Joe Zinnbauer ist mit großen Zielen beim Hamburger SV angetreten. Bisher stimmen die Ergebnisse aber eher negativ, in der Bundesliga kommt der HSV nicht vom Fleck. Dabei passt die Richtung, in die der Trainer seine Mannschaft lenken will. Das Pokalspiel gegen die Bayern (20.30 Uhr im LIVE-TICKER) könnte da gerade recht kommen.
Am Montag hat der Hamburger SV den Cheftrainer der Profimannschaft auch mit einem entsprechenden Vertrag ausgestattet. Joe Zinnbauer ist jetzt auch formal einer der wichtigsten Männer im Klub und natürlich lohnt sich ab sofort der Blick auf den Lohnzettel doppelt.
Der HSV ist konsequent den Schritt gegangen und hat sein Vertrauen in Zinnbauer nun auch dokumentiert. Die Entscheidungsträger sind inhaltlich offenbar voll überzeugt von Zinnbauer - dabei ist dessen Bilanz mit nur einem Sieg und fünf Punkten aus sechs Bundesligaspielen durchaus ernüchternd.
"Ich finde es toll, dass der Verein gerade nach der 0:3-Niederlage am vergangenen Wochenende in Berlin bei Hertha BSC auf mich zugekommen ist. Ich freue mich über das Vertrauen des Vereins", sagte Zinnbauer.
Bei seiner Antrittsrede Mitte September hat der 44-Jährige optimistisch gewirkt, die Problemfelder angesprochen und einen neuen Wind versprochen, der bald in der Mannschaft wehen werde. Es waren die Tage vor dem Bundesligaspiel gegen die Bayern. Die schwerste aller schweren Aufgaben, für einen Novizen auf der Trainerbank aber auch eine recht dankbare.
Klares Konzept von Zinnbauer
Der HSV zeigte sich dann in der Tat verbessert und trotzte dem Rekordmeister ein Remis ab. Sechs Wochen später stehen sich beide Mannschaften in der 2. Runde im DFB-Pokal erneut gegenüber (20.30 im LIVE-TICKER), mit zumindest für den HSV und Zinnbauer aber etwas anderen Vorzeichen.
Die Hamburger kommen auch nach neun Spieltagen nicht vom Fleck, die Tabelle weist den HSV immer noch auf Relegationsrang 16 aus. Das ist der offensichtliche Beleg dafür, dass sich wenig geändert hat im Vergleich zur Vorsaison.
Nach dem euphorischen Start mit dem neuen Trainer hat sich die Mannschaft in den letzten Partien wieder in einen gewohnten Trott manövriert, das 0:3 gegen Hertha BSC am vergangenen Wochenende war in seiner Art und Weise wie ein Ausriss aus längst vergangen geglaubten Zeiten, unter den Trainern Thorsten Fink, Bert van Marwijk oder Mirko Slomka.
Dabei hat das Team auch schon gezeigt, dass es anders kann. Die Spiele gegen Dortmund und Hoffenheim waren nicht nur ertragreich, sie folgten auch einem klaren Konzept. Der Leistungsabfall gegen Berlin kam deshalb umso überraschender. Es wird offensichtlich, dass die Mannschaft einige bekannte Probleme immer noch nicht im Griff hat.
Zinnbauer hat bei seiner Vorstellung nicht nur einen frischen Eindruck hinterlassen, er hat auch einige Schwachstellen klar benannt. Was hat sich seitdem verändert und wo hat die Mannschaft noch erhebliche Probleme? Eine Bestandsaufnahme.
Die nackten Zahlen
"Wir brauchen schnelle Erfolgserlebnisse, um uns aus unserer Lage zu befreien", sagte Zinnbauer im September. Seitdem hat der HSV ein Spiel gewonnen, zweimal unentschieden gespielt und drei Partien verloren. Der Punkteschnitt in dieser kurzen Zeit entspricht nicht dem einer Mannschaft, die die Liga halten könnte.
Immerhin hat es Zinnbauer geschafft, die Defensive einigermaßen zu stabilisieren. Hamburg steht mit zwölf Gegentoren aus neun Spielen in dieser Statistik ziemlich gut da und im Mittelfeld der Liga. In der abgelaufenen Saison waren es nach neun Spieltagen bereits 22 Gegentore, die meisten der Liga.
Auf der anderen Seite ist die Mannschaft offensiv historisch harmlos. Bisher hat der HSV erst drei Tore erzielt. Noch nie zuvor in 51 Jahren Bundesliga hatte ein eine schwächere Bilanz aufzuweisen. Selbst Tasmania Berlin, das gerne als Referenzgröße für allerlei Negativrekorde bemüht wird, hatte zum selben Zeitpunkt damals doppelt so oft ins gegnerische Tor getroffen.
Sechs Punkte nach neun Partien sind ein indiskutabler Wert. Zwar sind sogar zwei Mannschaften derzeit noch schlechter platziert, der Anschluss an Hertha BSC auf Platz 13 ist aber schon auf fünf Punkte angewachsen.
Das Personal
"Wenn es nicht funktioniert, dann hole ich auch Spieler aus der U 23", sagte Zinnbauer im September. Bisher vertraut der Trainer in der Hauptsache auf den Stamm der Profis - er machte seine Ankündigung aber auch schon wahr.
