Formel 1 - Erkenntnisse zum Katar-GP: "Schadensbegrenzung" reicht Verstappen nicht mehr

Christian Guinin
22. November 202108:20
Max Verstappen wurde beim Großen Preis von Katar Zweiter.imago images / PanoramiC
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Während es für Max Verstappen nach dem Großen Preis von Katar im WM-Kampf langsam eng wird, belohnt sich ein Ex-Weltmeister für eine überragende Leistung. Reifenhersteller Pirelli muss außerdem die vielen Reifenschäden auf dem Losail International Circuit verantworten und daraus endlich Konsequenzen ziehen. Die Erkenntnisse zum Katar-GP.

1. "Schadensbegrenzung" reicht Verstappen nicht mehr

Wenn man bei Max Verstappen den größten Unterschied zwischen dem vergangenen Jahr und der aktuellen Saison benennen müsste, würde man wohl - abgesehen vom deutlich besseren RB-Boliden - auf die neu gewonnene Souveränität und Fehlerlosigkeit des Niederländers verweisen. Aus den teils widrigsten und aussichtslosesten Situationen schafft es Verstappen stets, das absolute Maximum zu ziehen.

Auch in Katar gelang ihm das mit Bravour. Nach Russland und Brasilien betrieb Verstappen auf dem Losail International Circuit zum dritten Mal innerhalb kürzester Zeit Schadensbegrenzung. "Unsere Startposition war nicht die beste, wir haben allerdings einen starken Start hingelegt. Am Ende auf dem zweiten Platz zu landen mit der schnellsten Rennrunde ist ein gutes Resultat", analysierte der RB-Pilot nach dem Rennen und erhielt Zustimmung von Motorsportchef Helmut Marko: "Wir haben optimale Schadensbegrenzung betrieben. Wir sind im Rennen auf sicher gegangen."

Nur, reicht das überhaupt noch? Spätestens seit Lewis Hamiltons Motorenwechsel am vergangenen Wochenende in Sao Paulo scheint der Brite im WM-Kampf das Oberwasser zu haben. Sein W12 glänzt mit Höchstgeschwindigkeiten, mit denen Red Bull nicht im Ansatz mitgehen kann und auch auf der vermeintlichen Aero-Strecke Katar waren die Pace des Briten das unerreichte Maß der Dinge. Immer wenn Verstappen versuchte, das Tempo anzuziehen und auf den Mercedes aufzuschließen, konterte Hamilton problemlos mit schnellen Runden seinerseits. Der Sieg war dadurch nie in Gefahr.

Fakt ist: Gewinnt Hamilton die verbleibenden beiden Rennen und betreibt Verstappen als jeweils Zweitplatzierter nur "Schadensbegrenzung", ist die WM für den Niederländer gelaufen. In mindestens einem Rennen muss der RB-Pilot somit vor Hamilton landen, will er sich den Titel holen. Theoretisch könnte sich Verstappen also schon in zwei Wochen in Saudi-Arabien zum ersten Mal die Krone aufsetzen, danach sieht es aktuell jedoch nicht aus.

Max Verstappen fuhr in Katar ein einsames Rennen.getty

Verstappen: "Hatten einfach nicht die Pace"

Einen Lichtblick gab es für Verstappen und Red Bull dennoch: Ganz so unterlegen, wie es die 25 Sekunden Rückstand suggerieren, waren die Österreicher in Katar nicht. "Durch den letzten Boxenstopp war der Abstand natürlich größer, als er zuvor das ganze Rennen war. Generell waren es sieben oder acht Sekunden, das ist nicht allzu schlecht", meinte Verstappen.

Auch Teamchef Christian Horner sprach seinem Team Mut zu und betonte, dass Verstappen auch vor seinem Boxenstopp schon die schnellste Runde hielt. Zudem sei Mercedes nur in einer Kurve schneller gewesen: Kurve sechs. "Da haben sie zwei Zehntel pro Runde geholt, und die Kurve ist ziemlich einfach. Also müssen wir verstehen, warum wir dort Zeit verloren haben", so Horner. Der Speed auf den Geraden war im Gegensatz zu Brasilien, wo die Silberpfeile Red Bull um knapp 40 km/h überlegen waren, "konkurrenzfähig."

Verstappen geht derweil mit dem Wissen nach Hause, dass er nach der Strafe das wohl bestmögliche Ergebnis geholt hat - mal wieder. "Wir hatten an diesem Wochenende einfach nicht die Pace, um mitzuhalten", sagte der Niederländer. Ist das noch zwei Mal der Fall, war es das mit dem WM-Titel.

