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NFL @ SPOX


Gründer: Master_Of_Disaster | Mitglieder: 818 | Beiträge: 210
02.11.2010 um 08:59 Uhr
Geschrieben von maschemist
BP: Der einsame Fan


Es ist Dienstagmorgen, so gegen 6 Uhr. Ich sitze in meiner Wohnung vor meinem Computer und bin schlecht gelaunt. Und jetzt geht die Überlegung los: Leg ich mich jetzt nochmal kurz ins Bett und schlafe ein wenig, bevor ich in die Uni muss, oder bleib ich einfach wach?

Der ein oder andere Leser wird sich jetzt fragen, was denn da los war. Warum bin ich so lange wach, wenn ich doch Vorlesungen habe und warum bin ich schlecht gelaunt, während ich vor meinem PC sitze? Hab ich die ganze Nacht durchgefeiert, nur um nach meiner Rückkehr eine E-Mail zu lesen, in der meine Freundin mit mir Schluss macht? Jobbe ich nachts als Tankstellenkassierer und wurde ausgeraubt?

Nein, es ist nichts von alledem. Ich leide unter einem Phänomen, von dem in Deutschland (noch) nicht so viele befallen sind: Ich bin American Football Fan. Um genauer zu sein ein Fan der Dallas Cowboys, wie man an meinem Profil-Pic unschwer erkennen kann. Das führte dann auch zu meiner schlechten Laune. Denn meine Boys hatten gerade in ihrem sechsten Saisonspiel die fünfte Niederlage kassiert und Star-QB Tony Romo hat sich dabei noch sein Schlüsselbein gebrochen und fällt womöglich für den Rest der Saison aus. Nur noch ein Wunder könnte die Saison der Cowboys retten. Dementsprechend hatte ich, wie jeder Sportfan womöglich nachvollziehen kann, richtig schlechte Laune.

Ich entschied mich übrigens dazu, nicht mehr ins Bett zu gehen (2 Stunden Schlaf machen doch keinen Unterschied, außerdem hatte ich vor dem Spiel schon 3 Stunden geschlafen) und bin vormittags ab in die Uni. Dort trifft man dann auf Freunde und Kommilitonen, die einen dann begrüßen mit so netten Sätzen, wie: "Sag mal, du siehst ja fertig aus." Oder: "Na, gestern ordentlich gesoffen, oder was?" Als Antwort gibt es dann nur ein müdes: "Nein, ich hab letzte Nacht Football geguckt. Das Spiel ging von 2:30 bis ungefähr 6." Der ein oder andere erinnert sich dann daran, dass ich ja der Typ bin, der sich für Football interessiert, aber woher sollte man denn wissen, wann mal so ein Spiel stattfindet.

So oder ähnlich geht es vielen Football Fans in Deutschland und Europa. Es ist manchmal ein einsames und müdes Dasein. Wenn man Glück hat findet man Leute in seinem Umfeld, die sich auch für diesen (aus meiner Sicht) großartigen Sport interessieren, mit denen man diskutieren und sich austauschen kann. Und wenn man noch mehr Glück hat spielt das Team, dessen Fan man ist, schon am Sonntag um 19 Uhr (13 Uhr amerikanischer Ostküstenzeit). Dann könnte man noch zu einer humanen Zeit ins Bett gehen und die Ergebnisse der weiteren Spiele am nächsten Tag nachlesen.

Aber wie kommt es eigentlich, dass man als Deutscher in Deutschland Fan einer Sportart wird, die eigentlich gar keinen interessiert? Ich kann da jetzt nur aus eigener Erfahrung sprechen, wie ich ein Fan wurde.

Wir schreiben das Jahr 1996. Mein Vater hatte Ende Januar den Superbowl zwischen den Dallas Cowboys und den Pittsburgh Steelers aufgenommen, weil er sich dachte, es könnte ja mal interessant sein, sich ein American Football Match anzusehen. Im Herbst (!) beschloss er dann auch, sich das Video doch noch anzusehen, und ich war dabei. Das Spiel strahlte gleich eine gewisse Faszination aus. Kurze Zeit später stand in der Zeitung ein Artikel über ein ortsansässiges Footballteam, das jederzeit neue Spieler gebrauchen könnten: Die Lübeck Cougars. Da ich sonst in keinem Sportverein war, hab ich dort auch angefangen mitzutrainieren, und somit auch die Feinheiten des Sports kennen gelernt.

