Nationalmannschaft: Die Hintertür Adler

Stefan Rommel
01. November 201221:58
Bald wieder gemeinsam in der Nationalmannschaft? Rene Adler (l.) und Manuel NeuerGetty
Werbung
Werbung

Durch die Versetzung von Tim Wiese nach der EM war die Torhüter-Rangfolge innerhalb der deutschen Nationalmannschaft klar geordnet: Manuel Neuer vor Ron-Robert Zieler und Marc-Andre ter Stegen. Doch Rene Adlers starkes Comeback und aktuelle Probleme der Neuer-Kronprinzen lassen die Hierarchie ein Stück weit wackeln - inklusive Fingerzeig von Bundestrainer Joachim Löw.

Im Grunde sind sie so etwas wie die Erfinder des Konkurrenzkampfs in der deutschen Nationalmannschaft. Jahrzehntelang war die Position des Torhüters in den DFB-Mannschaften zwar immer auch umkämpft, vor der Heim-WM 2006 aber erreichten die Debatten um die Nummer eins im Torhüterland eine völlig neue Qualität.

Die Auseinandersetzung zwischen Jens Lehmann und Oliver Kahn spaltete die Fußball-Nation, wie es vorher vielleicht noch die großen Fragen der 60er und 70er Jahre geschafft hatten: Müller oder Seeler, Overath oder Netzer?

Die marktschreierischen Dimensionen wurden erst wenige Wochen vor dem Endturnier gesprengt, als sich Andreas Köpke in Absprache mit dem damaligen Bundestrainer Jürgen Klinsmann für Lehmann und gegen Kahn entschieden hatte. Diese Diskussion war damit beendet. Der Blick auf die Fänger im deutschen Tor hat sich mit den Ereignissen von damals aber doch sehr verändert.

Wenn die deutsche Nationalmannschaft in knapp zwei Wochen das Länderspieljahr 2012 mit dem freundschaftlichen Vergleich gegen die Niederlande ausklingen lassen wird, dürfte sie eine neuerliche, wenngleich auch minder hitzige Debatte mit ins neue Jahr schleppen.

Diskussionen um Adler-Rückkehr

Vor wenigen Monaten schienen die Pfründe klar abgesteckt. Manuel Neuer ist die Nummer eins, der "beste Torhüter der Welt", zu dem ihn die Seinen beim FC Bayern gerne erklären, muss zwangsläufig auch der Beste für Deutschland sein.

Neuer hat seine Position seit zwei Jahren inne, der Wechsel zum Rekordmeister in Verbindung mit seinem bereits erreichten Status quo im Kreis der Nationalmannschaft dürfte ihn bis auf Weiteres in der Führungsposition belassen. "Manuel Neuer ist die unangefochtene Nummer eins", sagte der Bundestrainer noch vor dem Irland-Spiel in Dublin vor wenigen Wochen.

Da wurden bereits erste Diskussionen um eine Rückkehr von Rene Adler in die Nationalmannschaft angeregt. Der war gewissermaßen Neuers Vorgänger, streng genommen sogar dessen kaum einholbarer Kontrahent.

Einstige Nummer eins geriet in Vergessenheit

Mit Adler im Tor wollte das DFB-Trainerteam die Weltmeisterschaft in Südafrika bestreiten. Neuer und Tim Wiese galten nach dem Suizid von Robert Enke wenige Monate davor als Adlers Kronprinzen. Mehr aber zu diesem Zeitpunkt auch nicht. Adlers Verletzung stellte die Hackordnung jedoch auf den Kopf und spülte Neuer auf den begehrten Posten.

In den Monaten danach geriet Adler derart in Vergessenheit, dass der Bundestorwarttrainer in seinen Aufzählungen möglicher Kandidaten ein halbes Dutzend deutscher Keeper nannte - Rene Adler aber nurmehr auf Nachfrage, noch eher aus diplomatischen Gründen erwähnt wurde. Was andererseits auch verständlich war, war Adler doch dauerverletzt und verlor seinen Posten im Verein an den blutjungen Bernd Leno. So weit ging Köpkes Treue dann doch nicht, dass er an der ungewissen Zukunft Adlers hätte vehement festhalten wollen.

Zumal sich in der Zwischenzeit andere in den Vordergrund spielten. Von Ron-Robert Zieler und Marc-Andre ter Stegen wusste man vor zwei Jahren noch nicht viel. Gut, Zieler hatte sich bei Manchester United und in Northampton ausbilden lassen. Die englische Torhütertradition darf nun allerdings auch nicht den besten Leumund für sich beanspruchen...

Debüt von Zieler und ter Stegen

Den eingeschlagenen Weg der Verjüngung repräsentierten beide jedenfalls perfekt. "Die jungen Torhüter sind mutiger", sagte Köpke damals im SPOX-Interview - die beiden Neuen wollte er sich damals aber nicht in den Kader diktieren lassen.

