München - Bewegt man sich als Fan mit seinem Verein nicht ohnehin ständig nördlich der unteren Tabellenhälfte oder ist gar zufällig Anhänger des FC Bayern, waren Auswärtsspiele zumindest bis zum Anpfiff stets eine lustige Angelegenheit.
Nach Hause zurück nahm man jedoch außer einem gehörigen Kater oder einer bösen Erkältung nichts. Und schon gar keine Punkte. Auswärtsspiele wurden ganz einfach verloren.
Was sich derzeit allerdings in den Arenen der Bundesliga abspielt, ist für viele Mannschaften und ihre Getreuen auf Auswärtsfahrt ein ganz neues Gefühl - der Trend geht klar zum Gäste-Dreier.
22 Auswärtssiege an sieben Spieltagen
Am vergangenen Spieltag konnten gleich sechs Teams dem einstmals so seltenen Vergnügen eines Erfolges in der Fremde frönen. Insgesamt mussten die gastgebenden Teams in bislang 63 Partien satte 22 Mal die Schmach einer Pleite vor eigenem Publikum ertragen. Ein absoluter Spitzenwert in den vergangenen Jahren.
Aufsteiger Hansa Rostock gewinnt beim Gerade-noch-Tabellenführer, Hertha BSC. Mit-Emporkömmling Karlsruher SC holt schon den dritten Sieg im vierten Auswärtsspiel. Da kann doch etwas nicht stimmen im Staate Bundesliga.
Doch was ist es, das der einstigen Bastion Heimspiel so den Garaus macht? Eine revolutionär neuartige Taktik auf dem Platz? Die psychologisch geschulten Mentalberater der Spieler? Oder die stets ausverkauften modernen Arenen, die den Spielern der Heimmannschaft das Herz in die Hose rutschen lassen?
Der Auswärtsexperte
Nachdem die redaktionsinternen Tippspiele wegen der überraschenden Ergebnisse pauschal punktlos endeten, hat sich SPOX.com Gedanken über diesen neuen Trend gemacht. Und einen echten Experten in Sachen Auswärtsdreier zu Rate gezogen. KSC-Trainer Edmund "Ede" Becker muss doch wissen, wie man Punkte holt, an die man früher im Traum nicht zu denken wagte.
Im Gespräch mit SPOX.com erklärte der bedächtige Fußballlehrer, noch frisch vom überraschenden Sieg in Frankfurt beseelt, anhand von Taktik und Psychologie das mögliche Geheimnis der Auswärtsstärke, das eigentlich überhaupt keines ist und doch die Liga momentan ordentlich durcheinanderwirbelt.
Becker über die Taktik des Auswärtssieges:
"In der Abwehr sicher und gut organisiert zu stehen, ist der Schlüssel zum möglichen Erfolg. Das ist zwar keineswegs eine neue Erkenntnis, aber mit der modernen 4-5-1-Formation und dem viel zitierten "Doppel-Sechser" noch besser zu bewerkstelligen.
Mit einem Spieler mehr im Abwehrverbund durch den zweiten defensiven Mittelfeldspieler macht man es dem stets offensiver agierenden Heimteam umso schwerer, die Hintermannschaft auszuspielen oder zumindest einmalig Erfolg bringend auszuhebeln.
Der Viererblock mit den beiden Innenverteidigern und den "Sechsern" schließt besonders die Mitte, wenn sich die Spieler dann noch optimal in die jeweilige Richtung nach außen verschieben und bei Flanken nicht nachlässig sind, funktioniert es, dass man nur wenige Torchancen zulässt.
Disziplin und genaue Absprachen im Defensivverbund haben bei dieser Taktik aber natürlich oberste Priorität. Ein Trend, dass es fortan wegen dieser taktischen Maßnahmen mehr Auswärtssiege gibt, ist für mich aber nicht so sehr erkennbar."
Becker über die Psychologie des Auswärtssieges:
"Zunächst einmal hat man bei einem Auswärtsspiel schon einmal einen Punkt und zumindest den will man verteidigen. Die Heimmannschaft ist gefordert, muss automatisch offensiver agieren und dem Publikum etwas bieten.
Folgt man der taktischen Maßgabe, in der Abwehr gut zu stehen und den Gegner dort zu bekämpfen, ergeben sich automatisch Chancen, Konter zu fahren - insbesondere je länger die Partie dauert und noch 0:0 steht.
Eine starke Defensive vermittelt dem Team Selbstvertrauen, nach gelungenen Abwehraktionen feuert man sich gegenseitig wie bei guten Aktionen im Angriff an, und das beflügelt auch das schnelle, überfallartige Spiel nach vorne.
Ein richtiger Lauf auswärts, wie wir ihn derzeit beim KSC haben, ergibt sich dann aus den gleichen Gründen - hat man gerade in der Anfangsphase Erfolg auf fremdem Platz, wächst vor jedem Auswärtsspiel der Glaube, dass man auch dort etwas Zählbares mitnehmen kann."
Hurrafußball auswärts ist out
Eigentlich sind dies keine Neuigkeiten für arrivierte Trainerfüchse und doch wird sich die ein oder andere Mannschaft, wie zum Beispiel der auswärts noch punktlose deutsche Meister VfB Stuttgart, wieder auf diese Basiseigenschaften konzentrieren müssen.
Mit Hurrafußball ist derzeit in der Fremde scheinbar wenig zu holen. Und dem Fan ist es letztendlich ohnehin egal, auf welche Art er die drei Punkte mit in die Heimat nehmen kann.
Meistgelesene Artikel
Das könnte Dich auch interessieren



