Fans lieben ihre Vereine bedingungslos. Sie jubeln, sie leiden, sie weinen. So auch ich. Wer meine älteren Blogs gelesen hat, weiß: Ich bin KSC-Fan. Seit knapp eineinhalb Stunden weiß ich, dass es nächste Saison nicht gegen Bayern, den VfB und Bremen gehen wird, sondern gegen Fürth, Union Berlin und Alemannia Aachen.

Ich bin niemand, der mit Vereinsbrille auf die Spiele seiner Mannschaft schaut, und so oft habe ich im Verlauf dieser Saison gesagt: Der Kader hat kein Erstliganiveau. Es fehlt ein starker Stürmer. Ich habe sie verflucht, meinen Hass auf Markus Miller projiziert, dessen Patzer zum 2:1-Anschlusstor für Hannover sich jetzt als doppelt folgenschwer erweist. Und doch, nach dem 3:1-Sieg in Bremen schien wieder alles möglich. Ich liebe meinen KSC. Ich verfluche ihn bei Niederlagen, aber trotz allem: Mein Herz schlägt blau-weiß. Die Hoffnung war durchaus vorhanden, die ganze Woche habe ich praktisch an nichts anderes gedacht als dieses Spiel. Aus diesem Grund hatte ich meine Heimreise in die Pfalz, wo mich nur Häme von FCK-Fans empfangen hätte (sportliche Fairness, wie ich sie gegenüber dem FCK trotz aller Schimpftiraden immer gezeigt habe, großzügig zum Klassenerhalt gratuliert und über peinliche Niederlagen geschwiegen habe, ist den Fans der Hinterpfälzer leider fremd), um eine Woche zurückverlegt und mich mit meinen Freunden in Heidelberg verabredet, genauer: Im Lenox, wo wir bereits den 33. Spieltag gemeinsam gesehen hatten.

Ein Teil des "Worst Case"-Szenarios (Abstieg KSC, Meisterschaft VfB, Aufstieg FCK) war durch die Niederlage Kaiserslauterns gegen Duisburg bereits eliminiert, der zweite Teil schien aber weiter durchaus möglich. Ich war felsenfest überzeugt, Stuttgart würde sich in München einen Sieg erduseln, während die Bremer Wolfsburg die Schale aus der Hand rissen und sie nach Stuttgart weiterreichten.

Jedenfalls saß ich um Punkt 15.30 Uhr zusammen mit Elias (Frankfurt, in der Meisterfrage pro VfL Wolfsburg) und Simon (Leverkusen, in der Meisterfrage pro Wolfsburg) im Lenox und harrte der Dinge, die da kommen mochten. Lest nun das Protokoll von 90 Minuten zwischen Glückseligkeit und Leiden:

2. Minute: Tor für Bielefeld, ausgerechnet der Ex-Karlsruher Eggimann mit einem Eigentor. Alle Hoffnungen zerstoben fürs erste, ich schaute etwas trübsinnig in mein halbleeres Weizenbierglas. Kein Jubel in der mit etwa 50 Personen vollgepackten Kneipe.

6. Minute: TOOOR in Wolfsburg! "Scheiße, für Bremen!" war mein erster Gedanke, aber es war zum Glück Zwetschge Misimovic, der für den VfL die Weichen auf Sieg stellte. Außer uns dreien jubelte so gut wie niemand. Es sei angemerkt, dass ausgerechnet in Heidelberg, Baden, viele Anhänger des VfB, Württemberg, in der Kneipe vertreten waren. Es war zum Kopfschütteln.

15. Minute: Wieder Tor für den VfL, diesmal Grafite. Wenigstens im Meisterschaftsrennen lief es gut. Jubel von geschätzt fünf Personen.

16. Minute: Ich bestelle bei der (übrigens sehr hübschen) Bedienung ein neues Bier. Zeitgleich der Torschrei aus München. Ich schlage die Hände vors Gesicht. Doch nicht etwa...? Der Jubel von zirka vier Personen lässt mich hoffen, ich öffne die Augen - und sehe, wie Boulahrouz' abgefälschter Ball als Eigentor an dem verdutzten (und nicht ganz unschuldigen, wie sich mein Sinn für Schadenfreue beeilt, mir mitzuteilen) Jens "Die Schiedsrichter sind alle gegen uns" Lehmann vorbei ins Netz murmelt. Ich lächle. Das erste Mal heute.

