Der VfB Stuttgart hat Tayfun Korkut als Nachfolger von Hannes Wolf präsentiert und damit für große Aufregung rund um den Klub gesorgt. Sind die Schwaben damit unter Wolfgang Dietrich und Michael Reschke auf dem Weg zurück in alte Muster? Oder wird Korkut gnadenlos unterschätzt und kann die Wende bringen?
War die Trennung von Hannes Wolf richtig?
Klar ist: Anders als beim Großteil der zahlreichen Trainer-Entlassungen des VfB in der jüngeren Vergangenheit stand das als notorisch kritisch geltende Stuttgarter Umfeld noch weitestgehend hinter Hannes Wolf. Bei der 0:2-Heimpleite gegen Schalke 04 am vergangenen Samstag schallten zwar mehrfach gellende Pfeifkonzerte durch die Mercedes-Benz-Arena, auf "Wolf raus!"-Sprechchöre hätte man aber wohl noch lange warten können.
Der 36-Jährige kam mit seiner eloquenten und sympathischen Art gut an. Für viele schien es eher eine Frage der Zeit zu sein, wann Wolf dem VfB entwachsen würde - und nicht umgekehrt. Selbst nach seiner Freistellung genießt Wolf weiter einen ausgezeichneten Ruf. Auf lukrative Angebote wird er nicht lange warten müssen.
Dennoch hat auch Wolf zweifelsohne Fehler gemacht. Die extrem schwache Offensive der Schwaben (16 Tore, Ligatiefstwert) ist nicht allein am verfügbaren Spielermaterial festzumachen. Wolf hielt zu lange an der defensiven Fünferkette fest. Seine Vorstellung, mit dem VfB in der Bundesliga primär aus einer stabilen Defensive heraus kontrolliert Fußball spielen zu können, muss zumindest hinterfragt werden.
Darüber hinaus hat Wolf gegen Schalke hoch gepokert - und dafür die Quittung erhalten. Die Entscheidung, den gerade frisch verpflichteten und lange verletzten Jacob Bruun Larsen von Beginn an spielen zu lassen, grenzte retrospektiv betrachtet an Harakiri - vor allem weil Anastasios Donis und Santiago Ascacibar, einige der wenigen Lichtblicke der aktuellen VfB-Saison, draußen bleiben mussten.
In Anbetracht dieser Entwicklungen ist die erhöhte Skepsis innerhalb der Stuttgarter Chefetage gegenüber Wolf nachvollziehbar. Und da der Trainer nach der jüngsten Niederlage selbst Zweifel äußerte, die Mannschaft noch voll zu erreichen, sah sich Reschke offenbar zum Handeln gezwungen.
Letztlich bleibt: Stuttgart opfert die lange nicht mehr da gewesene Aussicht auf eine langfristige Ära und entlässt den hoch geschätzten, aufstrebenden Trainer in der ersten großen Krise. Die Gefahr, das kurzfristige Ziel Klassenerhalt zu verpassen, hat den Verein in Aufruhr versetzt. Ob die Bundesligazugehörigkeit durch die Entscheidung für Tayfun Korkut gesichert werden kann, steht allerdings auf einem anderen Blatt.
Ist Tayfun Korkut eine gute Lösung für den VfB?
Natürlich liest sich Korkuts bisherige Bilanz in der Bundesliga bei Hannover 96 und Bayer Leverkusen höchstens mittelmäßig, auch das Engagement beim klammen Pulverfass 1. FC Kaiserslautern ging in die Hose. Korkut ist somit kein Kandidat, auf den man sofort kommen würde.
Diese Fakten hatten wohl auch viele VfB-Anhänger im Hinterkopf, als sie ihren Verein nach der Verkündung des Korkut-Wechsel mit allerlei Häme in den sozialen Netzwerken übergossen. Wie für jeden neuen Trainer gilt aber auch für den 43-Jährigen: erst einmal arbeiten lassen.