"Sie haben erst ein paar Bundesligaspiele absolviert. Ich tue mich immer schwer damit, sie sofort mit der Nationalmannschaft in Verbindung zu bringen. Damit tut man den Spielern auch keinen Gefallen. Denn hoch kommt man durch gewisse Umstände oft sehr schnell, aber diese Leistungen müssen auf diesem hohen Niveau auch konstant abgerufen werden." Zieler gab dann trotzdem nur drei Monate später gegen die Ukraine (3:3) sein Debüt, ter Stegen zog vor der EM im Testspiel gegen die Schweiz nach (3:5).

SPOXspoxBis dahin lief für die Reihe hinter Neuer gefühlt alles glatt. Der Start in die laufende Saison erwies sich aber schwieriger als erwartet. Derzeit ziehen erste kleine Wolken für die beiden Kronprinzen auf. Zieler und ter Stegen sind zwei von 17 Stammtorhütern mit deutschem Pass in der Bundesliga. Lediglich Wolfsburgs Diego Benaglio verhindert die totale deutsche Dominanz in den Toren der Bundesligaklubs. Solch eine Quote ist nahezu unglaublich und im Vergleich mit den europäischen Topligen einzigartig.

Verlust der Leichtigkeit

Als vor dem ersten Testspiel nach der EM gegen Argentinien etwas überraschend Tim Wiese vorerst außer Dienst gestellt wurde, schien die Position für Zieler und ter Stegen perfekt: Mit einem Rivalen weniger - Wiese war bei der Europameisterschaft immerhin noch die Nummer zwei - hätten sich die beiden auf den Angriff auf Neuer vorbereiten können.

Drei Monate später sieht die Lage etwas anders aus. Mit Hannover erlebte Zieler eine durchwachsene Saison, ter Stegen mit Borussia Mönchengladbach sogar einen veritablen Absturz. Die Leichtigkeit der letzten Saison ist weg, beide wirken durchaus auch unsicher, was gerade beim doch sehr selbstbewusst auftretenden ter Stegen augenscheinlich wird.

Zieler hat nach neun Spieltagen 16, ter Stegen bereits 18 Gegentreffer kassiert. Letzte Saison erreichte Gladbachs Keeper diese Marke erst am 27. Spieltag. Natürlich sind die vielen Gegentreffer in erster Linie immer die Konsequenz des Abwehrverhaltens der gesamten Mannschaft. Mit dem einen oder anderen Fehler trugen aber Zieler und ter Stegen nun auch schon zu der Flut an Toren bei.

Nimmt man jetzt noch die geparkte deutsche Nummer vier dazu, hat man die Schießbuden der Liga gleich beisammen. Wiese soll als eine Art Stand-by-Nationalspieler bereitstehen und hat das auch klaglos so angenommen. "Wenn's brennt, stehe ich bereit", sagt Wiese. Der hat in dieser Saison aber in den fünf Spielen, in denen er auf dem Platz stand, schon 17 Gegentore geschluckt.

Wiese mit schlechten Karten

An seinem Ansinnen, in gut anderthalb Jahren mit nach Brasilien zur WM zu fahren, hat er bis jetzt aber nichts korrigiert. "Mit der Nationalmannschaft will ich in zwei Jahren in Brasilien Weltmeister werden. Das wäre ein Traum." Mit Wiese im Gehäuse? "Mir würde es reichen, wenn wir Weltmeister werden. Egal, wer im Tor steht."

Die Chancen dafür dürften sich Stand heute elementar verschlechtert haben. "Es gab noch nie einen besseren Adler als jetzt", sagen sie in Hamburg. Genauer gesagt, referiert Rene Adler so über sich selbst. Er habe jetzt seinen Weg gefunden.

In der Tat ist Adler bisher der konstanteste Torhüter der Bundesliga und längst wieder dicht dran an einer Berufung ins Nationalteam. "Wir sind von dem Können unserer drei Torhüter überzeugt und sehen keinen Grund, etwas zu verändern", meinte Löw zwar noch vor einigen Wochen.

Der Druck von außen nimmt aber stetig zu. "Wenn man die Möglichkeit und die Meinung hat, dass Adler - der vorher die Nummer eins war - wieder zum Kreis der Nationalmannschaft dazustoßen könnte, dann so früh wie es geht", sagt etwa Jens Lehmann.

Löw lässt sich Hintertür offen

Also lässt Löw auch eine große Hintertür offen, wenn er sagt: "Rene war nie gänzlich abgeschrieben: Er ist auf dem Sprung. Wenn er verletzungsfrei bleibt, ist er ein Torhüter auf ganz hohem Niveau. Es ist die allerwichtigste Aufgabe, für die WM 2014 die drei richtigen Torhüter zu nominieren." Man darf das durchaus als Fingerzeig für Zieler und ter Stegen verstehen.

Am Samstag kann sich der Bundestrainer ein Bild machen von der derzeitigen Nummer eins im deutschen Tor und dem besten Torhüter der laufenden Bundesliga-Saison. Dann treffen Neuer und Adler in der Liga nach über einem Jahr wieder aufeinander. Wenige Tage später wird Löw dann sein Aufgebot für das Spiel in Amsterdam bekanntgeben.

Derzeit erscheint viel offen. Nur eins ist sicher: Ron-Robert Zieler kann definitiv nicht dabei sein. Er ist nach der Roten Karte gegen Argentinien für ein Testspiel gesperrt.

DFB-Team: Alle News und Informationen