Auswärtsspiel - die SPOX-Kolumne: Haste Scheiße an der Hand...

Fatih DemireliSPOX
25. Mai 202119:37
SPOXgetty
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Fußball-Europa hat eine ereignisreiche Saison hinter sich. Höchste Zeit, Bilanz zu ziehen, Gewinner und Verlierer zu benennen. Mit dabei: Portugiesische Nagelsmänner, fluchende Stürmer die zu Helden werden - und Sally. Die internationalen Tops und Flops.

Tops

Ruben Amorim: Portugals Nagelsmann

Rekordablöse für einen jungen Trainer? Das Vertrauen in die Perspektive. Wow, toll, lieber FC Bayern! Da hat eure Scouting-Abteilung ja richtig tief in die Trickkiste gegriffen. Julian Nagelsmann ist ein guter Trainer. Wer hätte das gedacht?!

Was soll man dann über Sporting sagen? Als der 18-fache Meister Portugals Ruben Amorim 2020 für zehn Millionen Euro Ablöse verpflichtete, hatte der gute Mann gerade mal 13 Pflichtspiele als Cheftrainer hinter sich und feuerte bei Sporting Braga jetzt auch nicht 13 Feuerwerke ab. Aber die Sporting-Bosse sahen es wohl kommen und behielten recht.

Drei Jahre, nachdem auf dem Trainingsgelände der Grün-Weißen ein paar Spieler verprügelt wurden, feierte der Klub die Meisterschaft. Amorim kam, kaufte klug ein, um ein 3-4-3 zu installieren und siehe da: Zuckerfußball und ganz viele neue Talente wie Nuno Mendes, der bald sicherlich für mehrere 100 Millionen Euro nach Paris wechseln wird. Oder sonst wohin. Der Verein, der einst von Lissabons Elite gegründet wurde, fristete in den letzten Jahren ein trostloses Dasein. Nun ist man zurück auf der großen Bühne.

Rangers: Das Comeback

Die Fans der Rangers aus Glasgow mussten viele Jahre leiden. Zwangsabstieg, während Celtic jeden Titel abräumte, den es in Schottland zu gewinnen gibt. Doch dann kam Steven Gerrard als Trainer, injizierte den Blauen neues Selbstvertrauen, baute eine tolle Mannschaft auf und machte die Rangers in der abgelaufenen Saison ungeschlagen zum Meister der Scottish Premier League.

Einige Fans des FC Liverpool träumen inzwischen davon, dass eines Tages (oder vielleicht auch früher) Gerrard an die Anfield Road zurückkehrt, um das zurückzubringen, was zusammengehört. Doch vorher muss Stevie G. den Liverpool-Anhängern noch erklären, was dieser Flirt mit Sir Alex Ferguson soll. Als der ehemalige Trainer von Manchester United, dem größten Rivalen Liverpools, neulich erklärte, welch großartiger Trainer Gerrard ist, kam dieser gar nicht mehr aus dem Staunen heraus: "Alex ist einer der Besten überhaupt. Seine Worte schmeicheln mir und machen mich demütig."

Gerrard holte sich nach eigenen Angaben sogar ein paar Tipps und bat auch um ein persönliches Gespräch. Gerrard freudig: "Er hat das akzeptiert." Die Liverpool-Fans werden es ihm verzeihen, wenn er irgendwann zurückkommen sollte, aber die Anrufe beim ewigen United-Boss sollte er dann sein lassen.

Steven Gerrard ist mit den Glasgow Rangers Meister geworden.getty

OSC Lille: Für ganz Nordfrankreich

Eigentlich hatte es Christophe Galtier ja gut gemeint und eigentlich weiß auch Burak Yilmaz, dass der Trainer des OSC Lille recht hatte, als er seinen Stürmer darum bat, mehr Defensivarbeit zu verrichten. Aber das Spiel war fast vorbei und Burak ist halt auch schon 35: Erst fluchte er auf Türkisch, dann wiederholte er das Ganze auf Englisch, aber ohne Kraftausdrücke: "I am striker!" Ich bin Stürmer, schrie Burak.

Kurze Zeit später war das Spiel in Angers vorbei und Galtier und Yilmaz lagen sich in den Armen und weinten um die Wette. Lille beendete die Monotonie in der Ligue 1 und wurde Frankreichs Meister. Millionen auf der Welt feierten mit, weil das große Starensemble Paris nicht Meister wurde. "Es ist ein Titel der Arbeit und Solidarität", sagte Lille-Kapitän Jose Fonte: "Einer für ganz Nordfrankreich. Leute, die viel arbeiten."

