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Tanken oder nicht: Das ist die Frage

Von Philipp Dornhegge
Seit dem Rudy-Gay-Trade blühen Terrence Ross und die anderen Raptors auf
© getty

Mit dem Rudy-Gay-Trade und einem Sieg über die Los Angeles Lakers haben die Toronto Raptors die Kehrtwende geschafft. Nach schwachem Saisonstart sind die Kanadier längst im Playoff-Rennen angekommen. Vor dem Wiedersehen mit den Lakers (So., 19 Uhr im LIVE-STREAM) stellt sich die Frage: War das der Plan der Raptors?

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Bei der letzten offiziellen Pressekonferenz seiner 30-jährigen stellte David Stern in London eins klar: Von Tanken hält er nichts. Für ein großes Problem in der NBA hält er es aber auch nicht. Angesprochen auf die Bucks, Sixers, Jazz und Co. konterte der 71-Jährige mit den Cavaliers und Raptors: "Alle haben zuletzt gesagt, dass diese Mannschaften tanken würden. Aber wenn das wirklich der Plan der Franchises war, haben sie wohl vergessen, die Trainerstäbe und Spieler davon zu unterrichten."

Was Stern meint: Obwohl die Kader vermeintlich keine großen Sprünge zulassen, hängen sich beide Teams rein, kämpfen und wollen Spiele lieber gewinnen, als sie in der Hoffnung abzuschenken, beim kommenden Draft eine günstige Position zu ergattern.

"Das Draft-System bevorzugt die schlechtesten Teams ein wenig zu sehr und ich denke, dass es eventuell an der Zeit ist, ein wenig an der Lottery herumzubasteln", gesteht Stern zwar ein. Cleveland und Toronto hält das aber nicht davon ab, um die Playoffs mitzuspielen.

Die Cavs haben mit dem Trade von Luol Deng für Andrew Bynum die Zeichen bekanntlich endgültig auf Win-Now gestellt und drängen mit Vehemenz auf die Postseason-Plätze. Da ist Toronto schon angekommen, und das mit genau der gegensetzlichen Herangehensweise. GM Masai Ujiri hat den Monstervertrag von Rudy Gay nach Sacramento geschickt und im Gegenzug nur mittelmäßige Rollenspieler erhalten.

Addition durch Subtraktion

Vermutlich in der Annahme und billigend in Kauf nehmend, dass seine Mannschaft dadurch schwächer werden und in der Tabelle sinken würde. Doch Pustekuchen, der Move entpuppt sich immer mehr als Addition-durch-Subtraktion-Deal, bei dem die Raptors ohne ihren Starspieler plötzlich wesentlich stärker sind.

Das ist aber nur auf den ersten Blick verwunderlich: Gay ist zwar ein guter Spieler. Das zeigt er aktuell bei den Kings, wo er bärenstarke Zahlen auflegt und mit Franchise-Player DeMarcus Cousins überraschend gut harmoniert.

In Toronto hat Gay sein großes Talent aber zu wenig gezeigt. Dort war der Small Forward nur ein Volume-Shooter, also einer, der gern und oft und aus jeder Position abdrückt. Gay ließ sich von Coach Dwane Casey in kein Offensivsystem pressen, zog sein Ding durch und schadete damit seinem Team.

Als zweiter Star taugte DeMar DeRozan nicht, weil er eine ähnliche Spielweise bevorzugt: Ball in den eigenen Händen, viele Würfe, wenig Pässe, kaum Bewegung ohne Ball. Die Folge war eine meist statische Offense, in der die Go-to-Guys umso häufiger gesucht wurden, je mehr sich die Shot Clock dem Ende näherte.

Lakers-Spiel als Initialzündung

Nun wäre es unfair, die Schuld an der Misere der Raptors nur bei Gay (und DeRozan) zu suchen. Fakt ist: Der Kader hat in seiner damaligen Besetzung nicht zusammengepasst.

Aber in dem Moment, in dem Gay das Team verließ, machte es Klick.

Am Abend des Trades spielte Toronto bei den Lakers (8. Dezember 2013). Zum damaligen Zeitpunkt eine unangenehme Aufgabe gegen ein Team, das gerade zu Hause tolle Spiele gezeigt hatte. Und das mit Kobe Bryant seinen Superstar zurück bekam.

Aus Lakers-Sicht war also angerichtet für eine große Party: Doch die Raptors spielten offensiv wie defensiv groß auf, vermieden Turnover, trafen hochprozentig, ließen den Ball laufen und erzwangen umgekehrt 19 Ballverluste.

Casey: "Die gleichen Spielzüge wie vorher"

Was zunächst wie ein unerwarteter Ausreißer wirkte, entpuppte sich schnell als die Regel.

Toronto spielt weniger Isolation als früher, sucht deutlich mehr Abschlüsse aus Pick'n'Roll-Situationen und findet nach Penetration häufiger die eigenen Spot-Up-Shooter. Die Offense ist laut Coach Casey die gleiche, sie wird nur besser interpretiert und effektiver genutzt:

"Wir laufen immer noch die gleichen Spielzüge wie vorher", so Casey. "Aber der Ball läuft besser, unsere Jungs spielen besser zusammen und sind alle voll dabei. Nichts gegen Rudy, aber er war eine andere Art von Spieler."

