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Blogpokal 2014/2015


Gründer: RoterBulle92 | Mitglieder: 25 | Beiträge: 5
Von: MarcelPutz
22.12.2014 | 3815 Aufrufe | 13 Kommentare | 8 Bewertungen Ø 7.8
Blogpokal 2014/2015
Die drei Sternsinger
Die drei Sternsinger und ein Held

Kennt nicht jeder die dumme Situation, wenn der geliebte eigene Fußballverein spielt oder ein anderes Sportevent stattfindet, das man einfach nicht verpassen kann und dann irgendeine dämliche Tante ausgerechnet an diesem Tag, ja zu diesem Zeitpunkt ihren beschissenen 50sten Geburtstag feiern muss?
Oder wenn zwei tolle Sportevents übereinander fallen?
Oder man genau an diesem Tag ein Blasmusikkonzert hat?
Okay das letzte sollte ich eventuell für die meisten streichen, aber ansonsten ist das denke ich jedem schon einmal passiert. Von einem ähnlich verhängnisvollen Ereignis will ich euch nun erzählen. Einem Ereignis, das mir auch nach über 10 Jahren noch tief im Kopf sitzt...


"Weischd Marcel, du denkschd immer nur an das eine", schimpft Sonja und gibt mir mit einem Augenzwinkern zu verstehen, dass sie es nicht böse meint, "an Süßigkeiten".

Wir schreiben den 06. Januar des Jahres 2002 und befinden uns im großartigen Wangen im Allgäu.
Die kleine, von Schnee überdeckte Stadt wird wie schon das ganze noch sehr kurze Jahr über von eiskalten Minustemperaturen heimgesucht.
Leider auch heute.

Ich stehe zusammen mit den etwa gleichaltrigen Sabine, Marko, Dominik und Fabian (der arme Sack, der komplett schwarz angemalt ist) vor einem Haus. Uns begleitet die bereits erwachsene Frau Zäfpel.
Ich bin ebenfalls verkleidet. Nicht ganz so schlimm wie Fabian, aber trösten kann mich das nicht.
Ich bin Melchior. Zumindest hat man mir gesagt, dass ich das sein soll.
Gequält versuche ich mich hinter meinen Kollegen zu verstecken, als sie an der gefühlt 10.000sten Station heute klingeln.
Als die Tür aufgeht und eine entzückte Frau vor uns steht, geht das übliche Prozedere los. Frierend summe ich den immer langweiliger werdenden Song "Stern über Betlehem" mit.

Dass ich nur an Süßigkeiten denke stimmt übrigens nicht ganz.
Klar, die Dinger stellen einen von ganz wenigen positiven Aspekten an diesem dämlichen Rumgelaufe und -gefriere dar, aber viel mehr werden meine Gedanken noch vom Skispringen bewegt.

Das Skispringen, das die Entscheidung über den diesjährigen Sieger der Vierschanzentournee bringen soll und das vor einigen Minuten losgegangen ist. Das Skispringen, das ich wegen dem ätzenden Sternsingertag heute nicht sehen kann.
Sven Hannavald, der wohl größte Sportstar meiner Kindheit, steht vor dem größten Erfolg seit Beginn der Vierschanzentournee. Er steht vor dem vierten Sieg im vierten Springen. Die Menschheit steht kurz davor, so etwas das erste Mal zu erleben.

Aber ich befinde mich hier vor irgendeinem Haus, vor irgendeiner irgendwie auf unerklärliche Weise total begeisterten Frau und neben am Skispringen auf mich irritierende Weise völlig desinteressierten Menschen.

Als wir wieder losgelaufen sind frage ich Fabian frustriert, "muss des eigentlich sein, dass wir wirklich alle Häuser unserer Straßen ablaufen?".
Fabian nickt. "Selbstverständlich", meint er, "sonsch gibts vom Pfarrer a paar auf d Bobes".
"Pah Pfarrer", lacht Marko, der sich mittlerweile zu uns gesellt hat, "des isch ein blöder Beruf. Man darf nicht heiraten. Keine Kinder kriegen. Man darf nicht einmal eine Frau küssen".
"Außer man isch evangelischer Pfarrer", korrigiert ihn Fabian.
"Ja stimmt", nickt Dominik, dann heißt es Sex, Drugs, Rock and Roll und predigen. Der kommt dann mit seinen Kirchgängern abends noch einmal zam und dann saufed se a Runde".

Wir kommen zum nächsten Haus. Eine rundliche alte Frau begrüßt uns.
Erneut führen wir das Prozedere durch, das jeder von uns mittlerweile in und auswendig kennt.
Auch diese Frau ist begeistert von unseren geilen Songs und flotten Sprüchen.
"Kommt rein, i hon extra von Weihnachten noch ein paar Plätzchen für euch aufgehoben", meint sie freundlich.

Als wir in der Küche stehen sieht sich mich an. Zu meinem Leid scheine ich in ihr noch mehr Begeisterung als meine Kollegen zu entfachen.
"Hoi du bischd jo ein Siaßer", jault sie und zwickt mich in meine kalten Backen.
Ich kann mich nur deshalb beherrschen, weil ich viel zu schüchtern bin, um mich gegen die Frau zu wehren. Als sie noch "ojeee du hoschd jo ganz rote Bäckla" hinzufügt, bin ich einem frustrierten Schrei jedoch ganz nah.

Wahrscheinlich war das rot der Bäckchen sowieso mittlerweile mehr Zornesröte als durch Kälte bedingt. Durch den Besuch verlieren wir nicht zuletzt wertvolle Zeit, die fehlen könnte um das Ende der letzten Station meiner geliebten Vierschanzentournee mitzuerleben.

Die liebe Fraud dreht sich glücklicherweise schnell um und läuft zu ihren Plätzchen.