Ville Matti Steinmann (19) hat seine ersten Bundesligaminuten absolviert, Ashton-Phillip Götz ist ein Schützling Zinnbauers aus der zweiten Mannschaft; zuletzt ersetzte der 21-Jährige den verletzten Dennis Diekmeyer rechts in der Viererkette. Valmir Nafiu, der bisher kaum eine Rolle gespielt hat, durfte in Berlin ran.
Dafür strich Zinnbauer seinen Innenverteidiger Cleber und auch Angreifer Artjom Rudnevs für die beiden letzten Partien aus dem Kader. Der Trainer lässt seinen Worten auch Taten folgen, ohne dabei den Bogen zu überspannen.
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Die Spielidee
"Unsere Schwächen müssen wir minimieren und durch unsere Stärken verstecken", sagte Zinnbauer im September. Von der ersten Trainingseinheit an ließ der Trainer besonders defensive Abläufe trainieren, legt großen Wert auf die Disziplinen Pressing und Gegenpressing. Auf dem Platz stellt sich in der Tat auch ein anderer HSV dem Gegner vor.
Die Mannschaft verteidigt anders als unter Slomka noch mutiger nach vorne, die Zentrale ist - auch dank Valon Behrami - besser unter Kontrolle, die Zahl der Gegentore nach schnellem Umschalten des Gegners hat sich verringert. Das Spiel gegen die Hertha bildet da die große Ausnahme.
In der Defensivbewegung sieht das nach einem klaren Plan aus, den die Mannschaft auch schon recht gut umsetzen kann. Nach einer Balleroberung beginnen aber die Probleme. Weder kommt das Team in die gewünschte schnelle Umschaltbewegung nach vorne, noch kann es Angriffe gegen einen gut organisierten Gegner zielstrebig und konsequent zu Ende spielen.
"Wir sind nicht prägend genug in der Offensive", fasste es Peter Knäbel nach dem Hertha-Spiel etwas verkopft zusammen. "Wir schießen einfach zu selten aufs Tor. Und wenn wir schießen, dann nicht gut genug. Wir müssen mehr Brutalität für das erste Tor an den Tag legen und wir haben nach dem 0:1 eine schlechte Reaktion gezeigt", so der neue "Direktor Profifußball" weiter.
Das Angriffsspiel stockt enorm, 36 Torchancen sind für die Hamburger notiert. Das macht lediglich vier pro Partie und ist angesichts der verheerend schwachen Chancenverwertung von deutlich unter zehn Prozent auf Dauer ein bedrohliches Problem.
Ein Fragezeichen bleibt hinter Rafael van der Vaarts Rolle im Team. Der Routinier ist wieder fit und wurde von Zinnbauer zuletzt auch zweimal von Beginn an eingesetzt. Van der Vaart passt als Spielertyp vielleicht aber nicht perfekt in die Art von Fußball, die der Mannschaft im Moment noch am ehesten zuzutrauen ist. An den von Zinnbauer prinzipiell präferierten Ballbesitzfußball ist derzeit überhaupt nicht zu denken, also bleibt nur die Option, über schnelle Konter zum Abschluss zu kommen.
Van der Vaart besitzt zwar immer noch überragende Qualitäten mit dem Ball am Fuß oder bei Standardsituationen, die Intensität und Genauigkeit seines Pressings ist aber weiter ausbaufähig und trotz aller überdurchschnittlicher Laufbereitschaft geht ihm in vielen Momenten das nötige Tempo in seinen Aktionen ab.
Die Gier nach Erfolg
"Ich will Emotionen reinbringen, den Teamgeist verbessern und den unbedingten Siegeswillen vermitteln", sagte Zinnbauer im September. Der Teamgedanke hat sich verbessert, die Spieler helfen sich gegenseitig auf dem Platz, die Grundstimmung ist eine positivere, die Spieler motivieren sich gegenseitig. Es haben sich einige Dinge zum Positiven entwickelt, seit Zinnbauer da ist.
"Joe hat die Gabe, den Jungs Vertrauen zu schenken. Er hat die Gruppe formiert, so etwas haben wir hier längere Zeit in der Form nicht beobachtet", formuliert es Vorstandschef Dietmar Beiersdorfer.
Allerdings hat auch er den Schlendrian noch nicht in den Griff bekommen, den sich die Mannschaft nach kleinen Erfolgserlebnissen immer wieder leistet. Den ordentlichen Auftritten gegen Dortmund und Hoffenheim folgte ein unerklärlicher Leistungseinbruch gegen die Hertha. Das war auch unter Zinnbauers Vorgängern ein Problem, dass die Mannschaft zu früh mit zu wenig zufrieden ist.
Zinnbauer packt seine Spieler deshalb auch in den Trainingseinheiten härter an und versucht, gefährliche Tendenzen schonungslos im Keim zu ersticken. "Der 'neue HSV' entsteht nicht durch Handauflegen, sondern durch harte Arbeit", sagt Knäbel.
"Ich werde alles dafür tun, dass es bald in eine andere Richtung geht", sagte Zinnbauer im September. Inhaltlich hat der Trainer schon einiges bewegt. Aber er hat auch noch einen langen Weg vor sich. Und er benötigt, was jeder Trainer auf der Welt auch benötigt: Siege und Punkte. Ein Weiterkommen im Pokal gegen die Bayern könnte sich als durchaus nützlich erweisen.