Das letzte große Rätsel

Stefan MoserSPOX
12. November 200711:54
SPOXGetty
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München - Weil Werbeleute nun mal perfide Menschen sind, denken sie tagein tagaus darüber nach, wie sie ihre Zielgruppe an ein bestimmtes Produkt binden können.

Eine gängige Strategie ist dabei das Prinzip der Wundertüte: Häufige - zur Not auch unangenehme - Überraschungen halten die Wunschbildung des Konsumenten lebendig.

Glücksgefühl und Frustration im Wechsel: Das klingt einfach, ist aber effektiv. Mit genau dieser Masche ist es zum Beispiel Werder Bremen gelungen, die Mitgliederzahl in den letzten drei Jahren um fast 65 Prozent zu steigern.

Die Schmach von Rom

Einmal beglücken die Hanseaten ihre Fans mit Zauberfußball und fiedeln Arminia Bielefeld mit 8:1 vom Platz. Dann wieder frustrieren sie zur allgemeinen Überraschung ihre mitgereisten Anhänger mit einer völlig desolaten Vorstellung und verlieren gegen Lazio Rom hoch verdient mit 1:2.

Gegen Karlsruhe war am Samstag nun wieder Wunscherfüllung angesagt. Diego zauberte zwei blitzsaubere Tore aufs Parkett, Bremen gewann verdient mit 4:0 und die Fans waren glücklich.

Kein Zweifel, Werder ist die Gestalt gewordene Wundertüte der Liga. Und es lohnt sich, die Einzelteile mal genauer unter die Lupe zu nehmen.

1. Der Kopf: Die Bremer Psyche ist wohl eines der letzten großen Rätsel der Bundesliga. Der vollkommen zerfahrene und schläfrige Auftritt in der Champions League sorgte am Mittwoch für kollektive Ratlosigkeit. Zumal Werder mit der Empfehlung aus sechs ungeschlagenen Partien (davon fünf Siege) in Folge ins Stadio Olimpico gereist war.

Als mögliches Erklärungsmuster lässt sich nur eine längerfristige Tendenz erkennen, die den Bremern allerdings zu denken geben muss. Denn Werder überrascht häufig dann mit schlechten Leistungen, wenn viel auf dem Spiel steht. Beispiel Lazio, Beispiel Espanyol im UEFA-Cup-Halbfinale im letzten Jahr, Beispiel Lyon 2005, als die Schaaf-Elf mit 0:3 und 2:7 hochkant aus dem Champions-League-Achtelfinale flog.

Auch gegen Karlsruhe kamen die Bremer für kurze Zeit ins Grübeln, nachdem in der 15. Minute der Zwischenstand aus Stuttgart im Stadion die Runde machte. Die Bayern strauchelten, und Werder verlor prompt die Kontrolle über die eigene Partie. Zehn Minuten lang flogen Tim Wiese die Bälle um die Ohren, ehe Diegos Tor zum 1:0 die Nerven wieder beruhigte.

2. Das Herz: Das Herzstück des Bremer Spiels ist auch in der laufenden Saison eindeutig Diego. Gegen Karlsruhe erzielte der Brasilianer seine Saisontreffer fünf und sechs, den dritten Werder-Treffer durch Hugo Almeida leitete er mit dem öffnenden Pass auf Markus Rosenberg ein. 

Zu bewundern gab es dabei einmal mehr die gesamte Palette von Diegos Ausnahmetalent. Ein genialer Lupfer zum 1:0, physische Präsenz und Cleverness im Zweikampf gegen Andreas Görlitz vor dem 2:0, ein kluges und präzises Zuspiel vor dem 3:0. Und schon war die Partie entschieden.

Sein Einsatz, seine Ausstrahlung und Übersicht gepaart mit Effektivität und Torgefahr machen Diego für Bremen wohl noch wertvoller als Ribery für die Bayern und van der Vaart für Hamburg. Das Problem dabei: Wenn Diego nichts gelingt, gelingt Bremen insgesamt nicht viel.

3. Die Lunge: Hugo Almeida wird für Werder immer wichtiger. Er läuft und kämpft und rackert und öffnet seinen Kollegen damit immer wieder Räume. Inzwischen trifft der Portugiese auch noch. Gegen den KSC bereits zum siebten mal in dieser Saison. Doch auch Almeida hat seine wunderliche Macke: Der Heimspiel-Hugo trifft ausschließlich und ausnahmslos im Weser-Stadion.

4. Die Beine: Knochen, Bänder, Sehnen und Muskeln. Das sind seit Jahren nun schon die größten Bremer Sorgenkinder. Immer wieder machen Verletzungen von Schlüsselspielern einen fetten Strich durch die Rechnungen von Thomas Schaaf. Gegen Karlsruhe fehlten unter anderem Torsten Frings und der bis dahin beste Werder-Torschütze Boubacar Sanogo.

Es gehört allerdings zum guten Ton in Bremen, darüber nicht viele Worte zu verlieren, sondern stattdessen heimlich, still und leise Punkt um Punkt zu sammeln. Eine Masche, die zumindest in der Bundesliga genauso zu funktionieren scheint, wie das Prinzip der Wundertüte. 

Vor knapp drei Monaten frustrierte Bremen seine Anhänger noch mit einer 0:4-Klatsche gegen die Bayern. Inzwischen ist die Lücke zum einst übermächtigen Rivalen beinahe geschlossen. Mit nur einem Pünktchen Rückstand liegt Werder nun auf Platz zwei. Völlig überraschend für viele.