NFL

Glamour, Kabinensturm, blutige Teenager

Die Fans in London scheuten für ihre Outfits weder Kosten, noch Mühen
© getty

Die NFL International Games Serie 2016 ist zumindest für Europa beendet, die Raiders und die Texans machen den offiziellen Abschluss am 21. November in Mexiko City. Am Sonntag fand das letzte von drei London-Spielen statt, die Redskins und die Bengals boten den Fans ein Unentschieden. SPOX war auch dieses Mal wieder live dabei - und erlebte Glamour, Aula-Charme, blutverschmierte Teenager, lange Schlangen und einen Kabinensturm! Ein Rückblick von Redakteur Adrian Franke.

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Fancy, Fancier, NFL: Die NFL fühlt sich in London wohl, und das jetzt schon seit einigen Jahren. Die Anzahl der hier ausgetragenen Spiele steigt genauso kontinuierlich, wie sich die Gerüchte um den permanenten Umzug eines Teams (Hallo, Jaguars!) halten - auch wenn es in der Redskins-Kabine nach dem Spiel daran durchaus Kritik gab. Mittlerweile wird gar über die Möglichkeit, den Super Bowl hier auszutragen, gesprochen. Insofern hätte es mich wohl nicht überraschen sollen, als ich kurz nach meiner Ankunft das temporäre NFL-Hauptquartier in London betrat, um meine Akkreditierung für das Spiel abzuholen.

Tat es aber dann doch schon zumindest ein bisschen. Denn dieses Hauptquartier war kein kleines Büro oder eine angemietete Zentrale in der Nähe des Wembley-Stadions: Vielmehr residierte die NFL in einem exorbitant edlen Hotel Mitten in London. Eines dieser Häuser, in dem man sich beobachtet fühlt, wenn man ohne Anzug aufschlägt, und unweigerlich die Skepsis in der Stimme des bis zum Zylinder perfekt gekleideten Portiers vernimmt, wenn er fragt, ob man gerade einchecke.

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Drinnen angekommen durfte ich feststellen, dass die NFL beinahe den kompletten obersten Stock in Beschlag genommen hat. Wieso ich das ganze Stockwerk abgelaufen bin? Der Klassiker: Von der Rezeption aus an Raum A verwiesen, von da aus in den anderen Flügel des Stockwerks zu Raum B geschickt, um dort gesagt zu bekommen, dass meine Ansprechpartnerin gerade nicht da ist und eigentlich ja sowieso in einem anderen Raum sitzt. Natürlich.

Glücklicherweise kam die nette Dame dann aber nach einer kurzen E-Mail und etwa zehn Minuten später über den Flur gerannt, entschuldigte sich nach Luft schnappend vielmals und drückte mir die Unterlagen in die Hand.

Training auf dem Rugby-Feld: Alle, die schon immer einmal wissen wollten, wie so ein (semi-)öffentliches Training in der NFL aussieht - here we go: Das Training der Redskins fand auf dem Gelände der London Wasps statt, ein Rugby-Verein, der kommendes Jahr 150. Geburtstag feiert - nur, falls sich jemand diesen Spaß nicht entgehen lassen will. Wir sprechen hier von einem gemütlichen Vereinsheim aus dem Bilderbuch, mit Ledersesseln, alten Holzstühlen und den glorreichen Mannschaftsbildern vergangener Tage an der Wand.

Allerdings brachte das auch bestimmte Einschränkungen mit sich: So war das Trainings-Feld etwa zu kurz für volle 100 Yards, weshalb eines der beiden Field Goals hinter einem kleinen weißen Zaun postiert war, der in gewisser Weise die Endzone markierte.

Eine Notiz zum Training: DeSean Jackson war an jenem grauen Vormittag in London in puncto Aufwärmen der unmotivierteste Sportler, den ich seit einer Weile gesehen habe. Während die schweren Jungs (a.k.a. O-Liner und D-Liner) die kleinen Übungen mit einigen lustigen Kommentaren begleiteten, stahl sich D-Jax lieber etwa nach der Hälfte der Einheit minimal humpelnd in Richtung Bank davon - und war kurz darauf für die Catching-Drills wieder zurück auf dem Platz.

