Fünf Fragen zum CL-Aus des FC Barcelona gegen Liverpool: Wenn Barca an den FC Bayern erinnert

08. Mai 201918:28
SPOXgetty
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Durch ein 0:4 im Rückspiel beim FC Liverpool ist der FC Barcelona im Halbfinale der Champions League ausgeschieden. Es war eine der schlimmsten Niederlagen der Vereinsgeschichte - und sie wird Folgen haben. SPOX beantwortet die wichtigsten Fragen zum Barca-Desaster.

Wie konnte das passieren?

Reiht sich das Debakel an der Anfield Road nahtlos ein in die Fehlschläge der letzten Jahre? Fakt ist, dass Barca in K.o.-Runden gerade auswärts richtig auf die Mütze bekommen hat. Das 0:4 bei Paris St.-Germain konnte man vor zwei Jahren sensationell noch drehen, ging dann aber sang- und klanglos 0:3 bei Juventus unter. In der Vorsaison reichte ein 4:1 im Hinspiel gegen die Roma nicht, diesmal ein 3:0-Polster.

Aus diesen Fehlern wollte Barca eigentlich gelernt haben. Valverde setzte auf ein 4-3-3 mit drei tiefen Mittelfeldspielern, um die wacklige Viererkette gegen das Pressing der Reds abzusichern. Überhaupt zeigte das Team in dieser Saison ein verändertes Gesicht: abgeklärter, auch mal zynischer. Mit Ergebnisfußball, wenn nötig. Personifiziert durch "Krieger" Arturo Vidal statt eines weiteren Edeltechnikers im Mittelfeld.

Zumindest teilweise hatte das Erfolg: Auch wenn die heranstürmenden Hausherren immer wieder für Ballverluste sorgten, war es nicht so, als würde Liverpool das Spiel dominieren. Nach dem frühen 0:1 hatte Barca die Partie vergleichsweise gut unter Kontrolle und erspielte sich sogar mehrere gute Chancen - vereitelt, wie schon im Vorjahr gegen Rom, von einem gut aufgelegten Alisson Becker. "Man wird viel über die Hölle von Anfield reden", bilanzierte El Mundo. "Aber wenn Barcelona senkrecht abstürzte - härter als noch vor einem Jahr in Rom - dann lag es einfach an seinen eigenen Sünden."

Wo Barca im Hinspiel noch bei den wenigen eigenen Chancen eiskalt zuschlug, versagte man diesmal vor dem gegnerischen Tor - dabei hätte ein einziger Treffer für das Finalticket genügt. Hinten leisteten sich wiederum abgebrühte Veteranen unerklärliche Fehler: Jordi Albas verheerender Kopfball vor dem 0:1 hatte mit dem Liverpooler Pressing nichts zu tun. Und Luis Suarez bemängelte, dass sein Team beim Eckball zum 0:4 "wie kleine Kinder" verteidigt hätte.

Was allerdings noch mehr Sorgen bereiten müsste als die "Machst du sie vorne nicht rein, fängst du sie eben hinten"-Fußballweisheit, ist die Tatsache, dass den Blaugrana in der zweiten Hälfte eindeutig die Luft ausging. Rund siebeneinhalb Kilometer mehr spulte das Team von Jürgen Klopp mehr ab (112,1 km zu 105,5 km), in der zweiten Hälfte waren es fünfeinhalb Kilometer mehr. Dabei hatte Barca am Wochenende viele Leistungsträger geschont, ganz im Gegensatz zu Liverpool. Der Blackout bei Alexander-Arnolds Ecke, er könnte auch eine Folge körperlicher Erschöpfung gewesen sein.

Und wer mit einem Aufbäumen nach dem 0:4 gerechnet hatte, wurde bitter enttäuscht: Saft- und kraftlos ergab sich das stolze Barca in die Niederlage.

Ist die Saison für den FC Barcelona ein Misserfolg?

Kein Zweifel: Ein derart dramatisches Ausscheiden in der Champions League überschattet immer die komplette Saison. "Wir müssen um Vergebung bitten", sagte Suarez. "Wir können nicht zwei Jahre in Folge den gleichen Fehler machen."

