Wieder mal diskutiert Fußball-Deutschland über die Torhüterfrage in der Nationalmannschaft. Wer hat Recht: Manuel Neuer oder Marc-Andre ter Stegen? Ein Pro und Contra der SPOX-Redaktion.
Nachdem ter Stegen seinen Frust nach der erneuten Rolle als Bankdrücker bei den EM-Qualifikationsspielen gegen die Niederlande und in Nordirland öffentlich gemacht hatte ("Es ist nicht einfach, eine Erklärung für das zu finden, was ich erlebe") , reagierte Neuer mit deutlichen Worten.
"Er hat bei der Nationalmannschaft nichts gesagt. Ich weiß nicht, ob uns das hilft. Wir sind eine Mannschaft und sollten alles dafür tun, dass wir als Mannschaft auftreten", sagte der Bayern-Keeper, dem Löw in den vergangenen Spielen weiter den Vorzug gegeben hatte.
Nun ist die Debatte über die bessere Nummer 1 im DFB-Team wieder voll entbrannt. Wer ist schuld?
Marc-Andre ter Stegen hätte sich zurückhalten müssen
von Stefan Petri
Dass Marc-Andre ter Stegen Frust schiebt, ist vollkommen verständlich und hinlänglich bekannt. Dass er spielen will, berechtigt. Dieses Fass zum wiederholten Male über die Medien aufzumachen, ist jedoch schlicht und ergreifend nicht zielführend. Neuer hat Recht, wenn er in Frage stellt, ob das der Mannschaft hilft.
Man mag der gleichen Meinung sein oder auch nicht, doch Bundestrainer Joachim Löw hat sich im Torhüter-Duell klar positioniert. Er hat nach der WM und dem anschließenden Umbruch an Neuer festgehalten, der Bayern-Keeper ist Kapitän und Führungsspieler. Für Löw ist Neuer unersetzlich, auf und neben dem Platz.
Das ist die fehlende Erklärung für den Bankplatz, über die sich ter Stegen nach den Länderspielterminen beklagte. Sie ist kein Geheimnis, vielmehr wird sie dem 27-Jährigen aus internen Gesprächen mit Löw und dessen Trainerstab vertraut sein.
Ter Stegen muss sich - zähneknirschend - darüber bewusst werden, dass ein Gang an die Öffentlichkeit kontraproduktiv ist. Für Löw wird derartige Kritik mitnichten der Grund sein, seine Nummer zwei öfter einzusetzen, oder ihr sogar Bonuspunkte im Kampf gegen Neuer anzurechnen. Im Gegenteil: Der Bundestrainer setzt klar auf Neuer und hat ter Stegen "für die Zeit nach Manuel Neuer" den Stammplatz versprochen. Sorgt der zuvor für Unruhe, wird er das nicht hinnehmen.
Zumal die erneut aufwallende Diskussion das Team nicht voranbringen wird. Die DFB-Elf hat genug Probleme, einen weiteren Brandherd kann sie nicht gebrauchen. Spieler werden gezwungen, sich für oder gegen ter Stegen auszusprechen, das Sportliche wird überschattet. Und auch sportlich gibt es nach zuletzt sehr guten Leistungen kaum noch Argumente gegen Neuer.
Er wolle sein Ziel, endlich Nummer eins zu werden, "nicht über jeden Preis erreichen", hat ter Stegen zuletzt gesagt. So weh es ihm tut, er muss jetzt die Füße stillhalten. Seine Ära im Tor der Nationalmannschaft wird kommen. Wenn Manuel Neuer zurücktritt, wenn Löw den Umbruch im Tor ausruft - oder womöglich auch dann, wenn der seinen Trainerposten räumt. Das könnte schon nach der EM 2020 der Fall sein.
So oder so: Durch öffentliche Klagelieder erhöht ter Stegen seine Chancen nicht. Er sollte sich selbst einen Gefallen tun und damit aufhören.
Ter Stegens Kritik war in Ordnung
von Martin Volkmar
Jens Lehmann hat es gut auf den Punkt gebracht: Er finde es gut, wenn Spieler die Ansprüche äußern, spielen zu wollen, meinte der Ex-Nationaltorhüter. Und dass ter Stegens Aussagen absolut "nicht unter der Gürtellinie waren", bestätigte sogar DFB-Torwarttrainer Andreas Köpke.
Zumal ter Stegens Frust aus mehreren Gründen verständlich ist, denn in wohl allen anderen Ländern wäre ein Stammkeeper des FC Barcelona auch die Nummer 1 in der Nationalmannschaft. Und auch völlig zu Recht, schließlich gehört ter Stegen aufgrund seiner Leistungen zur absoluten Weltklasse. Daher hat ihn die FIFA auch neben Alisson und Ederson zur Wahl des weltbesten Torwarts nominiert.
Schon vor der WM 2018, aber spätestens danach im Zuge der Ausbootung zahlreicher Weltmeister sprach sehr viel für einen Wechsel von Manuel Neuer zu ter Stegen. Jogi Löw traute sich nicht, auch seinen Kapitän auszusortieren, versprach dem Herausforderer aber mehr Einsatzzeit. Doch darauf wartet ter Stegen bislang vergeblich, im EM-Qualifikationsspiel gegen Nordirland soll der Bundestrainer eine entsprechende Zusage sogar kurzfristig wieder zurückgezogen haben.
Dass der Ex-Gladbach sein Unverständnis über diese Behandlung nicht im Kreis der DFB-Auswahl öffentlich machte, sondern erst danach, ist im Gegensatz zu Neuers Vorwürfen nicht unehrlich, sondern vielmehr professionell. Schließlich hätte das für massive Unruhe gesorgt. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Hätte Neuer nicht am Samstagabend offenbar sogar geplant gegen ter Stegen gekontert, wäre das Thema "Torwartstreit" gar nicht erst so hochgekocht.
Ohnehin argumentiert der Platzhalter vom hohen Ross: Als Stammspieler kann man leicht die Bankdrücker zur Zurückhaltung auffordern. Schließlich dient es ja auch dem eigenen Machterhalt, wenn Kritiker mit dem Verweis, man sei - offenbar im bewussten Gegensatz zu ter Stegen - "Mannschaftsspieler" - zum Schweigen aufgefordert werden.
So lange ter Stegen bei Löw anscheinend keine echte Chance im Duell mit Neuer hat, muss er sowohl mit sportlichen Leistungen als auch verbal Werbung in eigener Sache machen.
Denn wenn Neuer noch so lange wie Jens Lehmann in der Nationalelf spielt, nämlich bis fast 40, wäre die DFB-Karriere des dann 34-jährigen ter Stegen vorbei, bevor sie richtig begonnen hätte.
Manuel Neuer und Marc-Andre ter Stegen im Steckbrief
Manuel Neuer | Kategorie | Marc-Andre ter Stegen |
27. März 1986 (33) | Geburtsdatum | 30. April 1992 (27) |
1,93 Meter | Größe | 1,87 Meter |
19. August 2006 | Bundesligadebüt | 10. April 2011 |
Schalke 04 2005 - 2011, FC Bayern seit 2011 | Vereine | Bor. Mönchengladbach 2009 - 2014, FC Barcelona seit 2014 |
601 | Pflichtspiele Verein | 393 |
476 | Gegentore | 367 |
286 | Weiße Westen | 160 |
2. Juni 2009 | Länderspieldebüt | 26. Mai 2012 |
90 | A-Länderspiele | 22 |
68 | Gegentore | 22 |
34 | Weiße Westen | 9 |
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