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Durch die Hölle und zurück

Kris Dunn repräsentierte am Draft-Abend seine Uni Providence
© getty

Kris Dunn war bereits im Alter von 9 Jahren zeitweise auf sich allein gestellt und hatte nur seinen Bruder als Ansprechpartner, bevor ihn sein Vater rettete. Der No.5-Pick ist durch seinen einzigartigen Weg geprägt - und könnte auch deshalb ein wahrer Glücksgriff für die aufstrebenden Timberwolves sein. Wenn sie ihn denn behalten.

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Über kaum einen Spieler wurde im Vorfeld des Drafts so viel gesprochen wie Kris Dunn. Die ersten beiden Plätze waren ohnehin schon Monate im Voraus an Brandon Ingram und Ben Simmons vergeben worden, doch dahinter gab es weniger Klarheit. Der Point Guard von Providence hatte viele Fans bei verschiedenen Teams - und tauchte daher in etlichen Trade-Gerüchten auf.

Es gab beispielsweise Gespräche zwischen Chicago und Boston, das den No.3-Pick hatte, ein Trade kam aber letztlich doch nicht zustande. Stattdessen ging er an 5 nach Minnesota - einem Team, das Berichten zufolge ebenfalls über einen Trade mit Chicago gesprochen hatte, bei dem Dunn involviert war.

Für jeden Spieler kann dies Stress bedeuten, gerade für einen 22-Jährigen, der noch keine NBA-Minute gespielt hat - aber nicht für Dunn. "Ich war eigentlich den ganzen Abend über ziemlich ruhig", erklärte der neue Timberwolf später The Vertical.

Wenn man sich mit seiner Biographie befasst, ist das nicht wirklich überraschend.

Auf einmal elternlos

Als Dunn noch ein Kleinkind war, entschied sich seine Mutter Pia, ihren Mann zu verlassen und auch gleich den Kontakt abzubrechen - Kris' Vater John Seldon fand damals nur ein leeres Apartment ohne Kontaktdaten vor. Erst rund neun Jahre später sollte sich dies ändern.

Als Seldon seinen dann 10-jährigen Sohn Kris sowie den 15-jährigen Bruder John nach langer Suche endlich fand, hatten die Brüder sich seit Monaten selbst versorgt. Ihre Mutter war nach wiederholtem Diebstahl ins Gefängnis gegangen - und da Kris und John Angst davor hatten, voneinander getrennt zu werden, hielten sie ihr Dasein soweit möglich geheim.

Geldspiele ohne Geld

Mehr als den brüderlichen Zusammenhalt hatten beide in dieser Phase nicht. Um zu überleben, verkauften sie zunächst ihre Kleidung und gingen dann im zarten Kindesalter selbst den Weg ihrer Mutter - mit kleineren Diebstählen, mit Würfeln auf der Straße und gerade in Kris' Fall auch mit Eins-gegen-Eins-Duellen um Geld.

Kris spielte gegen ältere Jungs um Beträge von 20 bis 30 Dollar, ohne diesen Einsatz tatsächlich in der Tasche zu haben. Niederlagen waren unheimlich riskant: "Natürlich habe ich manchmal verloren", blickte Dunn am Draft-Abend zurück. "Dann bin ich weggerannt. Manchmal wurde ich erwischt, dann musste ich kämpfen."

Rettung durch einen Fremden

Mit der Paranoia, die sich der junge Dunn auf der Straße angeeignet hatte, begegnete er zunächst auch seinem Vater, da er sich nicht an Seldon erinnerte. Als der sich Zugang zur Wohnung verschaffen wollte, versuchte Kris ihn zu schlagen, bevor sein Bruder ihm versicherte, dass dies tatsächlich jemand war, der ihn aus seiner Situation retten konnte. Erst mit der Zeit erkannte Kris, dass der Umzug zu seinem Vater letztendlich das beste war, was ihm passieren konnte.

"Man muss so eine Beziehung erst aufbauen, ich vertraue niemandem einfach so", erklärt Dunn. "Mein Dad war darin sehr gut. Er hat mir nicht viel Druck gemacht. Aber er war genauso sportverrückt wie ich und dadurch haben wir zusammengefunden. Er hat alles dafür getan, dass ich meine Träume als Sportler verwirklichen konnte."

Und das, obwohl Seldon absolut nichts von Basketball hielt - seine Sportart war immer Football. Dunn hatte auch darin großes Talent, aber nach einer Weile akzeptierte Seldon, dass sein Sohn eben einen anderen Sport favorisierte. "Er hat offenbar die richtige Wahl getroffen", erklärte der emotionale Vater am Draftabend grinsend.