Angesichts des potenziellen nationalen Doubles und dem Champions-League-Halbfinale muss man eigentlich von einer erfolgreichen Saison sprechen. Den zweiten Meistertitel in Folge hat Barca bereits nach 35 Spieltagen eingetütet, und dieser Pott war nach einem Start-Ziel-Sieg in der Liga eigentlich nie wirklich gefährdet. Im Pokalfinale wartet am 25. Mai der Tabellenfünfte FC Valencia, eine machbare Aufgabe, auch wenn man den Champions-League-Kater bis dahin noch überwinden muss.

Gleichzeitig könnten auch zwei Titel nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Henkelpott in dieser Saison das große Ziel war, dem alles untergeordnet wurde. Ohne eine Niederlage war Barca ins Halbfinal-Rückspiel marschiert. Die Gelegenheit schien zudem so günstig wie noch nie: Real Madrid früh gescheitert, Cristiano Ronaldo mit Juve raus, im Finale hätte mit Ajax oder den Tottenham Hotspur auf jeden Fall ein krasser Außenseiter gewartet.

Und selbst der souveräne Meistertitel darf nicht überbewertet werden. Schließlich ist der Vorsprung lediglich so groß, weil sich Real Madrid eine Saison zum Vergessen leistet. Mit zwei Siegen zum Saisonende würde Barca auf eine Punktzahl von 89 kommen - die schlechteste Ausbeute eines spanischen Meisters seit zehn Jahren. 86 Tore schoss Barcelona bisher, in den letzten Spielzeiten waren es am Ende 99, 116, 112, 110, 100, 115 und 114.

Fazit: Der Trophäenschrank im Barca-Museum bekommt Zuwachs. Dennoch täuscht diese Tatsache nicht darüber hinweg, dass das große Ziel dieser Saison nicht erreicht wurde und das Team Schwächen hat. Ähnlich wie bei Bayern München: Auch der deutsche Rekordmeister könnte dieses Jahr noch das Double feiern. Restlos glücklich mit dem Verlauf der Spielzeit wären die Verantwortlichen an der Säbener Straße allerdings nicht.

Was bedeutet die Niederlage für Trainer Valverde?

Kein Zweifel: Erneste Valverde ist angezählt - dem Meistetitel zum Trotz. Er hat die Barca-DNA in dieser Saison ein Stück weit geopfert, was man ihm bei entsprechendem Erfolg verziehen hätte. Das hat er nun verpasst. Er muss sich vorwerfen lassen, kein Mittel gegen das Liverpooler Spiel gefunden zu haben. Im Hinspiel sah es im 4-4-2 mit Semedo als Rechtsverteidiger sehr viel besser aus als im 4-3-3, dennoch stellte er wieder um.

"Absurd" sei es, selbst an der Anfield Road nicht auf Ballbesitz zu spielen, hatte er vor der Partie gesagt. Doch sein Mittelfeld strafte ihn Lügen: Der ballsichere Arthur blieb lange auf der Bank, stattdessen wollte Valverde über den Kampf gewinnen. Diesen Kampf nahm sein Team am Ende nicht mehr an. "Wir haben es nicht geschafft, ein Tor zu erzielen, und dann haben sie uns echt überrollt", musste er zugeben.

Jose Mourinho, nie um klare Worte verlegen, vermisste bei beIn SPORTS die "richtige Einstellung" bei den Barca-Profis und sprach von einer mentalen Schwäche: "Das ist etwas, was ich nur schwer erklären kann. Ich würde gerne sehen, wie Valverde es versucht, aber ich denke trotzdem, dass es sehr schwer für ihn wird, das zu erklären."

Seine Spieler verteidigten Valverde nach Abpfiff. "Wir stehen auf dem Platz, nicht der Trainer", betonte Suarez. Doch Valverde wusste, dass es eng werden kann: "Ich weiß nicht, ob das meine Zukunft beeinflusst. "Aber der Trainer muss die Verantwortung übernehmen."

Präsident Josep Maria Bartomeu wollte ihm trotz der Vertragsverlängerung im Februar keinen Freifahrtschein ausstellen: "Die Zeit wird kommen, um die Fehler [von heute Abend] zu analysieren", sagte er brüsk. "Das gleiche ist letztes Jahr in Rom passiert. Das ist schwer zu erklären. Wir werden das intern aufarbeiten."

Ist der FC Barcelona zu abhängig von Lionel Messi?

48 Tore und 22 Vorlagen in bislang 47 Saisonspielen: Messi spielt mal wieder eine absolut überragende Saison und dürfte nach ein paar Jahren Flaute wieder ein ernstes Wörtchen um den Titel des Weltfußballers mitreden. Dass sich das Spiel eines Klubs auf den vielleicht besten Spieler aller Zeiten ausrichtet, ist weder überraschend noch verwerflich.