Antonio Conte: Danke, liebes Ich

Man kann von Antonio Conte nicht behaupten, dass er gerne den bequemen Weg wählt. Wenn es sein muss, lässt es Conte, der auch als Spieler kein Kind von Traurigkeit war, krachen. Ist eine Aufgabe schwer, ist das halt so.

"Als ich zu Inter kam, habe ich mir ganz schön viel Druck auferlegt", sagte Conte. "Ich kam zu einem Klub, der wie alle anderen in Italien seit neun Jahren nichts gewonnen und Juventus zugesehen hatte."

Conte wollte dies ändern, genoss aber nicht immer die Unterstützung aus den eigenen Reihen. Viele Fans sahen ihn kritisch, weil er eine lange Juve-Vergangenheit hat. Und auch die chinesischen Klub-Besitzer hatten wohl so ihre Zweifel. Conte ließ es zwischendurch sogar darauf ankommen und stand vor dem Aus.

Doch er bleib, "arbeitete hart" und wurde Meister. Als er nun gefragt wurde, wem er den Titel widmet, antwortete Conte: "Mir selbst." Denn: "Ich wusste, dass es nie einfach wird." Seine Spieler können sich mit Contes Ansichten anfreunden. Stürmer Romelu Lukaku sagt: "Für Conte würde ich sterben."

Manchester City: Noel eine Freude gemacht

"And soooooooooo Sally can wait ..." Als Pep Guardiola zuletzt mal zufällig kein Spiel analysierte und sich etwas Spaß gönnte, trällerte er den Refrain von "Don't Look Back in Anger" in die Kamera einer Mitarbeiterin des Klubs. Dass der Song auf der Meister-Party von Manchester City lief, war natürlich kein Zufall. Die Zeilen stammen von Noel Gallagher, dem wohl berühmtesten City-Fan der Welt.

Wie groß Gallaghers Verbundenheit mit den Blues ist, erzählt vielleicht folgende Geschichte: Als Englands früherer Nationalspieler Gary Neville vor ein paar Jahren damit begann, Gitarre zu spielen, schickte er Gallagher sein Instrument, um sich ein Autogramm abzuholen. Gallagher ging darauf ein, kritzelte aber folgende Zeilen auf die Gitarre der Legende von Manchester United:

"Lieber Gary, wie oft hast du in der englischen Nationalmannschaft gespielt? Wie oft war das wirklich verdient? Ich kann es dir sagen: Kein einziges verdammtes Mal! Viele Grüße, Noel Gallagher! M.C.F.C."

Neville beglückwünschte City nun artig zum Titel. Wie denn auch nicht? Guardiolas Truppe spielte über die gesamte Spielzeit einen richtig guten Ball, veränderte die Statik des Spiels, operierte aus einer deutlich verbesserten Defensive und wurde zurecht Meister. Gelingt nun auch der Champions-League-Titel oder muss Sally noch warten?

Flops

Juventus: Die Champions League ist doch nicht so übel?!

Natürlich können die Spieler von Juventus nichts dafür und natürlich ist es ihr gutes Recht, sich über den Einzug in die Champions League zu freuen. Doch was wohl Klub-Boss Andrea Agnelli gedacht hat, als seine Spieler nach dem Sieg in Bologna fröhlich feierten, weil sie doch noch in die Königsklasse einzogen?

Immerhin geht es um den Wettbewerb, den Agnelli nicht mehr für gut genug hält. Der Wettbewerb, den Agnelli lieber gestern als heute verlassen würde, um in der Super League noch mehr Geld zu verdienen. Der Wettbewerb, für den sich Juventus nach neun Jahren Serienmeisterschaft in letzter Sekunde qualifizierte und sich ein bisschen Restehre rettete.

Hätte der SSC Neapel Hellas Verona nicht auf die leichte Schulter genommen, wäre auch die letzte Ausfahrt verpasst worden. Und um mal ganz unparteiisch zu urteilen: Agnelli hätte das sowas von verdient ...

Florentino Perez: Er gibt nicht auf

... genauso wie Florentino Perez, der aber auch den Einzug in die Champions League "feiern" darf. Dass der Real-Präsident bisher noch nie den Preis für den beliebtesten Fußball-Funktionär der Welt gewann, ist klar. Aber der Baulöwe machte sich in diesem Jahr noch eine Spur unsympathischer.

Nicht nur, dass er die Super League auf Haut und Haare verteidigte. Nein, der Real-Boss kämpft - im Gegensatz zu fast allen anderen Abtrünnigen - weiter unerbittlich um die europäische Superliga. Perez präsentiert sich als Retter des europäischen Fußballs. Ohne das Geld der Banken aus Übersee würde man nicht überleben.

