Normalerweise kennt man in NBA-Kreisen die Binsenweisheit, dass eine Playoff-Serie erst dann anfängt, wenn das Heimteam erstmals ein Spiel verliert. Das ist grundsätzlich natürlich keine allzu wertvolle Erkenntnis, die Serie zwischen den Mavericks und Clippers führt sie indes komplett ad absurdum: Hier geht es demnach wohl erst los, wenn das Heimteam erstmals ein Spiel gewinnt.
Wann wird es dazu kommen? In der Nacht auf Montag haben die Mavs die insgesamt vierte Chance eines Heimteams, nachdem bisher jedes Spiel vom Auswärtsteam für sich entschieden wurde. Doch es gibt einige Faktoren, die nach dem am Ende souveränen Sieg in Spiel 3 (118:108) auch weiterhin für die Clippers sprechen könnten.
Dallas startete zwar überragend in die Partie, doch mit zunehmendem Spielverlauf schienen bei den Clippers gleich mehrere Knoten zu platzen. Es folgen vier Gründe, warum diese Serie jetzt erst so richtig anfängt.
1. Die Clippers haben ihre Rotation angepasst
Es verwunderte vor dem Spiel etwas, als die einzige Änderung in der Starting Five die Hereinnahme von Reggie Jackson statt Patrick Beverley war. Ivica Zubac hatte sich ja zuletzt so schwer getan und blieb nun doch der Starting Center, obwohl Luka Doncic ihn gerade in Spiel 2 so vorgeführt hatte.
Das tat Doncic auch zu Beginn von Spiel 3 und zunächst spielten die Clippers den Mavs mit einem scheinbar unveränderten Defensiv-Konzept voller Soft Switches komplett in die Karten. Mit der Zeit zeigte sich dann aber doch eine durchaus veränderte Rotation: Die Minuten von Zubac und Beverley wurden stark reduziert, um vor allem Doncic weniger offensichtliche Angriffsfläche zu bieten.
L.A. spielte in Abwesenheit des verletzten Serge Ibaka tatsächlich in 37 von 48 Minuten mit Small-Ball-Lineups ohne echten Center, es wurde auf Flügelspieler gesetzt, die Rotation wurde effektiv auf acht Spieler (plus 6 Minuten Beverley) reduziert. Rajon Rondo, Nicolas Batum und Terance Mann kamen von der Bank, ein Big Man ist in diesem Trio nicht zu finden.
Dem Ringschutz schadete das nicht, im Gegenteil. Tyronn Lue schien erkannt zu haben, dass die kleinen Lineups einerseits besser switchen können und dass Dallas andererseits abgesehen von Doncic keinen Spieler hat, der konstant Mismatches bestrafen kann.
Kristaps Porzingis zwar hat gegen jeden NBA-Spieler Größenvorteile, aber ihm fehlt die Kraft, um im Post selbst kleine Guards wie Jackson wegzuschieben. Mit seinen schwierigen Turnaround-Jumpern über "Mismatches" wie Morris, Kawhi oder George kann L.A. bestens leben.
Indem die Clippers Länge für Mobilität opferten, waren sie viel besser in der Lage, um Driving Lanes in Richtung Korb zu unterbinden; eine eigene Form von Ringschutz. Dallas verzeichnete nur zwölf Abschlüsse am Ring und fast jeder Wurf aus dem Zweipunktebereich war schwer, insbesondere aus der sogenannten Floater-Range innerhalb der Zone gelang den Mavs fast nichts (5/22).
L.A. hatte zwar keinen klassischen Shotblocker auf dem Court, aber langarmige und athletische Flügelspieler sind gegen diese Art von Mavs-Team im Prinzip völlig "ausreichend". Nun sind die Mavs gefragt, um herauszufinden, wie sie insbesondere Porzingis wieder gewinnbringender einsetzen. Denn dieser sah auch defensiv nicht gut aus gegen die kleinen Clippers-Aufstellungen.
2. Die Clippers spielen offensiv mit anderem Fokus
Durch die kleineren Aufstellungen mit reichlich Speed und Spacing gab es für Porzingis keinen natürlichen Gegenspieler auf dem Court, wodurch es die Clippers recht gut schafften, den Letten vom Korb wegzuziehen. Da mit Maxi Kleber der ansonsten wichtigste Help-Defender auf Kawhi abgestellt war, eröffneten sich so regelmäßig viele Freiräume am Korb.