Allerdings hat die Abhängigkeit Barcas von seinem Superstar bedrohliche Züge angenommen, denn gerade aus dem Mittelfeld kommen in dieser Besetzung sehr wenige spielerische Impulse nach vorn. Busquets, Rakitic und Vidal sind allesamt 30 oder älter. Sie müssen eine ebenfalls alternde Viererkette absichern, können nicht mehr die Wege nach vorne und hinten gehen - und sind ganz einfach keine kreativen Genies wie früher Xavi oder Andres Iniesta.

Resultat: Messi ist nicht nur als Torjäger gefragt, sondern auch als Vorbereiter. Immer wieder holte er sich die Bälle gegen Liverpool aus dem Mittelfeld, um gegen mehrere Gegenspieler ins Dribbling zu gehen und den Abschluss zu suchen oder seine Teamkollegen einzusetzen. Auch er schien am Ende entkräftet zu sein.

Es half gegen Liverpool nicht, dass Coutinho und Suarez an alter Wirkungsstätte einen gebrauchten Abend erwischten. Coutinho war bis zu seiner Auswechslung ähnlich schlecht wie im Hinspiel - und Suarez hat in seinen letzten 30 Spielen in der Königsklasse gerade mal fünf Treffer erzielt.

Beide müssen viel nach hinten arbeiten, damit sich Messi seine Pausen nehmen kann, das macht es nicht einfacher. Von wahnsinnig viel Abwehrarbeit kann man beim Offensivtrio allerdings nicht sprechen. Insgesamt kamen Messi, Suarez und Coutinho auf stolze zwei Ballgewinne und keine einzige Grätsche. Gegen ein so starkes Kollektiv wie Liverpool viel zu wenig.

Was muss Barca im Transfersommer 2019 unternehmen?

Sollte das böse U-Wort in den Mund genommen werden? "Umbruch"? Ähnlich wie bei Bayern München vor einigen Jahren könnte das Urteil wie folgt ausfallen: Man war ganz knapp dran. Nicht viel hätte gefehlt und man hätte in ein paar Wochen um den Champions-League-Titel gespielt. Einige Leistungsträger sind zwar alt, aber noch nicht zu alt. Gerard Pique und Luis Suarez waren mit 32 die ältesten Barca-Spieler auf dem Platz - für dauerhafte Rentenbezüge etwas zu früh.

Gleichzeitig muss, wie damals bei den Bayern, konstatiert werden: Es reicht zwar noch für ganz hohes Niveau, aber es wird wohl nicht mehr besser. Pique, Jordi Alba, Busquets, Rakitic, Vidal und Suarez sind allein sechs Spieler mit 30 Jahren oder älter, und selbst Messi wird im Juni 32 Jahre alt. Das kann nicht ewig gutgehen.

Nun ist es nicht so, als hätte Barca in den vergangenen Transferfenstern nicht eine Menge Geld in junge Stars investiert. Nur: Die haben ihre Ablöse bislang entweder nicht durch Leistung gerechtfertigt (Philippe Coutinho, Ousmane Dembele) oder den Sprung auf allerhöchstes Niveau noch nicht geschafft (Arthur, Malcolm, Umtiti).

Den vielleicht wichtigsten Transfer hat Barca bereits eingetütet: Mit Frenkie de Jong kommt ein neuer Boss fürs Mittelfeld, mit jungen Beinen und der nötigen Kreativität, um Messi zu entlasten. Sollte Barca auch dessen Kollegen Matthijs de Ligt holen, wären die Nachfolger von Busquets und Pique gefunden.

Bedarf besteht ebenfalls auf der Linksverteidiger-Position: Jordi Alba, der sich gegen Liverpool so schlimme Patzer leistete, hat keine Konkurrenz. Ebenfalls fehlt ein klassischer Stoßstürmer in Suarez-Manier.

Und dann ist die große Frage, wie viele Chancen Coutinho und Dembele noch bekommen. Können sie die Barca-DNA entwickeln und zu Leistungsträgern werden? Oder ist es an der Zeit, möglichst viel von den 200+ Millionen Euro Ablöse zu retten und zu reinvestieren. Die Antwort auf diese Frage dürfte auch davon abhängen, ob Ernesto Valverde sich noch einmal an der Champions League versuchen darf.