02.11.2010 um 08:59 Uhr
Geschrieben von maschemist
BP: Der einsame Fan
Es ist Dienstagmorgen, so gegen 6 Uhr. Ich sitze in meiner Wohnung vor meinem Computer und bin schlecht gelaunt. Und jetzt geht die Überlegung los: Leg ich mich jetzt nochmal kurz ins Bett und schlafe ein wenig, bevor ich in die Uni muss, oder bleib ich einfach wach?
Der ein oder andere Leser wird sich jetzt fragen, was denn da los war. Warum bin ich so lange wach, wenn ich doch Vorlesungen habe und warum bin ich schlecht gelaunt, während ich vor meinem PC sitze? Hab ich die ganze Nacht durchgefeiert, nur um nach meiner Rückkehr eine E-Mail zu lesen, in der meine Freundin mit mir Schluss macht? Jobbe ich nachts als Tankstellenkassierer und wurde ausgeraubt?
Nein, es ist nichts von alledem. Ich leide unter einem Phänomen, von dem in Deutschland (noch) nicht so viele befallen sind: Ich bin American Football Fan. Um genauer zu sein ein Fan der Dallas Cowboys, wie man an meinem Profil-Pic unschwer erkennen kann. Das führte dann auch zu meiner schlechten Laune. Denn meine Boys hatten gerade in ihrem sechsten Saisonspiel die fünfte Niederlage kassiert und Star-QB Tony Romo hat sich dabei noch sein Schlüsselbein gebrochen und fällt womöglich für den Rest der Saison aus. Nur noch ein Wunder könnte die Saison der Cowboys retten. Dementsprechend hatte ich, wie jeder Sportfan womöglich nachvollziehen kann, richtig schlechte Laune.
Ich entschied mich übrigens dazu, nicht mehr ins Bett zu gehen (2 Stunden Schlaf machen doch keinen Unterschied, außerdem hatte ich vor dem Spiel schon 3 Stunden geschlafen) und bin vormittags ab in die Uni. Dort trifft man dann auf Freunde und Kommilitonen, die einen dann begrüßen mit so netten Sätzen, wie: "Sag mal, du siehst ja fertig aus." Oder: "Na, gestern ordentlich gesoffen, oder was?" Als Antwort gibt es dann nur ein müdes: "Nein, ich hab letzte Nacht Football geguckt. Das Spiel ging von 2:30 bis ungefähr 6." Der ein oder andere erinnert sich dann daran, dass ich ja der Typ bin, der sich für Football interessiert, aber woher sollte man denn wissen, wann mal so ein Spiel stattfindet.
So oder ähnlich geht es vielen Football Fans in Deutschland und Europa. Es ist manchmal ein einsames und müdes Dasein. Wenn man Glück hat findet man Leute in seinem Umfeld, die sich auch für diesen (aus meiner Sicht) großartigen Sport interessieren, mit denen man diskutieren und sich austauschen kann. Und wenn man noch mehr Glück hat spielt das Team, dessen Fan man ist, schon am Sonntag um 19 Uhr (13 Uhr amerikanischer Ostküstenzeit). Dann könnte man noch zu einer humanen Zeit ins Bett gehen und die Ergebnisse der weiteren Spiele am nächsten Tag nachlesen.
Aber wie kommt es eigentlich, dass man als Deutscher in Deutschland Fan einer Sportart wird, die eigentlich gar keinen interessiert? Ich kann da jetzt nur aus eigener Erfahrung sprechen, wie ich ein Fan wurde.
Wir schreiben das Jahr 1996. Mein Vater hatte Ende Januar den Superbowl zwischen den Dallas Cowboys und den Pittsburgh Steelers aufgenommen, weil er sich dachte, es könnte ja mal interessant sein, sich ein American Football Match anzusehen. Im Herbst (!) beschloss er dann auch, sich das Video doch noch anzusehen, und ich war dabei. Das Spiel strahlte gleich eine gewisse Faszination aus. Kurze Zeit später stand in der Zeitung ein Artikel über ein ortsansässiges Footballteam, das jederzeit neue Spieler gebrauchen könnten: Die Lübeck Cougars. Da ich sonst in keinem Sportverein war, hab ich dort auch angefangen mitzutrainieren, und somit auch die Feinheiten des Sports kennen gelernt.
Damals war das Leben als Football Fan leider noch nicht ganz so einfach wie heute. Ohne Internet gab es lediglich eine kurze Zusammenfassung der Spiele am Wochenende und Live-Übertragungen der NFL-Europe.