Damals war das Leben als Football Fan leider noch nicht ganz so einfach wie heute. Ohne Internet gab es lediglich eine kurze Zusammenfassung der Spiele am Wochenende und Live-Übertragungen der NFL-Europe.

Nachdem diese, im Laufe der Zeit, für mich an Faszination verlor (es war zu diesem Zeitpunkt auch eher nur noch eine NFL Germany), und das DSF sich entschied seine Zuschauer lieber Ballsportarten für 100 Euro raten zu lassen, gab es im deutschen Free-TV gar keine Bilder mehr von der NFL zu sehen. Da meine Eltern auch keine Lust hatten Geld für Pay-TV oder einen Internet-Anschluss auszugeben, ist mein Football-Interesse, nachdem ich aufgehört hatte zu spielen, weitestgehend eingeschlafen. Ich hab immer noch geguckt, wie meine Cowboys gespielt haben, im Februar wurde der Superbowl geguckt (das einzige Spiel von 267 (!), von dem im deutschen Free-TV überhaupt Bilder gezeigt werden), aber das war's dann auch. Wie gesagt, es ist nicht immer einfach Football Fan zu sein.

Im Studium wurde aber alles wieder besser. Der Grund? Mein eigener DSL-Anschluss. Und natürlich nfl.com. Die Seite die jeder Fan ganz oben in seinen Favoriten hat, weil man dort einfach alles rund um die NFL erfährt, von Spielzusammenfassungen über Analysen bis hin zu allen Statistiken, die jemals von irgendjemandem irgendwo aufgeschrieben wurden. Dazu gibt's überall im Netz Live-Streams (sowohl kostenpflichtig, als auch für lau) mit denen man sein Team (oder seit kurzem auch Konferenz) verfolgen kann.

Dank diesen schier unbeschränkten Möglichkeiten ging mein Football-Interesse so ziemlich von 0 auf 100. Deshalb spielt sich das Leben eines europäischen Football Fans auch weitestgehend im Internet ab. Nachrichten lesen und Videos gucken auf nfl.com (oder anderen Websites, wie espn.com oder yahoo sports), am Wochenende auf der Suche nach dem richtigen Stream und immer wieder in unterschiedlichen Foren, um sich mit anderen Fans auszutauschen. Außerdem hat die GFL (German Football League) in den letzten Jahren stark an Medienpräsenz zugelegt. Auf amfid.de werden sogar schon Videoberichte gebracht.

Wenn man sich ausnahmsweise mal vor die Tür traut, dann kann man sich auch mancherorts ein Spiel anschauen. Bei mir in Kiel kann man schon mal die Baltic Hurricanes empfehlen, die auch mit einem 17-10 den German Bowl über die Berlin Adler gewannen.

Diese ganzen Strapazen nimmt man also auf sich. Die dauerhafte Müdigkeit, das endlose im Web surfen, das Englisch aufpolieren, damit man die Texte und Kommentare dann auch versteht, usw.

Nur um in der "normalen" Welt schief angeguckt zu werden, sobald man erwähnt, dass man ein American Football Fan ist.

In diesem Sinne,

Euer maschemist
Aufrufe: 17201 | Kommentare: 88 | Bewertungen: 57 | Erstellt:02.11.2010
ø 9.6
KOMMENTARE
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xxlhonk
02.11.2010 | 10:39 Uhr
1
-3
xxlhonk : 
02.11.2010 | 10:39 Uhr
-3
xxlhonk : 
Touchdown
Leider nicht für die Cowboys (was ich ja persönlich eher gut..., aber lassen wir das), aber für den Sport.

