Die Vergangenheit besiegen

Ein dominanter Center. Einer der besten Wingmen der Liga. Große Hoffnungen. Doch dann ein Rückschlag. Und der nächste. Und noch einer. Letztendlich blieb nur Enttäuschung und der traurige Gedanke "Was wäre, wenn", denn Yao Ming und Tracy McGrady konnten, von ständigen Verletzungen geplagt, nie über einen längeren Zeitraum gemeinsam auf dem Platz stehen. Der Traum vom Titel platzte, die Rockets versanken im trüben Mittelmaß. Mittlerweile haben beide Stars von einst die NBA-Bühne verlassen. Doch in Houston herrscht Aufbruchsstimmung, denn ihre Nachfolger stehen auf der Matte: Dwight Howard und James Harden wollen das schaffen, was ihren Vorgängern verwehrt blieb. Mit tatkräftiger Unterstützung des Supporting Casts um Chandler Parsons, Jeremy Lin und Ömer Asik sollen den Rockets endlich wieder große Höhenflüge gelingen.

Seit dem Playoffaus gegen OKC drehte sich alles um ein Thema: Dwight Howard. Das Front Office versammelte eine Truppe aus Verantwortlichen, aktuellen Spielern und Legenden und ging beim Center hofieren. Das klappte, denn der selbsterklärte Superman entschied sich nach einigen Tagen Bedenkzeit für die Offerte aus Houston und unterschrieb einen Max-Contract über 4 Jahre / 88 Mio. $, der eine Ausstiegsoption nach dem dritten Jahr beinhaltet.

Der Rest der Offseason wurde damit verbracht, den Kader für wenig Geld an den passenden Stellen zu ergänzen, es kamen die für Dwight obligatorischen Shooter (neben Reggie Williams die Rookies Isaiah Canaan (Pick 34) und Robert Covington (ungedraftet)), ein dringend benötigter Perimeter-Verteidiger (Ronnie Brewer), eine Option für die Rolle als Stretch-PF (Omri Casspi) und ein erfahrener Center-Veteran als Mentor (Marcus Camby). In Francisco Garcia und Aaron Brooks, die im Februar bzw. März der letzten Saison aus Sacramento gekommen waren, unterschrieben außerdem zwei Veteranen jeweils für das Minimalgehalt einen neuen Vertrag.
Der einzige Rotationsspieler, der das Team verließ, ist Carlos Delfino. Der Argentinier wurde ebenso wie Tim Ohlbrecht und James Anderson entlassen, um Gehaltskosten für die Verpflichtung von Howard zu sparen. Des Weiteren tradete man Thomas Robinson für zwei Zweitrundenpicks und die Rechte an zwei europäischen Spielern nach Portland. Missverständnis Royce White wurde freundlicherweise gegen Bezahlung von den Philadelphia 76ers aufgenommen.*

Umfeld

Durch die Verpflichtung von Dwight hat sich in der viertgrößten Stadt der USA ein Hype um die Rockets gebildet. Der Ticketverkauf läuft so gut wie noch nie, leere Sitze im Toyota Center - letztes Jahr häufiger zu beobachten - sollten der Vergangenheit angehören.
Kevin McHale lieferte ein solides Jahr als Coach ab und muss sich nicht viel vorwerfen lassen. Die Playoffs wurden trotz sehr junger Mannschaft und ständiger Veränderungen des Kaders erreicht, mehr war nicht drin. Nun steht ihm ein stärkeres und eingespielteres Team zur Verfügung, mit dem er noch deutlich mehr erreichen kann.
General Manager Daryl Morey erarbeitete sich durch den Trade für James Harden und den Sieg im Kampf um Dwight Howard den Ruf als einer der besten GMs der Liga. Damit zahlt sich seine noch nie dagewesene Form des Rebuilds, ohne Tanking und hohen Draftpicks, dafür mit Anhäufung von Trademasse ohne Skrupel vor ständigem Umkrempeln des Rosters, aus. Auch mit einigen günstigen Verpflichtungen wie Greg Smith und Patrick Beverley traf Morey ins Schwarze. In diesem Sommer wurden allerdings wichtige Assistenten aus dem Front Office von anderen Franchises abgeworben, zwei davon wurden sogar als GMs eingestellt (Sam Hinkie/76ers, Gersson Rosas/Mavericks).
Teameigentümer Les Alexander kündigte mit dem markigen Spruch "I have enough money, but I dont have enough championships" an, die Luxury Tax zahlen zu wollen, wenn dadurch ein Angriff auf den Titel möglich ist. Das öffnet die Tür für die Verpflichtung eines dritten Stars im nächsten Sommer.

