Willkommen im Champion-Doghouse!

Von Maurice Kneisel
Alberto Del Rio ist der amtierende WWE-Champion - aber macht ihn das schon zum Superstar?
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Alberto Del Rio sicherte sich beim SummerSlam die Undisputed WWE-Championship, aber wie der Topstar von RAW wirkt er beim besten Willen nicht. Das Rampenlicht gehört weiterhin CM Punk und Triple H, der Mexikaner spielt nur die zweite Geige. Wird sich dies bei Night of Champions ändern, oder teilt er das Schicksal von Dolph Ziggler und Jack Swagger?
 

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Es ist die Nacht des 14. August 2011, der SummerSlam endet vermeintlich mit einem GTS und dem anschließenden Sieg CM Punks gegen John Cena. Doch plötzlich steht Kevin Nash hinter dem auffällig ausgiebig feiernden Undisputed WWE-Champion und schaltet ihn mit seiner Jackknife Powerbomb aus.

In diesem Moment war jedem WWE-Fan klar, dass der RAW-Money-in-the-Bank-Sieger Alberto Del Rio zum Ring stürmen und endlich sein lange angekündigtes Schicksal erfüllen würde.

Ein großer Moment für den Mexikaner, wohl der größte in seiner bisherigen Karriere - aber hat er sich damit bereits als Main Eventer in der WWE etabliert? Die Erfahrung zeigt: wahrscheinlich nicht!

Zugegeben, diese Aussage mag im ersten Moment nicht viel Sinn machen. Aber ein Blick zurück auf die Superstars, die in den letzten Jahren ihren ersten Titelgewinn feierten, zeigt, dass diese Behauptung keineswegs abwegig ist.

Als Titelträger in der Midcard

Alleine schon die Tatsache, dass in den Wochen zwischen dem SummerSlam und Night of Champions dem Aufbau der Fehde zwischen Triple H, Punk und Nash deutlich mehr TV-Zeit eingeräumt wurde als der um Del Rio, spricht Bände. Keine Frage, es ist derzeit die heißeste Storyline in der WWE. Aber einem frisch gebackenen WWE-Champion schadet es, im Schatten dieser auftreten zu müssen.

Es geht nicht darum, ob Del Rio nach Night of Champions noch den Titel sein Eigen nennen kann - davon bin ich felsenfest überzeugt - sondern vielmehr darum, wie er oder, allgemeiner formuliert: wie Champions in der WWE bei ihrem erste Titelrun dargestellt werden.

Bringt es Del Rio wirklich weiter, von Cena vermöbelt zu werden, nur um letztlich durch einen miesen Trick oder das Eingreifen von Ricardo Rodriguez zu gewinnen? Hat es Sheamus weitergebracht, gegen einen klar überlegen dargestellten Randy Orton beim Royal Rumble 2010 durch Disqualifikation seinen Gürtel zu behalten? Oder The Miz seine erste Titelverteidigung gegen einen abgehalfterten Ex-Profi wie Jerry Lawler?

Prominente Vorgänger

Das Hauptproblem der WWE ist, dass man mit Cena und Orton nur zwei ernsthafte Topfaces im Kader hat, die man so over wie nur irgend möglich darstellen will. Den Mut, neue Faces - wie beispielsweise John Morrison - an die Spitze zu pushen, hat man aktuell nicht. Entsprechend kommen nur Heels für einen Titelpush in Frage - und diese können nur unfair gewinnen, da ansonsten Cena/Orton Schwäche zeigen würden.

Beleg gefällig? Dolph Ziggler, Jack Swagger, The Miz, Sheamus und The Great Khali - all diese Superstars haben in den letzten vier Jahren zum ersten Mal einen der beiden WWE-Haupttitel gewonnen, waren zu diesem Zeitpunkt Heels und sind nach dem Titelverlust zunächst im von mir angesprochenen Champion-Doghouse verschwunden - einige bis heute.

Selbst Christian turnte kurz nach seinem ersten Titelgewinn, der nicht mal eine Woche anhielt, und sicherte sich die Welt-Schwergewichts-Championship zum zweiten Mal, als er bereits Heel war, indem er Orton durch eine Spuckattacke zu einem Tiefschlag provozierte.

Das Einzige, was man durch eine solche Darstellung bewirkt, ist den Champion schwach darzustellen. Glaubt irgendjemand ernsthaft, dass Del Rio seinen Titel beim PPV mit fairen Mitteln verteidigen kann? Wohl eher nicht.

Zwei Sonderfälle

Die einzigen beiden Ausnahmen auf Face-Seite sind Sonderfälle. CM Punk wurde 2008 als Champ niemals stark dargestellt und nahm erst Fahrt auf, als er für seinen zweiten Run Jeff Hardy bei Extreme Rules 2009 unmittelbar nach dessen Titelgewinn entthronte - was zu Punks Heelturn führte.

Hardy ist der andere Sonderfall, und das in jeder Hinsicht. Hier wurde die WWE aufgrund seiner enormen Popularität regelrecht gezwungen, einen Face an die Spitze zu pushen.