Nachdem diese, im Laufe der Zeit, für mich an Faszination verlor (es war zu diesem Zeitpunkt auch eher nur noch eine NFL Germany), und das DSF sich entschied seine Zuschauer lieber Ballsportarten für 100 Euro raten zu lassen, gab es im deutschen Free-TV gar keine Bilder mehr von der NFL zu sehen. Da meine Eltern auch keine Lust hatten Geld für Pay-TV oder einen Internet-Anschluss auszugeben, ist mein Football-Interesse, nachdem ich aufgehört hatte zu spielen, weitestgehend eingeschlafen. Ich hab immer noch geguckt, wie meine Cowboys gespielt haben, im Februar wurde der Superbowl geguckt (das einzige Spiel von 267 (!), von dem im deutschen Free-TV überhaupt Bilder gezeigt werden), aber das war's dann auch. Wie gesagt, es ist nicht immer einfach Football Fan zu sein.
Im Studium wurde aber alles wieder besser. Der Grund? Mein eigener DSL-Anschluss. Und natürlich nfl.com. Die Seite die jeder Fan ganz oben in seinen Favoriten hat, weil man dort einfach alles rund um die NFL erfährt, von Spielzusammenfassungen über Analysen bis hin zu allen Statistiken, die jemals von irgendjemandem irgendwo aufgeschrieben wurden. Dazu gibt's überall im Netz Live-Streams (sowohl kostenpflichtig, als auch für lau) mit denen man sein Team (oder seit kurzem auch Konferenz) verfolgen kann.
Dank diesen schier unbeschränkten Möglichkeiten ging mein Football-Interesse so ziemlich von 0 auf 100. Deshalb spielt sich das Leben eines europäischen Football Fans auch weitestgehend im Internet ab. Nachrichten lesen und Videos gucken auf nfl.com (oder anderen Websites, wie espn.com oder yahoo sports), am Wochenende auf der Suche nach dem richtigen Stream und immer wieder in unterschiedlichen Foren, um sich mit anderen Fans auszutauschen. Außerdem hat die GFL (German Football League) in den letzten Jahren stark an Medienpräsenz zugelegt. Auf amfid.de werden sogar schon Videoberichte gebracht.
Wenn man sich ausnahmsweise mal vor die Tür traut, dann kann man sich auch mancherorts ein Spiel anschauen. Bei mir in Kiel kann man schon mal die Baltic Hurricanes empfehlen, die auch mit einem 17-10 den German Bowl über die Berlin Adler gewannen.
Diese ganzen Strapazen nimmt man also auf sich. Die dauerhafte Müdigkeit, das endlose im Web surfen, das Englisch aufpolieren, damit man die Texte und Kommentare dann auch versteht, usw.
Nur um in der "normalen" Welt schief angeguckt zu werden, sobald man erwähnt, dass man ein American Football Fan ist.
In diesem Sinne,
Euer maschemist
Aufrufe: 17228 | Kommentare: 88 | Bewertungen: 57 | Erstellt:02.11.2010
ø 9.6
KOMMENTARE
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03.11.2010 | 11:09 Uhr
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Seminole :
Jags Fans? Ich, ich!!
NFL-Teams in Europa wird es in den nächsten 50 Jahren nicht geben. Eher wird Fußball drüben dominant. Fußball ist drüben deutlich weiter als Football hierzulande!
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03.11.2010 | 08:27 Uhr
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BadBlue :
Ein sehr guter Kumpel und NFL Freak hatte mich vor 3 Jahren auf dieses Spiel gebracht, ich guckte mir eine Menge Spiele mit ihm an, verstand am Anfang davon garnix und kannte höchstens ein paar Namen von den "Vereinen".Ich gucke mit seitdem gerne Football an, muss aber sagen das es nichts belastenteres gibt, als die Massenwerbung im American TV, dadurch kommt einem das Spiel noch länger vor als es ja eh schon ist, und man kann dadurch irgendwie doch die Lust verlieren, sich das ganze Game anzugucken...
Worauf ich hinaus will, ich glaube nicht das der Sport demnächst den Sprung über den großen Teich schafft, ich glaube die meisten Europäer sind einfach nicht offen für Football.
Jedenfalls, ein netter Blog, gut geschrieben.
8p.