Formel 1: So wird Verstappen in Saudi-Arabien Weltmeister

Max Verstappen wird beim Großen Preis von Saudi-Arabien in Dschidda am 5. Dezember Formel-1-Weltmeister, wenn...

  • ... er gewinnt und die schnellste Rennrunde holt sowie Lewis Hamilton maximal Sechster wird.
  • ... er ohne schnellste Rennrunde gewinnt und Lewis Hamilton maximal Siebter wird.
  • ... er Zweiter wird und Lewis Hamilton ohne Punkte bleibt.

2. Der alte Mann kann es noch

2674 Tage - so lange musste Fernando Alonso auf ein Podium in der Formel 1 warten. Letztmals durfte er beim Ungarn-Grand-Prix 2014 an einer Siegerehrung teilnehmen, damals noch in den Farben der Scuderia Ferrari. Nun, mehr als sieben Jahre später gelang dem 40-jährigen Ex-Weltmeister mit einer Fabelleistung die Rückkehr aufs Treppchen. Die Erkenntnis, die bleibt: Der alte Mann kann es immer noch!

Mit gewisser Skepsis war das Comeback Alonsos zur aktuellen Saison betrachtet worden. Trotz seines unbestrittenen Talents und seiner Klasse sei der alternde Spanier in Zeiten einer schnelllebigen Formel 1 und nach zwei Jahren Pause nicht mehr der richtige Mann, so der Vorwurf vieler Fans und Experten.

Doch Alonso sollte sie Lügen strafen. Mit 77 WM-Punkten liegt er aktuell auf Rang zehn der Fahrerwertung - trotz eines nur mäßig performenden Alpines - und damit 17 Zähler vor seinem 15 Jahre jüngeren Teamkollegen Esteban Ocon, der als absoluter Wunschpilot des französischen Rennstalls galt und als Ex-Mercedes-Junior über eine nicht zu unterschätzende Reputation innerhalb der F1 verfügt. Auch wenn Alonso bislang nicht für die absoluten Saison-Highlights sorgte und immer ein wenig unter dem Radar fuhr, sind die Leistungen in seinem Comeback-Jahr mehr als ansprechend.

"Es fühlt sich gut an, das letzte Podium ist lange her", strahlte der Spanier bei der Podiumszeremonie. "In einer Karriere gibt es immer Aufs und Abs. Ich hatte vor zwei, drei Jahren wundervolle Momente, die Siege in Le Mans, der WM-Titel in der Langstrecken-WM. Aber jetzt zurückzukommen, in Vorbereitung auf die neuen Regeln für 2022, und am Ende des Jahres dieses Podium zu holen, ist wirklich toll."

Alpine-Exekutiv-Direktor: "Hat sich dieses Podium verdient"

Dabei profitierte Alonso in Katar neben den Strafversetzungen für Max Verstappen und Valtteri Bottas auch von einem starken Start seinerseits. Direkt in der ersten Runde kassierte er Alpha-Tauri-Fahrer Pierre Gasly und ebnete sich so früh den Weg zu Platz drei. Auch die Entscheidung seines Teams auf eine Einstopp-Strategie zu setzten, entpuppte sich als goldrichtig. In den letzten Runden hatte er schließlich das Glück des Tüchtigen, als RB-Pilot Sergio Perez vom späten virtuellen Safety-Car aufgehalten wurde und keinen Angriff mehr starten konnte.

Der Poker ging auf und Alonso brachte, wenn auch knapp, P3 nach Hause. Für Alpines Exekutiv-Direktor Marcin Budkowski war es die längst überfällige Belohnung für die guten Performances des Spaniers. "Ich denke, jeder wird zustimmen, dass er sich durch seine Leistung dieses Jahr dieses Podium verdient hat."

Besonders wichtig für den Rennstall: Zusätzlich zu Alonsos dritten Platz fuhr auch Ocon mit Rang fünf ein starkes Ergebnis ein. In der WM-Wertung hält man so den Vorsprung vor Hauptkonkurrent AlphaTauri bei komfortablen 25 Zählern. "Das macht die Dinge für uns etwas einfacher, aber wir dürfen uns nicht zurücklehnen", so Alonso. Für eine kleine Feier zu Ehren des Altmeisters dürfte es aber wohl noch reichen.