Für immer Underdog

Da kann man ihm kaum widersprechen. Dunn hat nicht das Star-Potenzial eines Simmons oder Ingram, zudem war er am College öfter verletzt und musste seine Sophomore-Saison sogar komplett aussetzen, dennoch leckten sich diverse Teams die Finger nach dem 22 Jahre "alten" Point Guard.

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Das liegt neben der guten Länge (1,92m), der starken Defense und der Übersicht im Pick'n'Roll allen voran auch an seiner mentalen Härte. Wenn man sich als 9-Jähriger schon selbst versorgen musste, warum sollte man dann Angst vor einem Duell mit Stephen Curry oder Chris Paul haben?

Dunn erklärte die Mentalität von ihm und seinem Bruder John wie folgt: "Wir werden uns immer als Underdogs sehen und dagegen ankämpfen. Wir ziehen nie vor irgendeiner Herausforderung den Schwanz ein, egal ob auf oder neben dem Court. Wir sind widerstandsfähige Leute."

Towns' Message für Dunn

Die Wolves sollten sich bestens überlegen, ob sie wirklich noch einmal versuchen, ihn für Jimmy Butler zu traden - oder ob sie das nötige Roster-Upgrade in Form von Dunn vielleicht schon gedraftet haben. Denn eigentlich passt der Rookie bestens zum jungen Team - und dem neuen Coach Tom Thibodeau.

Der mag normalerweise nicht der allergrößte Rookie-Freund sein, aber macht bei einem 22 Jahre alten Defensiv-Beißer vielleicht ja mal eine Ausnahme. Franchise Player Karl-Anthony Towns hat sich zumindest als Fan seines neuen Point Guards geoutet - und ihn schon am Draftabend kontaktiert, da er als Teil der Coverage von NBA TV ohnehin im Barclays Center anwesend war.

"Ich habe ihm gesagt, dass die Arbeit jetzt beginnt", sagte Towns. "Jetzt geht es nur noch ums Gewinnen. Er kommt zu einem Team, das im Aufstieg begriffen ist, und wir erwarten von ihm, dass er zum Erfolg beiträgt. Playoffs. Wir haben das Talent und die Organisation, um das zu schaffen. Kris hat die Mentalität eines Siegers und deswegen mache ich mir keine Sorgen, dass er gut bei uns reinpasst."

Ist Rubio redundant?

Dunn sah das ganz ähnlich und antwortete mit "Alley-Oops" auf die Frage, worauf er sich bei seinem neuen Team mit Towns, Andrew Wiggins und Zach LaVine am meisten freue. "All die Athleten im Team rennen die ganze Zeit rauf und runter, und das entspricht genau meinem Spiel", sagte Dunn zur Toronto Sun. Ich spiele gerne schnell. Wir sind alle sehr jung und daher denke ich, dass wir bestens zusammenwachsen werden."

Die Vorstellung passt in der Tat ganz gut. Sie lässt nur Raum für Spekulationen, ob Ricky Rubios Tage in Minnesota nun gezählt sind - auch Dunn gilt schließlich als pass-first Guard mit eher mäßigem Wurf. Offenbar haben die Wolves auch wegen einem Rubio-Trade bereits erste Gespräche geführt - ein Shooter auf dem Flügel fehlt dem Team beispielsweise noch.

Der "Hölle" entkommen

Dem No.5-Pick kann das aber erst einmal egal sein. Er ist jetzt schon viel weiter gekommen, als er es sich jemals erträumt hätte, und hat die schwerste Phase seines Lebens erfolgreich hinter sich gelassen. Sein Bruder John, der nach der Verkündung des Picks beinahe zehn Minuten lang weinte, sagte: "Es war die Hölle. Aber jetzt bin ich erleichtert. Ich bin stolz auf meinen Bruder und mehr könnte ich mir nicht wünschen."

Auch Kris war emotional - aber vor allem war er auch glücklich, als sich der Abend dem Ende zuneigte. Denn wie er es ausdrückte, wird er seine Unterdog-Mentalität auch als Lottery Pick keineswegs ablegen.

"Ich kann es nicht erwarten, mit der Arbeit anzufangen", sagte Dunn. "Das alles hier ist toll und macht Spaß, vor allem, weil ich die Zeit mit meiner Familie bringen. Aber jetzt ist es langsam Zeit, um mit der Arbeit anzufangen."

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