Die Reaktionen aus der Redskins-Kabine: "Hoffe, dass die NFL das ändert"

Semi-öffentlich übrigens deshalb, weil man sich zunächst vergleichsweise frei bewegen durfte, und so beispielsweise auch die Chance erhielt, NFL Networks Mike Garafolo dabei zu beobachten, wie er vor aufgebautem Mini-Set in stoischer Ruhe seine TV-Aufsager abarbeitete und nebenbei verriet, dass ihm der Linksverkehr in London noch Probleme bereitet. Nachdem der medial zugängliche Part des Trainings allerdings vorbei war, wurden alle Berichterstatter in die Hinterzimmer verwiesen - damit definitiv auch niemand durch ein Fenster einen Blick auf den Platz erhaschen konnte.

Die offizielle Pressekonferenz fand dann in einem Raum mit dem Charme der guten alten Schul-Aula statt. Und das zunächst vor quasi leeren Plätzen, weil niemand all die Schreiberlinge im Hinterzimmer informiert hatte! Sobald durchsickerte, dass Jay Gruden gerade mehr oder weniger ein Einzelinterview mit der üblichen Kamera-Armada im Hintergrund führt, füllte sich der Raum dann schnell. Etwas chaotisch? Durchaus! Aber alles mit britischem Charme!

Eine Begegnung der unheimlichen Art ... gab es derweil gleich am ersten Abend. Die Arbeit für den Tag war fast getan, höchste Zeit, sich ein kleines Abendessen zu gönnen. Nichtsahnend fuhr ich also mit dem Aufzug nach unten - nur um plötzlich einer Horde Teenager gegenüber zu stehen, die allesamt blutverschmierte T-Shirts und (aufwendig geschminkte) Wunden überall im Gesicht hatten!

Der weitere Gang nach draußen gab dann mehr Aufschluss: Eine örtliche Halloween-Party zog all die Zombies, Mordopfer, Vampire und sonstigen Monster an, die sich gerade auf der Straße in Scharen versammelten. Hätte ich vorher wissen können? Vielleicht. Man bekommt währen der Saison aber auch nichts mit ...

Viel Lob, ein wenig Kritik: Eines muss man der NFL lassen: Es wird in der Kürze der Zeit - beide Teams kamen erst am Freitag in London an - ohne Zweifel alles dafür getan, dass die europäischen Fans auf Tuchfühlung gehen dürfen. Zwar gab es die riesige Fan-Meile auf der Regent Street mit diversen Shows, NFL-Stars und ehemaligen Spielern nur beim ersten London-Duell zwischen Jacksonville und Indianapolis, doch auch dieses Mal konnten Fans die NFL hautnah erleben.

Bei einem Fan-Event im Victoria House im Stadtzentrum, vor dem sich über Stunden unverändert lange Schlangen bildeten, traten mehrere Größen auf, unter anderem LaVar Arrington und Anthony Munoz waren zugegen, stellten sich offenen Fragen aus dem Publikum und gaben noch eine Demonstration in Pass-Rush und Blocking.

Die Fan-Events stehen auf der Agenda der Liga und der Teams weit oben und hier werden auch keine Mühen gescheut, weder von den Teams, noch von der NFL - wenngleich das Event für dieses letzte London-Spiel in diesem Jahr etwas "versteckter" war, als etwa bei der Fan-Meile auf der Regent-Street einige Wochen vorher.

Allerdings geschieht das ein wenig auf Kosten der Berichterstattung. Beim einzigen öffentlichen Redskins-Training vor Ort etwa - das fast exakt zeitgleich mit dem einzigen öffentlichen Bengals-Training und am anderen Ende der Stadt stattfand - wusste unmittelbar vor dem Start niemand, inwieweit Spieler für Fragen zur Verfügung stehen - und ob das überhaupt der Fall sein würde (war es, abgesehen von Cousins, nicht wirklich). Natürlich gilt aber hier: Klagen auf hohem Niveau!