3. Pirelli muss seine Reifen in den Griff bekommen

Der erste Große Preis von Katar in der Geschichte der Formel 1 dürfte den Verantwortlichen bei Reifenlieferant Pirelli noch einige schlaflose Nächste bereiten. Mit Lando Norris (McLaren), Valtteri Bottas (Mercedes), Nicholas Latifi und George Russell (beide Williams) erlitten gleich vier Fahrer im Laufe des Rennes einen Reifenschaden, was Pirelli im Anschluss eine Welle an Kritik einbrachte.

Vor allem Norris wählte drastische Worte. "Man erwartet nicht, dass der Reifen platzt, vor allem nicht der harte Reifen", kochte der Brite, nachdem sein Pneu nach nicht einmal 24 Runden den Geist aufgegeben hatte. "Unser Stint war noch gar nicht so lang, irgendetwas bei 20 Runden. Und ein Reifen sollte viel länger halten als 20 Runden. Das war ziemlich gefährlich für einige. Das darf nicht passieren."

Beim McLaren-Pilot ging die Sache zwar noch vergleichsweise glimpflich aus - er schaffte es noch an die Box, ehe der Reifen endgültig versagte - im schlimmsten Fall kann ein Reifenschaden aber zu folgenschweren Unfällen führen. "Es darf einfach nicht passieren. Wenn da eine Mauer gewesen wäre, hätte es viel gefährlicher werden können", schimpfte Norris und fordert: "Sie sollen einfach die Reifen besser machen. Für uns Fahrer ist es gefährlich. Wir riskieren jedes Mal viel und wenn man nicht einmal ein Formel-1-Auto um die Strecke fahren kann, was soll man da machen?"

Auf Seiten Pirellis gab man sich zunächst bedeckt und kündigte Untersuchungen an. "Wir müssen die Reifenschäden untersuchen. Uns war klar, dass der Reifen links vorne dem größten Stress ausgesetzt ist", sagte Pirelli-Sportchef Mario Isola. Doch die Reifenschäden in Katar seien wohl nicht nur auf die Abnutzung zurückzuführen. "In diesem Fall passierten die meisten Reifenschäden nach einem Stoß auf die Randsteine. Wir müssen jetzt verstehen, ob der Druckverlust plötzlich kam oder was das Problem war", so Isola.

Bottas: "Gab keine Vorwarnung"

Auffällig: Es gab für die Fahrer keinerlei Anzeichen, dass die Reifen zum Problem werden könnten. "Es gab keine Vorwarnung, keine Vibrationen, die Pace war konstant. Auch der Grip war okay. Es ist einfach passiert", schilderte Bottas. "Und dann war es in Kurve eins ein Reifenschaden. Das war die ungünstigste Stelle, direkt nach der Boxenausfahrt."

Ähnlich passierte es auch Latifi, der es aber nicht mehr zurück zur Box schaffte und sein Auto sogar abstellen musste. Auch er erklärte, von dem Schaden "ziemlich überrascht" gewesen zu sein, unmittelbar zuvor habe sich der Reifen noch "gut angefühlt. Ich hatte vorne eigentlich gar keine Schwierigkeiten".

Es ist nicht das erste Mal, dass Pirelli in den Fokus eines Rennwochenendes rückt. Schon in Aserbaidschan dieses Jahr verunfallten Lance Stroll (Aston Martin) und Max Verstappen (Red Bull) unter hohen Geschwindigkeiten aufgrund von plötzlich auftretenden Reifenschäden. Gegen eine mehr oder weniger starke Abnutzung der Pneus ist absolut nichts einzuwenden, bei nicht vorherzusehenden Reifenplatzern ohne jegliche Fremdeinwirkung kann es aber wirklich gefährlich werden. Das muss Pirelli in den Griff bekommen.

Formel 1: Die WM-Wertung nach 20 von 22 Rennen

  • Fahrerwertung:
PlatzFahrerTeamPunkte
1Max VerstappenRed Bull351,5*
2Lewis HamiltonMercedes343,5*
3Valtteri BottasMercedes203
4Sergio PerezRed Bull190
5Lando NorrisMcLaren153
6Charles LeclercFerrari152
7Carlos SainzFerrari145,5*
8Daniel RicciardoMcLaren105
9Pierre GaslyAlphaTauri92
10Fernando AlonsoAlpine77
  • Konstrukteurswertung:
PlatzTeamPunkte
1Mercedes546,5*
2Red Bull541,5*
3Ferrari297,5*
4McLaren258
5Alpine137
6AlphaTauri112
7Aston Martin77
8Williams23
9Alfa Romeo11
10Haas0

*Beim 12. WM-Lauf in Belgien wurden aufgrund der nicht vollständig absolvierten Renndistanz nur halbe Punkte vergeben.