Der Vorteil eines Gay-Trades erschloss sich Casey am Tag des Deal freilich noch nicht, da hatte er sich noch sehr kritisch geäußert. Und warum Gay in Sacramento selbst ein anderer Spieler zu sein scheint, darf genauso hinterfragt - und unter Umständen mit dem Trainer in Verbindung gebracht - werden.

Shooting-Star Terrence Ross

Doch zurück zu den Raptors, die nicht nur offensiv effektiver spielen, sondern auch ihre Offense aufgemotzt haben, seit Gay weg ist. Der Abgang war ein mittelprächtiger Verteidiger, der zu oft das nötige Engagement vermissen ließ.

Mit der Hereinnahme von Youngster Terrence Ross in die Starting Five hat sich die Defense drastisch verbessert, macht am Perimeter viel mehr Druck und hilft so den Big Men schon im Ansatz, weil sie weniger helfen müssen.

Insgesamt sind die Raptors ohne Gay also eine besser geölte Maschine, in der jeder den Plan Caseys versteht und verfolgt, in der mehr Vertrauen in die Mitspieler herrscht.

Zudem hat der Trade nicht nur das Gefüge der Raptors "bereinigt", er hat auch die einzelnen Spieler befreit. Der angesprochene Ross bekommt viel mehr Spielzeit und Gelegenheit, sein enormes Potenzial zu zeigen und sich zu entfalten.

Spieler blühen ohne Gay auf

DeRozan hat - dadurch, dass ohne Gay auf dem Court mehr Bewegung herrscht - seinen Assist-Durchschnitt nahezu verdoppelt (von 2,5 auf 4,6), bekommt selbst mehr Würfe und legt ohne Gay All-Star-Zahlen auf (21 Punkte, 5,3 Rebounds, 4,6 Assists).

Kyle Lowry ist wieder häufiger der primäre Ballvorträger, trifft den Dreier seit dem Gay-Trade mit 44 Prozent, verteilt 8,9 Assists und ist wieder der bissige Verteidiger, der er früher schon war. Lowry merkt man mehr als jedem anderen Raptor an, dass er seine Lust am Basketball wiedergefunden hat.

Das gleiche gilt für Amir Johnson und Jonas Valanciunas, auch wenn man sich wünschen würde, dass der Litauer in der Offense noch stärker in Erscheinung tritt (nur 11,4 Punkte pro Spiel).

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Sicher auf Platz eins der Atlantic Division

Mit einer 14-6-Bilanz (darunter Siege gegen die Mavs, Thunder und Pacers) seit dem Trade gehört Toronto inzwischen zu einer von nur vier Mannschaften im Osten mit einer positiven Bilanz (20-18) und ist fester Bestandteil des aktuellen Playoff-Brackets.

Die bisher schwachen New York Knicks und Brooklyn Nets machen es möglich, dass die Kanadier in der Atlantic Division aktuell keine große Konkurrenz fürchten müssen. Ein Sieg der Division würde mindestens eine Top-4-Platzierung garantieren.

Das Programm der nahen Zukunft ist machbar, sodass man sich wohl an die Raptors als ernsthaften Kandidaten für die Playoffs gewöhnen wird müssen. Doch genau hier beginnt das Dilemma.

Es fehlt an Sex-Appeal

Toronto ist gut genug, um im Osten die Postseason zu erreichen, aber nicht gut genug, um dort mehr als die zweite Runde zu erreichen. Und das wäre schon eine faustdicke Überraschung, immerhin wirkten die Knicks, Nets, Cavaliers und Wizards zuletzt deutlich verbessert.

Gleichzeitig ist Toronto nicht schlecht genug, um in der Tabelle so weit zu fallen, dass man in der Lottery gute Chancen auf einen hohen Draft Pick hätte. Und doch so schlecht, dass das Team in der Zukunft nicht ohne einen weiteren Star auskommen würde.

Doch woher nimmt man einen solchen Spieler? Was Toronto abgeht - und von anderen, erfolgreicheren Teams unterscheidet -, ist der Sex-Appeal der Franchise. In Kanada müssen Free Agents höhere Steuern zahlen als in Miami oder Texas, der anhaltende Misserfolg, der fragwürdige Nickname inklusive unschönem Logo tun ihr Übriges.

Drake hilft den Raptors

Die Raptors versuchen in der jüngeren Vergangenheit, dem entgegenzuwirken, in dem sie den aktuell berühmtesten Sohn der Stadt für sich vereinnahmen: Drake. Ihm zu Ehren gab es unlängst eine Drake Night, bei der der Rapper unter anderem mit seiner unverwechselbaren Stimme die Starter verkündete.

Drake ist Basketball-Fan durch und durch, war im letzten Jahr beim All-Star Weekend etwa einer der engagiertesten VIP-Zuschauer und bejubelte besonders Ross und dessen Sieg beim Dunk Contest.

Drake wertet die Raptors auf, keine Frage. Aber reicht das, um namhafte Spieler per Free Agency zu bekommen? Eher nicht. Toronto müsste also über den Draft zuschlagen. Doch wie bringt man sich da in eine gute Position, wenn doch um die Playoffs mitspielt?

Die Kanadier stecken in einer Zwickmühle. General Manager Masaj Ujiri hat mit dem Gay-Trade sehr viel richtig gemacht und verdient höchstes Lob für seine bisherige Arbeit. Gleichzeitig hat er an die Zukunft der Franchise unfreiwillig verkompliziert.

Der Kader der Toronto Raptors

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