Lue hatte vor dem Spiel gefordert, dass sein Team aggressiver sein und den Ring attackieren müsse. Das wurde umgesetzt, das normalerweise eher auf den Sprungwurf schauende Clippers-Team kam auf 20 Abschlüsse in unmittelbarer Korbnähe (überragende 17 Treffer). Hinzu kamen immerhin neun Eckendreier, was für eine insgesamt deutlich verbesserte und auch einfachere Wurfverteilung spricht.
Die Clippers haben in George und Leonard das Personal, um auch die schwierigen Jumper aus dem Dribbling zu treffen, gerade für die Rollenspieler wurden zu Beginn der Serie teils aber zu wenige einfache Abschlüsse herausgespielt. Wodurch wiederum zu viel an Isolationen der Superstars hing.
Das veränderte sich in dieser Partie merklich, weshalb es im letzten Viertel oft Morris oder Jackson waren, die Possessions nach gutem Ball-Movement mit offenen Dreiern als Momentum-Killer beendeten.
3. Rajon Rondo ist das Outlet für Kawhi Leonard
Rajon Rondo erzielte zwar nur 6 Punkte, verteilte aber 8 Assists und hatte in 26 Minuten mit +22 den höchsten Plus/Minus-Wert aller Akteure. An seiner alten Wirkungsstätte zeigte er, warum die Clippers ihn geholt haben, und nahm Dallas vor allem in Überzahlsituationen einige Male auseinander.
Speziell in der zweiten Hälfte versuchten die Mavs alles, um den brandheißen Leonard zum Passen zu zwingen. Kam das Doppeln, suchte dieser Rondo, der das Spiel danach fast jedes Mal perfekt las: Einige Male penetrierte er selbst, zumeist aber bewegte er den Ball schnell weiter und suchte und fand den offenen Schützen. Immer wieder war er zuvor selbst als Blocksteller für Kawhi aktiv.
Auch der letztlich entscheidende Wurf von Jackson zum 115:102 wurde aus einer solchen Situation vorbereitet, auch wenn hier zwischen Leonard und Rondo nach Batum am Ball war. Der zweimalige Champion machte die Offense durch seine Intelligenz in dieser Partie um ein Vielfaches schwerer auszurechnen.
Nicht unter den Tisch fallen sollte außerdem, dass Rondo vor allem in der zweiten Hälfte auch defensiv einen starken Job gegen Doncic machte. Er verteidigte den Slowenen mehrfach über das ganze Feld und auch wenn er ihn dadurch natürlich nicht aus dem Spiel nahm, schien es doch mindestens einen zermürbenden Effekt zu haben. Zumal Doncic an diesem Tag kein so verlässliches Outlet an seiner Seite hatte.
4. Ist die Blockade gelöst?
Jedes Spiel in einer solchen Serie ist eine Momentaufnahme und lädt zu Überreaktionen ein. Das gilt natürlich ganz besonders bei den Clippers, die aufgrund der Erfahrungen 2020 gern mit einer gewissen Häme begutachtet werden. Zu Beginn dieser Partie sah es so aus, als würden die Clips vor einem erneuten Fiasko stehen wie im Vorjahr. Dass es nicht dazu kam, ist bemerkenswert.
Natürlich liegt das Team noch immer hinten, hat keinen Heimvorteil, hat einen überragenden Doncic auf der Gegenseite. Aber es hat in diesem Spiel eben auch mal endlich etwas gezeigt, was ihm lange fast komplett abgesprochen wurde: Herz, Widerstandsfähigkeit, jedes gewünschte Klischee. "Wie wir hier zurückgekommen sind, das sagt viel über uns aus", sagte Lue.
Vielleicht setzt ein solcher Auftritt Kräfte frei oder löst bisher existierende Blockaden. Es ist bei den Clippers ja nie das Talent, das in Frage gestellt wird, auch nicht in dieser Serie. Es sind eher die angesprochenen Klischees, die trotz allem eine gewisse Bedeutung haben.
Den Druck gab George folglich am Ende bereitwillig ab: "Wir liegen hinten, wir haben noch nichts geleistet. Wir sind nicht der Favorit, wir sind nicht der amtierende Champion. Wir haben noch gar nichts gezeigt." Wenn das ganze Team das kapiert hat, könnte diese Serie tatsächlich noch richtig Fahrt aufnehmen.