18. Minute: Tor in Köln, 0:1 für Bochum. Interessiert hier keine Sau. Geht ja um nix.

22. Minute: 0:1 für den HSV bei Frankfurt. Ein anwesender Kumpel von Elias, BVB-Fan, schlägt die Hände vors Gesicht. Kaum Jubel.

25. Minute: Tor in Köln, Antar Yahia mit dem eigentorigsten Eigentor dieses Spieltags. Im Stile eines Weltklasse-Torjägers zum 1:1. Großes Gelächter im Lenox.

26. Minute: TOOOR in Wolfsburg! "Fuck, 2:1" denke ich und liege wieder falsch. Sebastian "Flankengott" Prödl, MVP der Bremer in der abgelaufenen Saison, mit einem wundervollen Eigentor zum 3:0. Läuft.

27. Minute: Tor auf Schalke. 0:1 für 1899 durch Demba ba. Händeklatschen in der Kneipe, ein wenig badische Solidarität brandet auf! Ich trinke noch einen Schluck.

30. Minute: Ausgleich für Schalke. "Bitte nicht Kuranyi!" hauche ich, aber der Kevin aus der Nutella-Werbung macht schließlich nur unwichtige Tore. Das 1:1 erzielt Krstajic.

32. Minute: TOOOR in Wolfsburg! "Jetzt aber, 3:1" unke ich, Elias meint: "4:0, die hauen denen die Hütte voll" - leider habe ich diesmal recht, orakle im Stile eines Franz Beckenbauer: "Das wird noch eng, das kippt noch! Stuttgart wird Meister". Ja, ich bin Pessimist.

33. Minute: TOOOR in Karlsruhe. "Bitte nicht." denke ich. 1:0 - Freis. Den wollte er zwar eigentlich verfehlen, aber er berührt ihn unglücklich, das 1:0. Mein Herz macht einen Satz. Unwichtig, dass er sich dabei noch scheinheilig aufs Vereinswappen klatscht, als wüsste er, dass er nächste Saison in Köln allenfalls Busfahrer wird. Egal. Auf geht's, Hannover, ein Tor. Bittebitte! Überlege, die Bedienung zu umarmen, aber die ist grad nicht in der Nähe. Die Kneipe jubelt. Doch mehr KSC- als VfB-Fans hier. Schön.

34. Minute: Schalke geht in Führung. Und es ist...es ist...Jefferson Farfan! "???" würgt Simon zwischen den Spaghetti hervor, die aus seinem Mund ragen. Ich stecke mir noch eine Kippe an. Letzten Spieltag hatten wir schon festgestellt: Niemand mag Schalke, hier in der Kneipe. Wie kommt das? Unsere empirischen Untersuchungen nach Spielende am 33. Spieltag hatten folgendes ergeben: Befragt wurden drei männliche Personen: Simon, Elias und ich. Einhellige Meinung: Tolle Fans, tolles Stadion, scheiß Management, überzogene Erwartungshaltung und Kevin Kuranyi. Klar, oder?

35. Minute: Die Freundin von Elias' Kumpel fragt, was passieren müsste, damit der KSC drinbleibt. Ich überlege kurz, sie zu erwürgen, weil ich genau DAS vor fünf Minuten bereits erläutert hatte, beschließe aber, es bei einem nachsichtigen Blick zu belassen und an meiner Zigarette zu ziehen.

40. Minute: TOOOR in Karlsruhe. Muss der Ausgleich sein. Hertha will in die Champion's League, und aufgrund unserer Fanfreundschaft wär mir das recht, der KSC bleibt eh nicht drin. Aber "Iron Maik", den ich jetzt schon zu vermissen beginne, bevor er überhaupt seinen Wechsel bekannt gegeben hat, köpft das 2:0. Was hat er uns gefehlt. Ich beginne, leise auf die Relegation zu hoffen.

45. Minute x: Abpfiff. Der Kaiser sülzt irgendwas, ich kann es nicht hören, will es nicht hören. Zünde mir eine neue Fluppe an, die Freundin von Elias' Kumpel (sorry, ich würde sie benannt haben, könnte ich mir Namen so gut merken wie Bundesliga-Abschlusstabellen der letzten zwanzig Jahre) flüchtet an die frische Luft. Elias und Simon reden irgendwas von Freibad morgen. Ich hab keine Badehose hier, mir alles egal. Ich beiße auf meine Fingernägel.

Hier geht es zur zweiten Halbzeit.