NFL

Russell Wilson und die Seattle Seahawks: Der beste Spieler vom eigenen Team ausgebremst

Von Jan Dafeld
Russell Wilson und Pete Carroll schieden in der Divisional Round aus.
© getty

Aufgrund einer schwachen ersten Halbzeit gegen die Green Bay Packers endete die Saison der Seattle Seahawks in der Divisional Round, die eigene Defense ließ das Team in den entscheidenden Momenten im Stich. Dank seines herausragenden Quarterbacks sollte Seattle mit Blick auf die kommende Saison eigentlich frohen Mutes sein. Aber: Die eigenen Coaches scheinen Russell Wilson zurückhalten. Stimmt das?

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Für die Seahawks ist die Saison beendet. In der Divisional Round genügte dem Team gegen die Green Bay Packers selbst eine herausragende Leistung von Russell Wilson in der zweiten Halbzeit nicht, Seattle verlor letztlich mit 23:28.

Das Playoff-Aus der Seahawks alleine ist dabei noch kein Grund zur Besorgnis. Garantierter Erfolg existiert in der NFL-Postseason nicht, kaum eine Saison würde sich besser eignen, um diesen Punkt zu untermauern als die diesjährige, in der die (mit)favorisierten Baltimore Ravens und New Orleans Saints beide in ihrem ersten Playoff-Spiel des Jahres ausschieden. Die große Rolle, die der Faktor Glück in jedem NFL-Match spielt, wird nach wie vor deutlich zu wenig berücksichtigt.

Anders als beispielsweise bei den Ravens erwecken die Seahawks allerdings weniger den Eindruck, ein Team zu sein, das sich - trotz vieler Playoff-Teilnahmen in den vergangenen Jahren - perspektivisch auf dem richtigen Weg befindet und das mit einem Quäntchen mehr Glück im nächsten Jahr bis in den Super Bowl einziehen könnte.

Zu viele Entwicklungen werfen dafür Fragezeichen auf. Und dann kommt man doch in die Richtung der Dinge, die Grund zur Sorge geben.

Pete Carroll: Konservative Philosophie

Head Coach Pete Carroll gehört zu den konservativsten Entscheidungsträgern der NFL. Der 68-Jährige will das Spiel durch das Kontrollieren des Balles sowie der Uhr in den Griff bekommen, er vertraut auf seine Defense und scheint seinen Quarterback die Hauptlast in der Offense nur dann schultern lassen zu wollen, wenn der Spielverlauf dies unbedingt verlangt.

Carrolls Philosophie war bis zuletzt von Erfolg gekrönt, das steht außer Frage. Am College gewann er mit den USC Trojans sieben Jahre in Serie mindestens elf Spiele, die Seahawks führte er nach zwei Jahren mit einer negativen Bilanz zum Start seiner Amtszeit acht mal in Folge zu Saisons mit mindestens neun Siegen, er zog acht Mal in die Playoffs und zwei Mal in den Super Bowl ein. 2013 krönte er sich mit Seattle dort zum NFL-Champion.

Schaut man sich die Zusammensetzung der Seahawks im Jahr 2020 an, scheinen einige von Carrolls Überzeugungen allerdings aus der Zeit gefallen zu sein. Im Super-Bowl-Jahr 2013 verfügten die Seahawks über die beste Defense der Liga und einen guten Quarterback, sechs Jahre später könnte man feststellen, dass mittlerweile das Gegenteil der Fall ist - nur ist Seattles Defense dafür in diesem Jahr zu schwach gewesen.

Seattle Seahawks: Trotz Wilson keine Top-Offense

Wilson spielte über die letzten vier Monate eine absolut herausragende Saison, vielleicht seine beste seit er vor acht Jahren in die NFL kam. Der 31-Jährige war bis zuletzt im MVP-Rennen vertreten und wurde Ende der Spielzeit zum All-Pro gewählt. Und die Seahawks waren in der Regular Season ja durchaus erfolgreich.

Sie gewannen fünf ihrer ersten sechs Saisonspiele, zogen unter dem Strich ungefährdet in die Playoffs ein und verpassten den Division-Sieg im direkten Duell mit den San Francisco 49ers in Woche 17 im wahrsten Sinne des Wortes um Haaresbreite. Die Offense belegte laut DVOA zudem einen respektablen fünften Platz.