Gameday! Football-Publikum? Aber Hallo! Die Fans im Stadion sorgen inzwischen in London ganz eindeutig für eine Football-Atmosphäre, bei Third Down bekamen die Redskins das gestern am eigenen Leib zu spüren. Und auch ansonsten lässt sich festhalten: NFL in London macht auch dem Schreiberling Spaß!

Beim Presse-Büffet lassen sich die Verantwortlichen ohnehin nicht lumpen, noch viel wichtiger aber: Das W-LAN funktionierte in Hochgeschwindigkeit! Das Stadion-Personal war extrem zuvorkommend und beantwortete alle Fragen gerne, nach dem Spiel ist es nur ein kurzer Weg in die Kabine - vielleicht etwas zu kurz.

Denn als ich nach abgeschicktem Spielbericht runter kam, stand nur ein junger Security-Guard vor der Tür der Redskins-Kabine. Ich zeigte also brav meine Akkreditierung, er ließ mich rein - und plötzlich stand ich bei den Spielern und hörte die Rede von Coach Jay Gruden! Dass das so nicht gedacht war, wurde mir dann auch relativ schnell klar und spätestens als mich ein Verantwortlicher darauf hinwies, dass die Presse hier noch nichts zu suchen hat, verabschiedete ich mich nochmals für einige Minuten.

Anschließend aber konnte man zahlreiche O-Töne aufschnappen und auch die Fußball-Stars geben sich die Klinke in die Hand. Waren in Twickenham noch Franck Ribery, David Alaba und Jerome Boateng, so konnte man jetzt Thierry Henry (der vom Wembley-Publikum übrigens lautstark ausgepfiffen wurde) oder Paul Pogba über den Weg laufen.

Schlusswort: Seit inzwischen zehn Jahren kommt die NFL nach London, und sie hat sich hier fest etabliert. Das fällt auf, wenn man durch die Stadt läuft und eine Vielzahl an Trikots sieht, getragen von Menschen verschiedenster Herkunft - während sich gleichzeitig auch mehr und mehr Fans der beteiligten Teams zeigen. Die Spiele fühlen sich dadurch immer weniger wie Football-Spiele an, die, etwas platt formuliert, vor Fußball-Fans ausgetragen werden.

Die NFL wird in London mit offenen Armen empfangen und ist allgegenwärtig, auch ohne große Fan-Meile. Somit überrascht es wenig, dass Redskins-Quarterback Kirk Cousins am Freitag nach Washingtons öffentlichen Training offen erklärt hat, dass eine Franchise in London "gut für die NFL" wäre - nur wenige Wochen, nachdem sich auch Colts-Besitzer Jim Irsay klar für das Projekt ausgesprochen hatte.

Zwei wöchentliche Football-TV-Shows laufen hier inzwischen - zusätzlich zu den Spielen - im Fernsehen. Am Freitag habe ich reingeschaltet, unter anderem die beiden Ex-Giants-Spieler Jason Bell und Osi Umenyiora fassen dabei das Geschehen in der NFL locker zusammen.

Die Liga wächst, London ist inzwischen ein fester Bestandteil des NFL-Kalenders und eine Franchise hier scheint Jahr für Jahr im Rahmen der International Games ein größeres Thema mit mehr Fürsprechern zu werden. Bis dahin darf sich Europa womöglich schon bald auf mehr Spiele freuen: Jaguars-Eigentümer Shad Khan hat Commissioner Roger Goodell jedenfalls schon öffentlich aufgefordert, aus drei Spielen im kommenden Jahr vier Spiele zu machen.

Eine Partie für 2017 steht jedenfalls schon fest: Die (gemäß der Trikot-Quote auf den Straßen überaus beliebten) Miami Dolphins treffen dann in London auf die New Orleans Saints!

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