So wie Dir geht es leider noch zu wenigen Menschen in Deutschland.
Und weil es zu wenige sind, ist die Medienpräsenz in den letzten Jahren eher noch zurück gegangen.
Leider.
Aber Dank Kabel-Fernsehen kann man zumindest die Spiele im Original gucken.
Finde ich ohnehin besser, aber damit gewinnt man kaum neue Fans.
In Deutschland.
Und das ist sehr, sehr schade.
Denn Football ist echt der Hammer.
Wenn man denn Zeit hat.
Denn so eine Übertragung geht dann gerne mal auch 4 Stunden.
Und das ist eines der Probleme hier.
Die haben zu viele Commercialbreaks.
Für uns ist das eher abtörnend.
leider.
Aber wenn es dank Euch wieder ein paar mehr Typen gibt, die sich dafür interessieren und engagieren, wer weiß vllt. gibt es dann auch wieder mehr deutsche Übertragungen wie früher.
So mit Günter Zapf und auch Andreas Renner.
Fände ich sehr, sehr stark!
Genau wie deinen Blog.
Selbstredend.
10 Punkte!
Und für heute und nur ausnahmsweise:
Go Cowboys, go!
1
korsakoff
02.11.2010 | 10:38 Uhr
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korsakoff : 
02.11.2010 | 10:38 Uhr
0
korsakoff : 
Êin Reiz der NFL war für mich immer, dafür "bluten" zu müssen, nächtelanges Hocken am TV-Schirm und aufgrund der spärlichen übertragungen oft wochenlange Vorfreude auf ein Spiel, auch dank des großartigen ORF und Christopher D. Ryan. Seit die RAI mehr NFL zeigt (heuer nicht mehr) und ein Kumpel ESPN eingekauft hat, ist das Gefühl bei mir nicht mehr da. Football gibt es mittlerweile fast so einfach wie Skifahrer oder Autorennen zu sehen.

Ich würde die ARD auch nicht verdammen. Die letzten 2-3 Superbowls waren sehr ordentlich kommentiert. Man darf nicht vergessen, dass man dort auch Laienpublikum berücksichtigen muss. Natürlich sind die Franzis und Kretsches der Nation völliger Unsinn und man würde lieber mal einen Roman Motzkus anstatt des sprachlich eher limitierten Tom Nütten sehen. Aber gut.
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V3N0M
02.11.2010 | 10:08 Uhr
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V3N0M : 
02.11.2010 | 10:08 Uhr
0
V3N0M : 
Super Blog Maschemist! 10 Punkte, auch weil ich grad in dem von dir beschriebenen Zustand vorm PC häng...
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maschemist
02.11.2010 | 09:49 Uhr
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maschemist : 
02.11.2010 | 09:49 Uhr
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maschemist : 
Oder einen deutschen Rich Eisen. MoD, wo bleibst du?
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Lattenknaller
02.11.2010 | 09:46 Uhr
5
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02.11.2010 | 09:46 Uhr
-1
Klasse geschrieben!
Ich finde mich in vielen deiner Zeilen wieder.


Es ist wirklich schade wie diese geniale Sportart von der dt. Medien- und v.a. Fernsehlandschaft weitestgehend ignoriert wird.
Ich darf mich gar nicht an die Super Bowl-Übertragungen der ARD erinnern, sonst steigt mir das Frühstück wieder hoch. Lohnkommentatoren ohne Fachkenntnis gepaart mit Scheinprominenz erzählen vorab etwas zu einem völlig anderen Thema bis ein medial unerfahrener Ex-Profi herangezogen wird, der allerdings fachlich allein auf weiter Flur steht und bemüht ist den Blödsinn seines Vorredners mögichst würdevoll gerade zu biegen.

Wir brauchen einen Sender, der gewillt ist Geld und Herzblut in die Übertragung zu stecken um Football hier (wieder) stark zu machen. Wir brauchen Kommentatoren, die Ahnung vom und Begeisterung für diesen wundervollen Sport haben. Wir brauchen einen deutschen John Madden!

5
gartenzwerg
02.11.2010 | 09:12 Uhr
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02.11.2010 | 09:12 Uhr
0
Klasse!
Absolut nachvollziehbar!
Gut geschrieben 10er!
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