Stärken

Bereits letzte Saison gehörte die Offensive mit einem OffRtg von 106,3 zu den stärksten der Liga (Platz 6). Einen wichtigen Beitrag dazu leistet das Angriffssystem, das darauf basiert, ineffiziente Würfe aus der Mitteldistanz zu vermeiden (nur 14,6% der Abschlüsse, mit Abstand Ligatiefstwert) und stattdessen vornehmlich am Korb oder per Dreier abzuschließen. Auch erarbeitete sich die Mannschaft viele Freiwürfe, Hauptgrund dafür ist natürlich der unermüdlich den Korb attackierende James Harden, der öfter an der Linie stand als jeder andere NBA-Spieler. Mit Hinzunahme von Dwight Howard, der in der Kategorie ebenfalls in der Ligaspitze vertreten ist, wird diese Quote sogar noch ansteigen. Wie kein anderes Team schaffte Houston außerdem den Spagat von starkem Defensivrebounding (Quote von 75,2%, Platz 2) und vielen Abschlüssen im Fastbreak (17,6% der Punkte, Platz 3). Beim pick-and-roll waren die Rockets schon letztes Jahr unter den besten Mannschaften, sogar unübertroffen, wenn der Ballhandler, meist Harden, dabei abschloss. Nun kommt Howard dazu, mit knapp 80% Trefferquote auch im letzten Jahr einer der besten roll men der NBA, dadurch wird dieser Spielzug noch weitaus gefährlicher und somit eine der größten Waffen der gesamten Liga.
Eine großes Problem war in der vergangenen Saison, dass die Verteidigung auf Katastrophenniveau abfiel, wenn Asik eine Ruhepause bekam (DefRtg 107,0; das wäre Platz 27!). Das ändert sich nun. Mit einer Centerrotation aus dem Türken und Howard werden die Gegner in jedem Spiel über die komplette Partie hinweg einer Mauer im Post gegenüberstehen, was die Defense der Rockets auf Anhieb in die Top 10 der Liga katapultiert.

Schwächen

Die große Schwäche: Turnovers. In der vergangenen Saison produzierte Houston die meisten Ballverluste der gesamten Liga. 14,9% der Angriffe endeten so, ein völlig inakzeptabler Wert. Die beiden wichtigsten Ballhandler Harden und Lin verloren zusammen gruselige 5,7 Mal pro Spiel den Ball, als Duo nur getoppt von Durant/Westbrook. Diese Schwäche kann zum Teil auf die ständigen Veränderungen im Kader und somit fehlende Automatismen zurückgeführt werden, in dieser Saison wird die Mannschaft deutlich eingespielter sein. Aber: Mit Dwight Howard stößt ein weiterer Spieler aus der Flop 20 der NBA bei den TOs neu zur Mannschaft, daher ist eine signifikante Verbesserung in dieser Hinsicht nicht zu erwarten.
Das große Fragezeichen: Die Position des Power Forwards. Dort gibt es keinen klaren Starter, in der Verlosung sind die Sophomores Terrence Jones und Donatas Motiejunas, die kleine Lösung mit Parsons oder Casspi auf der Vier sowie eine Aufstellung mit den Twin Towers Asik/Howard. Viele Möglichkeiten, aber kein offensichtliches Allheilmittel, weshalb es wohl auf einen matchupabhängigen Mix aus verschiedenen Varianten herauslaufen wird.

Spieler im Fokus

Wer wohl? Dwight Howard war bis vor dem Wechsel zu den Lakers ohne Zweifel der beste Center der Liga. Seine Zeit in LA wird vielen als Seuchenjahr im Kopf bleiben, doch die Zahlen lesen sich eigentlich gar nicht sooo schlecht: 17,1 Punkte, 12,4 Rebounds und 2,4 Blocks pro Spiel bei einer Feldwurfquote von 57,8%. Wenn das als Katastrophe bezeichnet wird, wie wird er dann erst unter besseren Voraussetzungen spielen? Und die Ausgangslage bei den Rockets ist gut: Gute Stimmung in der Mannschaft, also kameradschaftlich, fröhlich und unbeschwert. Ungleich kleinerer medialer Rummel als in Los Angeles. Der Rücken ist vollständig verheilt. Kein superehrgeiziges Alphatier à la Kobe Bryant weit und breit. Mit McHale und Olajuwon zwei der besten Post-Spieler aller Zeiten als Mentoren. Ein enorm fähiger Backup im Kader, der seine Spielzeit niedrig halten kann und nicht Robert Sacre heißt.

All diese Aspekte sind für den sensiblen Howard von Vorteil, in Houston wird man alles dafür tun, dass sich der Starcenter wohlfühlt. Mit dem Vertrauen aller Verantwortlichen und Mitspieler im Rücken sollte Dwight wieder an die Leistungen aus Orlando anknüpfen können falls er von Verletzungen verschont bleibt. Das große Fragezeichen sind seine Freiwürfe. Wenn er seinen Karrieredurchschnitt von 58% wieder erreichen oder sogar überbieten kann, ist alles im Lot, wenn er weiterhin keine 50% trifft und seine Nerven nicht im Griff hat, könnte es in der Crunchtime problematisch werden.

Fazit und Prognose

In Houston darf nach Jahren des Mittelmaßes wieder nach oben geblickt werden. Die zwei Stars Harden und Howard werden das Team auf dem Platz anführen, auch Parsons und Lin sind zumindest solide NBA-Starter. Auf der Bank warten mit Ömer Asik der besten Backup-Center der Liga, mit Beverley und Brewer zwei ganz unangenehme Perimeter-Verteidiger und eine Reihe von Shootern, die jederzeit heiß laufen können. Außerdem ist das junge Team in der letzten Saison gereift, was enge Spiele zugusten der Rockets entscheiden könnte.
Mit dieser Mannschaft sollten auch im starken Westen mindestens 55 Siege und damit Heimvorteil in den Playoffs erreicht werden können. Dort ist auch ein tiefer Run bis in die Conference Finals möglich. Und vielleicht... ja, vielleicht... was wäre, wenn... alles perfekt läuft?