Mit etwa 40 Stunden Abstand zum Spiel bekomme ich beim Gedanken an einzelne Szenen immer noch Gänsehaut... auch meine Stimme ist wieder da... so gesehen bin ich jetzt langsam in der Lage, was über das Spiel zu schreiben...

Vor dem Anpfiff

Angefangen hat der Samstag jedoch weniger mit Gänsehaut als mit Ärger aufgrund Zugausfällen bei der Bahn, die dafür gesorgt haben, daß ich erst kurz vor knapp im Stadion war... Im Nachhinein hätte es für die spielentscheidenden Szenen auch gelangt, wenn ich erst um 17 Uhr im Stadion gewesen wäre, aber dadurch hätte ich dann einige emotionale Momente vor dem Spiel verpaßt: die Verabschiedung der Spieler, die den Verein verlassen und die sehr sehr geile Choreo im Stadion. Wer's noch nicht gesehen hat oder sich das Ganze nochmal anschauen will, klickt bitte hier

Gänsehaut pur, sage ich nur!!! Entsprechend störend war es da, daß im halbleeren Wolfsburger Fanblock irgendwelche Fahnen oder sonstwas verbrannt wurden. Im Vergleich zu dem Qualm im Kölner Stadion war das zwar nur Kinderfasching, aber ähnlich hirnlos.

Die ersten 70 Minuten

Über das Spiel selber braucht man über die ersten 70 Minuten nicht viel schreiben: Ulle stark gegen Mandzukic, Hajnal trifft zwei Meter vor dem Tor den Ball nicht richtig und Ibisevic bringt Delpierre um sein letztes Tor für den VfB. Ach ja, Wolfsburg hat zwei Tore gemacht und stand um 17 Uhr noch mit beiden Beinen in der Europa-League-Quali.

Der Showdown

Um Punkt 17 Uhr hat mein Sohnemann auch zu mir gemeint, daß wir bei dem Spielstand dann doch noch vor Abpfiff aus dem Stadion gehen könnten... Der Sitznachbar hinter mir meinte nur in typischer schwäbischer Spielanalyse: "Die können heute noch zwei Stunden spielen und treffen kein Tor..." dann überschlugen sich die Ereignisse...

Immer noch 17 Uhr: 2:1 für Hannover wird auf der Anzeigetafel verkündet, das von etwa 57.000 der 58.500 Zuschauer bejubelt wird...

17.01 Uhr: bei einem Zweikampf im Mittelfeld kommt Mandzukic zu Fall, der Ball rollt in Richtung Helmes, der frei vor Ulreich durchgewesen wäre. Helmes denkt, Schiri Perl hat abgepfiffen und stoppt ab, das Spiel läuft aber weiter. Ulreich realisiert als erster die Situation, schnappt sich den Ball und setzt zum Dribbling an, sein Ball von der Mittellinie nach vorne wird jedoch fast zum Bumerang, bei einem Zweikampf im Mittelfeld wird dann Freistoß für den VfB gepfiffen. Diese Szene habe ich in keiner Zusammenfassung des Spiels gesehen - obwohl sie für mich der Knackpunkt im Spiel war...

Helmes hätte mit einem 3:0 das Spiel entscheiden können - der VfB wäre nie zurückgekommen... Aber hätte und wäre war nicht... es kommt alles anders...

17.02 Uhr: Hajnal zieht den Freistoß lang in den Strafraum, Matthieu Delpierre steigt am höchsten und köpft den Ball in Richtung Fünfmeterraum, wo Cacau seine ganze Kraft in seine 179 cm Körpergröße legt und Benaglio keine Chance läßt - 1:2

Danach war unser VfB wie ausgewechselt - man wollte und man konnte plötzlich wieder aggressiv spielen - mein Sohnemann hatte dann spontan beschlossen, daß wir doch bis zum Abpfiff bleiben... "Vielleicht drehen sie das Spiel ja noch" - wenn er geahnt hätte, wie recht er damit hat...

17.06 Uhr: Benaglio lenkt eine Sakai-Flanke in Richtung linkes Fünfmetereck ab, dort steht Maza völlig frei und trifft per sehenswertem Seitfallzieher zum 2:2 - Ausgleich geschafft - das Stadion bebt - Wolfsburg völlig konsterniert? Noch nicht...