Korkut hat zuletzt in Leverkusen eine verunsicherte und teils gespaltene Mannschaft übernommen, die von ihren sportlichen Zielen meilenweit entfernt war und immer tiefer in den Abstiegskampf schlitterte. Das Thema Klassenerhalt war für Korkut auch in Hannover, beim FCK und bei Bayer allgegenwärtig, so dass diese Ausnahmesituation für ihn kein Neuland ist.
Die Voraussetzungen für seine beiden letzten Jobs hätten also besser sein können. Gerade aus Leverkusen hört man, wie zufrieden die Verantwortlichen mit Korkuts Arbeit waren. Dem gebürtigen Stuttgarter gelang es, die Eigenheiten der einzelnen Individuen besser zu handhaben, so dass jeder Spieler wieder seine Qualitäten dem Team zuführen konnte.
Korkut befriedete die Mannschaft in der kurzen Zeit zumindest wieder so weit, dass der Abstieg vermieden wurde. Nichts anderes ist nun in Stuttgart sein Ziel. Problem: Mit den wankenden Leverkusenern verlor Korkut "nur" vier von zwölf Pflichtspielen, schaffte allerdings auch nur zwei Siege. Das wäre beim VfB womöglich zu wenig.
Was bedeutet der Trainerwechsel für Sportvorstand Michael Reschke?
Mehrere Jahrzehnte hat Reschke bei Bayer Leverkusen und später beim FC Bayern im Hintergrund gearbeitet. Begriffe wie "Super-Auge" oder "Perlentaucher" wurden immer wieder mit seinem Namen verbunden. Der 60-Jährige hat in seiner langen Laufbahn als Scout und Kaderplaner immer wieder erstaunliche Talente ausfindig gemacht und zu guten Konditionen transferiert, sein Netzwerk gilt in der Branche als herausragend.
Aber mit der Beförderung zum Sportvorstand beim VfB hat sich sein Aufgabenfeld verändert. Er steht mehr im Rampenlicht, seine Entscheidungen werden öffentlich hinterfragt und seine Statements sind gefragt - zuvor war es nur selten möglich, ein Interview mit dem Schattenmann Reschke zu bekommen. Im Herbst seiner Karriere ist Reschke in seinem aktuellen Job also auch noch ein Lernender.
Seine Außendarstellung und sein Kommunikationsverhalten kommen bei vielen Kritikern nicht gut an - so auch im Zuge der Entlassung von Wolf. Diese hatte er schon nach der Niederlage in Mainz im ZDF-Sportstudio angedeutet, um sich dann während der Woche von seinen eigenen Aussagen zu distanzieren, nur um Wolf am Samstag eine Jobgarantie auszusprechen, die am Tag danach in einer Entlassung mündete.
Reschke kam im August 2017 mit vielen Vorschusslorbeeren aus München nach Stuttgart, aber nach sechs Monaten bläst ihm schon ein eisiger Wind ins Gesicht. Nach einer für ihn dann kurzen Transferperiode im Sommer und einer wie immer schwierigen im Winter ist es sicher noch zu früh, um über seine Leistungen auf dem Transfermarkt zu urteilen. Aber bis auf Santiago Ascacibar sind die Zugänge bisher allenfalls solide.
Mit der Verpflichtung von Korkut als Trainer wächst der Druck auf Reschke weiter. Der Wechsel auf der Bank sollte funktionieren, sonst könnte Reschkes Rollenwechsel vom Schattenspieler zum Frontmann schneller beendet sein als gedacht.
Welche Rolle spielt Präsident Wolfgang Dietrich?
Es ist in Stuttgart seit Jahren dieselbe Sache mit den Präsidenten: Sie wechseln häufig, doch ins Herz der VfB-Gemeinde hat sich noch niemand arbeiten können. Das lässt sich auch jetzt schon über Wolfgang Dietrich sagen, der seit rund 15 Monaten den Schwaben vorsteht.