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03.11.2010 | 07:16 Uhr
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weha :
kenn ich nur alles viel zu gut.Sowohl als Cowboys fan,als auch als NFL-schauender Deutscher ;)Da hilft nur Zähne zusammenbeißen und sich am NFL-Stream erfreuen.Und wer etwas Geld auf der hohen Kante hat - das kostenpflichtige Angebot der NFL die Spiele live via internet zu sehen lohnt sich auf jedenfall..
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03.11.2010 | 06:47 Uhr
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snooch :
Ja wir haben es hart. :( Zumindest bereiten mir "meine" Jets dieses Jahr mehr Freude als dir deine Cowboys.
Ich hab mich an die Zeiten gewöhnt, am schlimmste finde ich nur das ich wirklich der einizige im Freundeskreis bin der sich für Football begeistert.
Hatte zumindest immerhin schon das Glück in den USA live im Stadion zu sein. U.a. zweimal bei deinen Cowboys und paar mal bei den Longhorns (übrigens ist College Football was Stimmung angeht grandios im Gegensatz zur NFL). Aber lieber hätte ich Texas A&M mal gesehen. War paar mal in College Station aber leider liefen da keine Spiele.
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03.11.2010 | 02:53 Uhr
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10/10
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03.11.2010 | 02:14 Uhr
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Drool :
Bei Basketball das gleiche. Zum Glück gibts den League Pass, sodass man sich das Spiel schön am nächsten Tag anschauen kann.Football ist schon ganz nett, aber in Deutschland kannst es vergessen da großartig Fan zu sein.
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02.11.2010 | 23:01 Uhr
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02.11.2010 | 22:15 Uhr
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Myro :
ich kann dein problem VOLLKOMMEN nachvollziehen.ich bin leidenschaftlicher NASCAR-Fan und bei mir handelt es sich um genau die selbe problematik.
man freut sich wenn ein rennen an der ostküste stattfindet und man so an einem sonntag abend noch relativ früh ins bett kann. wenn aber in kalifornien oder arizona gefahren wird, bleibt man locker mal bis 1 oder 2 wach.
hab mir jetzt nen französischen bezahlsender besorgt. die kommentatoren sind nicht auszuhalten, aber man muss sie wohl oder übel ignorieren.
und auch das man mit niemandem drüber reden kann ist echt ein problem. wenn dann alle über formel 1 reden und ich ne halbe leberverstopfung aus wut über diese kleinen jockeys bekomme, fühlt man sich echt alleine.
aber wenn man dann daheim sitzt und es live mitverfolgen kann ist es dann doch das beste gefühl.
schöner blog
10 punkte!
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02.11.2010 | 20:55 Uhr
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Red_7 :
Na also als ich noch gespielt habe waren die Bucs mit Gruden schon eine größere Nummer...
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Statistik
Guter Blog. Ich als NFL-"Neuling" kann dem Tenor des Beitrages nur zustimmen. Vor allem ist mir wichtig zu erwähnen, dass man sich nur für die Sportart begeistern kann, wenn man davon auch irgendetwas sieht. Dank KabelDeutschland bzw ESPN America wurde meine NFL-Leidenschaft nun entfacht. Nur habe ich ein kleines "Problem":
Ich habe noch keinen Lieblingsverein...oje
Normalerweise ergibt sich das ja im Laufe der Zeit, aber das Problem ist, dass auch ESPNA nicht alle Mannschaften mal im Livespiel zeigt, sondern nur ca 10 Teams hauptsächlich. Einige Teams sieht man dann nur alle paar Wochen mal.
Daher...
Kleines Offtopic:
Es wäre toll, wenn einer der NFL-Veteranen mal einen Blog verfassen könnte mit folgendem Inhalt:
- Struktur der NFL mit Ligaaufteilung und Mannschaftenverteilung
- Vorstellung und Übersicht der einzelnen Teams mit ihren groben Charakteristika (kurze Geschichte, Erfolge, Spielstil, Art und Größe der Fanbase, Beliebtheit usw)
Vielleicht kann man auch Vergleiche ziehen, so zB Mannschaft XY ist vergleichbar mit dem FC Bayern in der Bundesliga, man liebt sie oder man hasst sie.. Oder Mannschaft XY hat ähnlich dem Verein XY hauptsächlich Fans aus einem bestimmten Bevölkerungsbereich.
Ich hoffe, ich konnte meinen Wunsch einigermaßen vorbringen
(Das wäre dann sicherlich auch für viele andere User nützlich, die ebenfalls am Anfang des NFL-Fanseins stehen. Dann werden solche Blogs wie dieser hier oben vielleicht in Zukunft auch rarer)