17.07 Uhr: Ein Wolfsburger Entlastungsangriff - ein Flanke an den langen Pfosten erreicht Mandzukic und er trifft nur den Pfosten... das hätte noch gefehlt, daß der Spieler, der im Spiel sehr viel provoziert hat und durch Schauspielerei negativ aufgefallen ist, das Spiel entscheidet... dieses Highlight war einem anderen Spieler vorbehalten... wenige Augenblick später...

17.08 Uhr: Der Gegenangriff des VfB rollt - wieder Sakai über rechts. Seine Flanke kommt genau auf Ibisevic - der aber semmelt über den Ball - dieser (also der Ball ) rollt weiter, wieder an die linke Ecke des Fünfmeterraums - und dort steht ein Spieler, der aufgrund seiner unscheinbaren Erscheinung wohl von allen Wolfsburger Spielern völlig außer Acht gelassen wurde - vielleicht auch, weil er vor dieser Szene durch einige Stockfehler mehr aufgefallen war wie durch spielerische Highlights: Ibrahima Traore! Er nimmt den herrenlosen Ball auf und schickt ihn dorthin, wo er aus Stuttgarter Sicht auch hingehört: ins gegnerische Tor. 3:2 - Spiel gedreht - das Stadion gleicht einem Tollhaus! In dem ganzen Jubel (und vielleicht auf mit feuchten Augen aufgrund seines eigenen Abschieds) hat Stadionsprecher Christian "Pitschi" Pitschmann dann auch Cacau als Siegtorschütze verkündet - somit waren die Wolfsburger nicht die einzigen, die ihn übersehen hatten... Unter der Menschentraube, wo Traore sich zu diesem Zeitpunkt befand, war er aber auch nicht wirklich auszumachen. ich bin froh, daß er danach wieder gesund aufstehen konnte... wenn da ca. 15 Spieler plus einem Krokodil auf ca. 62 kg Mensch draufliegen, kann man sich schon etwas Sorgen um den Guten machen...

In acht Minuten wurde Wolfsburg so was von aus dem Europacup gekickt, daß dieser Tritt eigentlich gereicht hätte, daß die komplette Mannschaft inklusive Felix Magath bis nach Wolfsburg hätte fliegen können.
Und auch Christian Träschs Aussage, er wäre wegen der sportlichen Perspektive nach Wolfsburg gewechselt, wurde in diesem Moment etwas ad absurdum geführt...

Die restlichen 13 Minuten bis zum Abpfiff rollte dann La Ola durch's Stadion, von "Oh, wie ist das schön" über "Wolfsburg - wir hören nichts" bis hin zu "Steht auf, wenn Ihr Schwaben seid" erklang ein Fangesang nach dem anderen im weiten Rund...und der Gedanke, kurz vor Schluß aus dem Stadion zu gehen, war absolut kein Thema mehr...

Nach dem Abpfiff dann grenzenloser Jubel - ob Platz 5 oder 6 erreicht wurde war sowas von egal - man hat (wieder mal) ein Spiel gedreht, hat am Schluß spektakulär gewonnen und somit in einer guter Saison einen krönenden Abschluß geboten...

17.45 Uhr: der Wolfsburger Fanblock ist schon seit einiger Zeit ganz leer - es sind aber noch etwa 40.000 Fans im Stadion, die die Mannschaft auf ihrer Ehrenrunde begleiten. Von der Cannstatter Kurve werden einzelne Spieler nochmal nach vorne gerufen (u.a. Ulle, Gebhart und - natürlich - Matthieu Delpierre, der ein gutes letztes Spiel abgeliefert hat) - es wird immer noch gefeiert...

Irgendwann gegen 18 Uhr sind wir dann aus dem Stadion raus - die Zugfahrt heim verlief ebenso chaotisch wie die Hinfahrt, mein Sohn ist im Zug irgendwann eingedöst - irgendwann abends waren wir dann daheim...

In einem sind wir beide uns einig nach diesem Samstag: Für solche Spiele rentiert es sich, Fußballfan zu sein!!!