"Die Kleinen gewinnen ein bisschen Geld, aber die Großen verlieren Geld", sagte Perez neulich. Die Aussage ist eine Unverschämtheit und der Putschversuch der Großen, angeführt von Perez, geht als eines der schwärzesten Kapitel in die Geschichte des modernen Fußballs ein.

Real Madrids Präsident Florentino Perez.Imago Images

Jose Mourinho: Bergwijns Fehlschüsse

In einer Saison mit 38 Spielen kann man schwerlich behaupten, dass eine einzige Partie über Glück und Unglück entscheidet. Aber manchmal gibt eine einzige Partie vielleicht die Richtung vor. So wie am 13. Spieltag, als Tottenham als Tabellenzweiter zum Tabellenführer Liverpool reiste, richtig gut spielte und Steven Bergwijn zwei Mal den Sieg auf dem Fuß hatte.

Doch der Niederländer scheiterte kläglich und wie es so kommen musste, schoss Roberto Firmino das Siegtor für Liverpool. Tottenham rutschte nur drei Spieltage später auf Platz sieben ab und erholte sich davon nicht mehr. Die Spurs-Fans wüteten damals im Netz, beschimpften Bergwijn, was Spurs-Trainer Jose Mourinho ziemlich wütend machte: "Es kann sein, dass in manchen Klubs eine Kultur vorherrscht, in der es heißt: Sie verlieren, wir spielen Unentschieden und ich gewinne, aber bei uns gewinnen und verlieren wir zusammen."

Die Spurs verloren aber dann mehr zusammen als dass sie gewannen und rutschten weiter ab. Für Mourinho der Anfang vom Ende - am 19. April wurde er bei Tottenham entlassen. Dank der 40 Millionen Euro Abfindung und dank einer Festanstellung beim AS Rom wird er es sicher schon verkraftet haben.

Ricardo Gomes: Fass mich nicht an!

Ricardo Gomes hat bis zu seinem 29. Lebensjahr noch keine Raketen-Karriere hingelegt. Vielmehr ist der Mann von den Kapverden das, was man einen Wandervogel nennt. Er spielte in seiner Heimat, dann in Portugal, Serbien, den Emiraten und seit Oktober 2020 in der Türkei bei Erzurumspor.

Dort schoss der Stürmer fünf Tore in 31 Spielen. Als ihn sein Trainer Yilmaz Vural beim Gastspiel gegen Fenerbahce einwechseln wollte, lehnte Gomes ab. Direkt nach dem Spiel erklärte Trainer Vural, dass er Gomes am liebsten geschlagen hätte: "Aber das darf man ja nicht mehr."

Nun legte Vural nach und offenbarte weitere Details. "Als ich ihm meine Hand an die Schulter legte, um ihm zu sagen, dass wir ihn brauchen, sagte er: 'Don't touch me.' Alter, ich habe doch keine Scheiße in der Hand. Was soll das? Gott hat mir in dem Moment viel Geduld gegeben, sonst hätte ich ihm die Fresse eingeschlagen, aber wir hätten uns in der Welt blamiert." Erzurum stieg nach dem Spiel ab und Ricardo Gomes zieht in der Welt demnächst weiter.

Yilmaz Vural (l.) ist Trainer bei Erzurumspor.imago images

Nein zu Rassismus

Nun aber mal im Ernst: In der vergangenen Saison wurde der Fußball einmal mehr dazu benutzt, rassistisches Gedankengut zu verbreiten. In Belgien singt Brügges Noa Lang antisemitische Lieder mit den Fans, in England werden Menschen festgenommen, weil sie organisiert Spieler über die sozialen Medien rassistisch beleidigen.

In der Champions League fällt einem Schiedsrichter nur die Hautfarbe von Pierre Webo ein, um ihn zu beschreiben und sorgt für einen Spielabbruch bei Paris Saint-Germain gegen Basaksehir FK. In Spanien verließen die Spieler des FC Valencia den Platz, weil Mouctar Diakhaby rassistisch beleidigt wurde. Übeltäter Juan Cala vom FC Cadiz blieb genauso unbestraft wie der rumänische Schiedsrichter Sebastian Coltescu.

Diese Liste könnte man leider unendlich fortführen. Der Kampf gegen den Rassismus darf nicht nur ein Lippenbekenntnis oder eine Social-Media-Aktion sein, sondern muss auch praktiziert werden. Doch davon kam in der abgelaufenen Saison zu wenig.