Das Problem allerdings: Die Ravens und die Chiefs, die mit Lamar Jackson und Patrick Mahomes über die einzigen Quarterbacks verfügen, die über die gesamte Saison auf einem ähnlichen Niveau wie Wilson agierten, brachten eine laut dieser Metrik noch (deutlich) bessere Offense aufs Feld.

Vereinfacht dargestellt bedeutet das: Viel besser als in dieser Spielzeit kann Wilson überhaupt nicht spielen. Mit der aktuell verfolgten Philosophie der Seahawks wird Seattle offensiv folglich niemals in die Gefilde der aktuellen Liga-Spitzenreiter vorstoßen können, zumal auch Seattles Run-Game im Vergleich mit dem Laufspiel der anderen Teams in der Liga in diesem Jahr ligaweit bereits zu den besten zählte.

Und das bedeutet wiederum: Wilson wird - wenn man die aktuelle Ausrichtung betrachtet - eine starke Defense benötigen, um mit den Seahawks zu den besten Teams der NFL gehören zu können. Eine Tatsache, die für einen der besten Spieler der Welt eigentlich nicht gelten sollte.

Seahawks: Playoff-Aus durch schwache Defense

Zur Klarstellung: Ein herausragender Quarterback alleine garantiert noch keinen Erfolg. Sowohl Wilson als auch Jackson und Mahomes lagen am vergangenen Wochenende bereits mit zwei Touchdowns in Rückstand, ohne selbst auch nur einen gravierenden Fehler gemacht zu haben.

Auch die Niederlage der Seahawks in Green Bay lässt sich nicht alleine mit Carrolls Grundvorstellung von Football erklären. Durch den schnellen Rückstand seines Teams war der Head Coach ohnehin früh gezwungen, einen aggressiveren Ansatz zu verfolgen. Seattle kam in der ersten Halbzeit auf 19 Dropbacks von Wilson bei nur sechs Runs, über das gesamte Spiel waren es 46 Dropbacks und 15 Runs. In der zweiten Halbzeit spielte man sogar einen Fourth-and-One aus.

Seattles Playoff-Aus ist stärker auf die großen Probleme in der eigenen Defense, sowohl gegen den Pass als auch gegen den Run, zurückzuführen. Den Seahawks gelang es zu lange nicht, die Offense der Packers zu bremsen, in den entscheidenden Momenten des Spiels schaffte die Unit es nicht, Rodgers durch die Luft zu stoppen.

Seattle Seahawks: Carroll hält Wilson zurück

Dies führt uns allerdings zurück zu Carroll: Das Fundament für seine einst so erfolgreiche Philosophie ist im Jahr 2020 schlicht und ergreifend nicht mehr vorhanden, laut DVOA war die Seahawks-Defense in dieser Saison so schwach wie seit fast 10 Jahren nicht mehr. Ob ihr im kommenden Jahr ein entscheidender Sprung nach vorne gelingt, steht derzeit noch in den Sternen - während gleichzeitig mehr und mehr in Frage gestellt wird, wie nachhaltig erfolgreich es überhaupt noch ist, primär auf eine dominante Defense setzen zu wollen.

Carroll ist nicht von heute auf morgen ein schlechter Head Coach geworden. Seine Qualitäten als Mentor und Leader sind unbestritten. So manch anderes Team könnte von einer Verpflichtung von ihm vermutlich profitieren. Nur: Solange er seinen herausragenden Quarterback, die große Stärke seines Teams, selbst bremst, hält er die Seahawks zurück.

Wilson selbst stellt sich öffentlich vorbehaltlos hinter seinen Head Coach. Niemand kann garantieren, dass Seattle von einem Coaching-Wechsel tatsächlich profitieren würde. Und doch sollte jeder Football-Fan bei dem Gedanken an Wilson in einer Offense von beispielsweise Eric Bieniemy, Offensive Coordinator der Chiefs, leuchtende Augen bekommen.

Das Dilemma für Wilson: Solange er weiter auf seinem enorm hohen Niveau spielt, wird Seattle auch weiter Spiele gewinnen und Carroll, der innerhalb der Seahawks-Organisation großes Vertrauen genießt und über so viel Macht und Mitspracherecht verfügt wie kaum ein anderer Head Coach in der NFL, gemeinsam mit seinem Coaching Staff somit auch nicht in Frage gestellt werden.

Wilson garantiert den Personen, die ihn und seine Offense zurückhalten, ihre Posten. Es sieht so aus, als würde sich an diesem Zustand in der nahen Zukunft nichts verändern.

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