Als ich das Essen sehe, ändert sich meine Meinung über die ganze Sache und den alten Menschen kurz radikal, so Plätzchen strahlen auf Menschen oft eine ungeahnte mysteriöse Kraft aus.
Doch dann verliere ich schnell wieder das Interesse am ganzen Stolz der alten Dame.
Im nebenstehenden Wohnzimmer, das nur durch eine kleine Stufe mit der Küche verbunden ist, steht nämlich ein Fernseher. Der Fernseher ist an. RTL. Skispringen.
Sven Hannavald macht sich bereit. Bereit für seinen Sprung. Den siebten Sprung der Tournee. Seinen zweitletzten bevor er es ihm hoffentlich als erstem Skispringer gelingt, alle vier Siege während einer Tournee abzuräumen.
Kaum kommt Hannavald ins Fliegen, geraten die hinter mir stehenden Kollegen und die alte Frau (die sich seit wir gekommen sind nicht mehr für den Sport zu interessieren scheint) in Vergessenheit.
Ich halte die Luft an, hoffe dass es weit hinaus geht und es geht weit hinaus. Sehr weit hinaus! Der Kommentator Tom Bartels (der bei mir damals noch keinen leicht negativen Touch hatte) jubelt über den neuen Schanzenrekord. In diesem Moment gelingt es mir kaum, einen Freudenschrei zu unterdrücken.
"Marcel", sagt laut jemand hinter mir, "willsch au a paar Plätzla".
"Achso emm ja", meine ich leicht benebelt, an die Dinger hab ich gar nicht mehr gedacht.

Als wir mit vollen Mägen wieder draußen sind, wird der Lauf durch die Straßen Wangens immer noch mehr und noch mehr zur Tortur. Komme ich rechtzeitig zum zweiten Sprung nach Hause? Werde ich den Triumph meines Helden am Fernseh verfolgen können?
Eine unheilvolle Stille hat sich über unsere Gruppe gebildet, nur an vorderster Front, dort wo unsere Betreuerin neben ihrer Tochter Sabine läuft, wird noch ein bisschen geredet.

Doch dann unterbricht Markp auf einmal stolz die Stille: "Böse Buben beobachten Boris Becker beim bumsen", sagt er plötzlich stolz. Irritiert schauen ich und meine Kollegen ihn an. "Was soll des bedeuten?", fragt einer verwirrt.

"Des isch ein Satz, in dem alle Wörter mit dem gleichen Buchstaben anfangen, voll cool oder?".
"Des kann ich besser. Böse Buben beobachten Boris Becker beim bumsen bei Brigitte Bauer", übertrumpft ihn Sebastian.
"Böse Buben beobachten Boris Becker begeistert beim bumsen bei Brigitte Bauer", Marko strahlt über das ganze Gesicht.
"Böse Buben beobachten Boris Becker begeistert beim bumsen bei Brigitte Bauers Buff", lacht Sebastian.

"Was isch da los?", fragt die mithörende Frau Zäpfle allerdings böse und unterbricht somit die ja selbst für mich, der in dem Moment nur an Skispringen denken kann, recht interessante Diskussion.

Etwa eine Stunde später ist unser Tag endlich beendet, wir gehen noch ins Haus von Frau Zäpfle, um ein Fazit unter diesen laut ihr so wundervollen, wenn auch etwas zu kalten Tag zu ziehen.
Ich versuche mich herauszureden, dass ich keinen Hunger hätte, ja wegzukommen, weggehen zu können, weg zu mir nach Hause. Die Befürchtung ist groß, dass es sowieso schon zu spät ist um Hannavalds letzten Sprung verfolgen zu können.


Doch dann bemerke ich, dass auch hier der Fernseher an ist.
Frau Zäpfles Mann, Herr Zäpfle, liegt angespannt auf dem Sofa.
Ich sollte ihn vielleicht begrüßen, ja ihn eines Blickes würdigen, doch das kann ich nicht. Denn dort im Fernseher steht er wieder königlich auf seinem Thron.
Der Herr der Lüfte.
Sven Hannavald.

"Skispringen", lacht Frau Zäpfle, die sich neben mich gestellt hat, "schausch des auch manchmal? Mein Mann isch ganz verrückt danach".
"Emmm ja", stottere ich, dann halte ich den Atem an.
"Der Wind ist gut", höre ich Tom Bartels begeistert sagen.

Na dann kann ja nichts schiefgehen, davon bin ich fest überzeugt.
Vielleicht wäre es schiefgegangen, wenn ich nicht da wäre, wenn ich ihn nicht mit meinen Augen durch meine psychokinetischen Kräfte nach vorne peitschen könnte, doch jetzt, da ich hier bin, jetzt war ich mir sicher: Er würde gewinnen.

Sven Hannavald fliegt.
Und er fliegt, wie immer, weit.
Er fliegt über die blaue Linie hinweg.
Ins Glück.

Was für ein geiler Tag!
Die Magie Betlehems, sie ist unerreicht!

KOMMENTARE
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MarcelPutz
22.12.2014 | 18:41 Uhr
1
-1
MarcelPutz : 
22.12.2014 | 18:41 Uhr
-1
MarcelPutz : 
Sodala.

Das ist mein nächster Beitrag zum Blogpokal des Jahres 2014/2015.

Mein Gegner trägt den ehrwürdigen Namen f0rtschritt, doch leider scheint er sich noch zu drücken. Sobald er veröffentlich hat, werde ich seinen Blog verlinken.

Ich hoffe, dass euch mein Kramen in alten Erinnerungen (die selbstverständlich leicht ergänzt wurden, wer tut das nicht? Die Namen wurden natürlich auch geändert beziehungsweise Personen ersetzt) gefallen hat.

Vielen Dank.
1
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