubberer oder Schalker, Stuttgarter oder Frankfurter - alles eben 'außer Bayern' (= Imperium). Und egal ob man nun eher oben oder eher unten rumspielt, mal wieder ne Ehrenrunde Paderborn und zurück nimmt, oder ab und an sogar mal ne Hand an irgendeinen Pott bekommt, alles ist eben nicht so wie in München, denn München will nicht mal nen Titel, sondern man beansprucht sie alle und das einfach immer.

Verfolgte man die Diskussion um Manuel Neuer, so schienen bisweilen sogar Dortmund-Fans zu hoffen (natürlich inkognito), dass der vermeintlich derzeit beste deutsche Torwart bei seinem Club bleibt, sogar wenn dies Herne West bedeuten mochte. Denn die Story von Neuer, geboren in Gelsenkirchen-Buer, dem Jungen aus der Fankurve ist eine Abgesang auf Fußball-Romantik, denn der einst bekennende Ultra, der es auf den Platz geschafft hatte, und der nicht nur dem Verein, sondern einer ganzen Region Stolz und Würde bedeutete, geht zum Klassenfeind nach München.

Es sind genug der Worte und Meinungen zu lesen, allein 418 Seiten auf Transfermarkt.de seit dem Gerücht vom Oktober 2009, warum also noch eine dazu? Weil auch ein Clubberer, wie ich, einmal Verständnis äußern muss - sogar wenn es um Neuer und die Bayern geht.

Wer - wie ich - Woche für Woche auf den Jugend-Fußball-Plätzen dieser Welt gastiert und allein am verlängerten letzten Wochenende an 3 der 4 Tage mehrstündige F-Jugend-Turniere verfolgen (respektive aushalten bei der Hitze) musste, kann nicht umhin zu verstehen, dass ein Fußballer vor allem eines will: Titel. Von Kindesbeinen an ist es doch das Größte, bei der Siegerehrung als Letzter aufgerufen zu werden, es ist das Ziel des Spiels zu gewinnen, den Pokal in Händen zu halten, ganz oben zu stehen in der Tabelle. Alles andere, was gerade im Kinder- und Jugendbereich als Maxime ausgegeben wird (Stichworte: kein zu früher Leistungsdruck, mehr Spielen als Wettkämpfen etc.) sind pädagogisch sinnvolle und wichtige Vorgaben als Korrektiv - aber wer nur einmal auf einem Kindergeburtstag selbstgebastelte Medaillen für den Sieger ausgegeben hat, weiß, dass sogar eine Bronze-Medaille für den dritten Platz (bei drei teilnehmenden Mannschaften) wie eine Beute nach Hause geschleppt wird. Die meisten Fußball-Kids, die ich kenne, sind keine Olympioniken, denen die Teilnahme allein schon genügt, sondern wollen Siege und Titel - und das zeichnet auch den Sport aus, das motiviert eigene Grenzen zu überwinden, dieser Ehrgeiz fördert Leistung.

Ist im Kinder-/Jugendbereich noch dafür zu sorgen, dass dieser Ehrgeiz nicht zu Schaden führt, ist dies im Leistungssport sogar die notwendige Triebkraft: Ehrgeiz, Siegeswille, nur damit kommt ein Spieler wirklich immer weiter und weiter, so weit das Talent und sein Körper ihn das erlauben. Was sich aber zwischen den Jungs in zu großen Hosen am Halbfeld nicht vom Endspiel im Wembley-Stadion unterscheidet: Es sind am Ende immer noch Fußball-verrückte Kids am Spielfeld, auch wenn sie nun schon Männer sind - und zum Teil sind sie ja auch vom Alter noch kaum dem Jugendfußball entsprungen.

Manuel Neuer hat diesen Ehrgeiz - und das kann man ihm nicht mal verdenken. Fußball-Romantik ist dann doch eher was für die Eltern am Spielfeldrand, die "doch auch mal die anderen" spielen lassen würden, "weil die sonst traurig sind", und für die Kiebitze beim Montagmorgentraining. Wenn es aber im Fußball hart auf hart kommt, hat man auch für den alten Haudegen im eigenen Team keine Verwendung mehr und man schüttelt auch nur den Kopf, wenn das gehandelte Talent aus Bamberg oder Saarbrücken nicht dem Ruf des "ruhmreichen FCN" folgt, sondern bei seinem Heimatverein bleiben will.

Wenn Neuer nach München wechselt, dann hat er dieses Brennen um um Titel spielen zu wollen. Und das nicht mal oder ab und zu, sondern andauernd. Und er hat auch für sich erkannt, dass man in Deutschland in der breiten Öffentlichkeit nur "was geworden ist", wenn man beim Branchenprimus landete. Da mag man drüber lamentieren, die Medien aber kennen da keine zwei Meinungen und die breite Masse folgt dem.

Daher, bei allem tief empfundenen Mitgefühl für die Schalker Enttäuschung, ich kann Neuer sehr gut verstehen, weil am Ende für einen Sportler das "zu den Besten gehören"-Wollen einfach nichts Verwerfliches ist, sondern Motivation. Aber ...

Neuer möge uns bitte auch verstehen und das scheint er auch zu tun, wenn man die letzten Interviews liest. Mit seinem Wechsel hat er sicher nichts Böses gemacht oder einen schlechten Charakter gezeigt! Nein Nein! Aber bei den Bayern spielen und geliebt werden von allen, das geht nicht. Das funktioniert vielleicht alle zwei Jahre für ein paar Wochen im weißen Trikot der Nationalmannschaft. Manuel Neuer bei Schalke hätte ein Sympathieträger für die breite Masse der Fans werden können, einer, der eben jene Fußball-Romantik als Person repräsentiert. Und der vielleicht sogar mit Schalke (deren Romantik als Verein im Übrigen auch längst bröckelt, aber das ist ein anderes Thema) den Erfolg hätte erreichen "können" - aber eben nicht beanspruchen, das ist der Unterschied.

Neuer ist nun eben Bayer, das wird ihn menschlich nicht unsympathischer machen, aber als Fan, gerade auch als Clubfan und Franke, kann man nicht umhin, den Sportler Neuer nun eben "auf der anderen Seite" zu sehen, jeden verlorenen Titel wie auch jedes Gegentore mehr als seine Paraden zu bejubeln. Das ist für Neuer nicht schlimm (wenn das Clubfans tun), sein Schritt ist sogar (dem Clubfan) verständlich, aber es muss eben auch mal gesagt werden.

Man kann manches verstehen, aber deswegen findet man es noch lange nicht gut.

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