Dietrichs großes Thema war die Ausgliederung, die er mit viel Ehrgeiz und Wahlkampf vorantrieb und für die letztlich mit deutlicher Mehrheit gestimmt wurde. Viel ist seitdem passiert am Neckar, die positiven, finanziellen Auswirkungen der Ausgliederung haben im Kader des VfB bislang jedoch noch nicht für Durchschlagskraft gesorgt.
Auch Dietrich muss die aktuelle sportliche Talfahrt verantworten, zumal die Macher der sommerlichen Euphorie, Jan Schindelmeiser und Hannes Wolf, bereits Geschichte sind.
Allein die Dramaturgie der Personalentscheidungen auf höchster Ebene innerhalb Dietrichs Amtszeit mutet enorm skurril an: Jos Luhukay wurde für die 2. Liga verpflichtet, ein Sportdirektor war da noch gar nicht im Amt. Anschließend holte man in Schindelmeiser einen Sportdirektor, der sich wiederum in Rekordzeit mit Luhukay überwarf, diesen entließ und stattdessen Wolf einstellte.
Dann bekamen sich Dietrich und Schindelmeiser unmittelbar nach erfolgreicher Ausgliederung in die Haare und der Sportdirektor musste gehen. Mit Reschke gelang den Schwaben ein vermeintlicher Coup für die Schindelmeiser-Nachfolge, doch Reschke fremdelt noch mit seiner neuen Rolle.
Kurzum: Der Baum brennt in Stuttgart. Der VfB hat aber nicht zum ersten Mal den Baum selbst angezündet und sitzt nun auf einer Menge Problemen, die im Sommer noch weit weg schienen. Diese Entwicklung stellt Dietrich kein gutes Zeugnis aus.
Welche sportlichen Baustellen muss Korkut nun angehen?
Korkuts größte Baustelle, die er von Wolf erbt, ist zweifelsohne die Offensive. 16 Treffer in 20 Spielen bedeuten den schlechtesten Wert der Liga. Dies ist nicht einzig und allein auf die Qualität der Offensivspieler zurückzuführen. Das zeigt sich in der Leistungssteigerung von Simon Terodde in Köln ebenso wie in den bisherigen Rückrunden-Spielen von Mario Gomez, der in diesen über weite Strecken in der Luft hing.
Die qualitativ durchaus hochwertigen Angreifer der Schwaben besser ins Spiel einzubinden, wird Korkuts erste und wichtigste Aufgabe in Stuttgart werden. Der 43-Jährige betonte auf der Pressekonferenz, sich nicht darauf verlassen zu wollen, dass man das Spiel mit null Gegentoren beende. Mit Gomez, Daniel Ginczek, Anastasios Donis, Chadrac Akolo, Berkay Özcan und Co. ist das Personal für eine offensivere Ausrichtung definitiv vorhanden.
Allerdings ist die VfB-Offensive in der Breite dünn besetzt. Akolo, Donis und Ginczek fielen in der Hinrunde allesamt länger aus, Carlos Mane wird in dieser Saison nicht mehr auf dem Feld stehen können. Ob die Neuzugänge Erik Thommy und Jacob Bruun Larsen echte Alternativen darstellen, bleibt abzuwarten.
Defensiv sah der VfB unter Wolf in dieser Saison größtenteils stabil aus. Die Verletzung von Holger Badstuber droht hier jedoch zu einem echten Problem zu werden. Sowohl Marcin Kaminski als auch Andreas Beck (wenn Benjamin Pavard Badstuber zentral ersetzt) sind in dieser Position kaum als gleichwertiger Ersatz anzusehen.
Der Spagat, eine vor allem über die Flügel gefährlichere Mannschaft auf den Rasen schicken zu können, ohne jedoch die ohnehin angeschlagene Verteidigung ihrer Stabilität zu berauben, muss Korkut innerhalb der nächsten Wochen gelingen. Große Experimente sind dabei offenbar kaum zu erwarten: Korkut kündigte bereits an, taktisch nur wenig verändern zu wollen.
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