Und das, obwohl sie - zurecht - Bedenken hinsichtlich seines schwierigen Charakters hatten. Der erste Titelrun dauerte knapp einen Monat, der zweite wenige Minuten, der dritte erneut zirka einen Monat - und kurz darauf verließ Hardy die WWE.

Ein stetiger Abstieg

Seien wir ehrlich: Alberto Del Rio wirkt bislang nicht unbedingt wie ein souveräner WWE-Champion. Die Verantwortlichen begehen auch bei ihm den obligatorischen Fehler, jeden Heel - vielleicht mit Ausnahme von Mark Henry aktuell - als feigen, miesen Betrüger darzustellen.

Betrachten wir einmal die RAW-Ausgaben seit dem SummerSlam im Einzelnen:

RAW am 15. August: Im Fokus steht eindeutig die Dreierfehde zwischen Triple H, Nash und Punk. Del Rio hält zwischendurch eine Promo und verteidigt im Main Event seinen Titel gegen Rey Mysterio. Anschließend wird die Fehde gegen Cena eingeleitet.

SmackDown am 16. August: Del Rio hält eine Promo, in der er uns an seine Siege gegen Mysterio erinnert. Anschließend besiegt er mitten in der Card den Kofferträger des blauen Brands, Daniel Bryan.

RAW am 22. August: Del Rio ist zu Beginn der Show Teil eines Promo-Three-Ways mit Punk und Hunter, bei dem deutlich wird, dass er am Mikro zwar Potential hat, aber noch nicht auf dem Level der beiden Main Eventer angekommen ist. Anschließend bestreitet er den Opener gegen John Morrison, bei dem er nur mit Glück den Sieg einfährt. Im Main Event stehen derweil Punk und Cena, Del Rio attackiert anschließend seinen Night of Champions-Gegner.

RAW am 29. August: Del Rio ist aufgrund von Visa-Problemen nicht anwesend und bleibt nur durch die Erwähnungen der Kommentatoren präsent.

RAW am 5. September: Del Rio ist immer wieder backstage zu sehen, wo er Heels für eine Attacke auf Cena rekrutiert. Diese hetzt er später auf seinen Gegner. Nach dem Acht-Mann-Eliminition-Match, an dem der Mexikaner nicht teil nimmt, attackiert er Cena hinterrücks, muss aber ordentlich Prügel einstecken.

RAW am 12. September: Del Rio feiert sich während einer Promo selbst ab und provoziert den hinzukommenden Bret Hart. Als auch Cena auftaucht, versucht er, seinen Ringsprecher Ricardo Rodriguez vorzuschieben. Im daraus resultierenden Tag-Team-Match - das nicht etwa im Main Event, sondern mitten in der Show stattfindet - schiebt Del Rio einmal mehr Rodriguez vor und macht sich schließlich aus dem Staub.

Hinsichtlich seiner Abwesendheit in den RAW- und SmackDown-Ausgaben vor zwei Wochen kann man der WWE keinen Vorwurf machen. Del Rio weilte in seinem Heimatland und kümmerte sich um die Verlängerung seines Visas, mit dem es unerwartete Probleme gab. Aber wie wird das Ganze dann eine Woche später On-Air begründet? Damit, dass er Cena und ihr Match bei Night of Champions schützen wollte.

Es ist schwer, Del Rios Charakter zu fassen: einerseits wird er als Mann voll Stolz und Ehre porträtiert, der im Ring klar im oberen Drittel des WWE-Kaders anzusiedeln ist und gleich in seinem Debüt mit Rey Mysterio einen Topstar zerstörte.

Andererseits ist er aber auch der WWE-Champion, der versucht, sich um Matches zu drücken und andere für sich die Drecksarbeit erledigen lässt. Der vor Konfrontationen davon läuft oder selbst bei hinterhältigen Attacken in der Regel selbst die Prügel einstecken muss.

Del Rio in der Testphase

Ähnlich lief es bei Sheamus, der zwar offiziell als tapferer keltischer Krieger dargestellt wurde, während seiner Heel-Zeit aber eher durch miese Attacken nach Matches und Schläge mit einem Stahlrohr auffiel oder panisch vor John Cena und dem Nexus davon lief.

Verstärkt man so die Heat, die ein Heel beim Publikum zieht? Klar, denn niemand mag einen feigen Champion. Aber um als ernstzunehmender Konkurrent für Cena und Orton zu erscheinen, darf auch ein Heel eben nicht auf diese Taktiken beschränkt werden, sondern muss durch Härte und Rücksichtslosigkeit überzeugen. Eben so, wie derzeit Henry auftritt.

So wie es den Anschein hat, testet die WWE auch Del Rio - wie die genannten Vorgänger - bei seinem ersten Titelrun und geht nicht das Risiko ein, schon alles auf ein noch verhältnismäßig unbekanntes Pferd zu setzen. Man ist nicht bereit, zu riskieren, einen Heel - obgleich man offensichtlich von seinem Potential überzeugt ist, bereits gegen eines der Aushängeschilder over zu bringen.

Die Frage, die sich frühestens nach Night of Champions beantworten lassen wird, lautet nun: Wird Alberto Del Rio der nächste CM Punk, oder endet er dauerhaft im Doghouse, wie Jack Swagger?

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