Der letzte Donnerschlag?

Usain Bolt peilt bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro die nächsten Goldmedaillen an
© getty

Usain Bolt ist der Star der Leichtathletik. Niederlagen bei Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften musste er seit acht Jahren nicht verdauen, in Rio de Janeiro soll das dritte Gold-Triple in Folge her. Im Vorfeld lief für den Jamaikaner aber nicht alles nach Plan. Verletzungen prägten das Bild, sogar die Olympia-Teilnahme schien in Gefahr. Dank Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt ist der Weltrekordler inzwischen jedoch auf Kurs. Sein Nimbus der Unbesiegbarkeit hat dennoch gelitten.

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"Im Fußball gibt es immer wieder die Diskussion, wer der beste Spieler ist", erklärte ein sichtlich erheiterter Usain Bolt unlängst mit einem Schmunzeln auf den Lippen. Nur um dann mit fester Stimme nachzuschieben: "Aber niemand kann ernsthaft diskutieren, wer der schnellste Mann der Welt ist."

Bolt hat gut lachen. In den letzten acht Jahren erübrigte sich diese Diskussion in der Tat, wenngleich sie im Vorfeld von großen Wettkämpfen doch hin und wieder aufkeimte. Die passende Antwort lieferte der Jamaikaner aus Sherwood Content, der für sein extrovertiertes Auftreten und seinen unvergleichlichen Laufstil bekannt ist, allerdings auf der Bahn.

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Unschlagbarkeit als Markenzeichen

Sowohl bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking, als auch in London vier Jahre später dominierte er nach Belieben. Völlig egal, ob über 100, 200 oder mit der Staffel über 4x100 Meter: Das Resultat war nach dem Zieleinlauf immer identisch. Bolt stand in seiner typischen Pose ganz oben auf dem Treppchen, um seinen Hals hing jeweils die goldene Medaille.

Auch bei Weltmeisterschaften gewann er seit Berlin 2009 jedes Rennen, bei dem er das Ziel erreichte. Die Konkurrenz hatte dabei nicht nur das Nachsehen, sondern musste sich teilweise auch von einem bereits etliche Meter vor dem Ziel auslaufenden Dominator vorführen lassen. Lediglich 2011 bei der WM im südkoreanischen Daegu gab es nicht das Gold-Triple. Allerdings nur aufgrund der Tatsache, dass Bolt über die 100 Meter nach einem Fehlstart erst gar nicht am Rennen teilnehmen konnte. Auf der Bahn wäre er einmal mehr unschlagbar gewesen.

Durch seine Fähigkeit, sich selbst zu vermarkten, erlangte er zudem international einen Status, den kaum ein Athlet jemals erreichen konnte - und das weit über seinen Sport hinaus. Er entwickelte ein Selbstverständnis sowie eine Aura, die sämtliche Grenzen noch heute sprengen. "Ich bin jetzt eine Legende. Ich bin der großartigste lebende Athlet", erklärte die "größte Attraktion der Leichtathletik" bei den Spielen 2012. Geändert hat sich daran nichts.

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Nimbus der Unbesiegbarkeit bekommt Risse

Vier Jahre sowie einen hauchdünnen Sieg gegen Rivale Justin Gatlin bei der WM 2015 in Peking, der aufgrund von Verletzungsproblemen sowie einer mehr als überzeugenden Form des mehrfach wegen Dopingvergehen gesperrten US-Amerikaners im Vorfeld für einige durchaus überraschend kam, später hat der Nimbus der Unbesiegbarkeit dennoch Risse bekommen.

Schuld ist nicht der Kopf Bolts, sondern sein alternder Körper. Der inzwischen 29-Jährige plagte sich immer wieder mit Verletzungen herum. Im Frühjahr des Jahres musste er aufgrund von Knöchelproblemen vier Wochen aussetzen. Die Besuche beim bekanntesten deutschen Arzt, Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, gehören inzwischen zum festen Ablauf.

Der ehemalige Arzt des FC Bayern München hatte ihn bereits im vergangenen Jahr vor der WM wieder in Form gebracht. Eine Aufgabe, die ihm vor den Spielen Rio wieder zuteil wurde.

"Er hat nach der Verletzung seine Magie wirken lassen", sagte der Patient aus Jamaika, der zudem seit seiner Geburt an Skoliose leidet und sich einer regelmäßigen Therapie unterziehen muss, im Anschluss an einen Besuch in München über die Arbeit des DFB-Arztes.

Verlässliche Informationen zu seinem Gesundheitszustand gab es nicht. Stattdessen herrschte in den Medien das übliche Bild. Während eine Spekulation die andere jagte, wurde die Magie Müller-Wohlfahrts allerdings tatsächlich notwendig - da in der Zwischenzeit in Jamaika sogar Bolts Olympia-Traum ins Wanken geraten war.

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Freifahrtschein? Nicht einmal für Bolt

Bei den jamaikanischen Ausscheidungskämpfen im Juli musste der sechsfache Olympiasieger sowie elffache Weltmeister vor dem Finale aufgrund einer Oberschenkelverletzung aussteigen. Über die 200 Meter war er gar nicht erst angetreten. Trotz aller Probleme ließ der Verband seines Heimatlandes keine Zweifel aufkommen. Bolt wurde in das Aufgebot für die Spiele berufen. "Unser Wunsch ist es, die besten Athleten dabei zu haben", sagte Generalsekretär Garth Gayle.

Ein Freifahrtschein war dies aber nicht. Stattdessen musste er sich und der Welt beweisen, dass er fit genug für seine dritte Olympia-Teilnahme ist. Beim Meeting in London galt es einen Leistungsnachweis über die 200 Meter zu erbringen. Ein weiteres verpatztes Event oder eine noch immer vorhandene Verletzung und Rio wäre in weite Ferne gerückt.

Beeindrucken ließ er sich davon allerdings nicht. Ganz im Gegenteil.

Gewohnt cool spielte der Superstar mit den Zuschauern. Nach seiner üblichen Inszenierung vor dem Start inklusive der obligatorischen Thunderbolt-Pose ließ er es beim Diamond-League-Meeting in der Hauptstadt des Vereinigten Königreichs auf Knopfdruck krachen.

In locker heraus gelaufenen 19,89 Sekunden über die 200 Meter lieferte er die geforderte Darbietung ab. "Ich bin ein starker Wettkämpfer, wenn es darauf ankommt", ließ er anschließend wissen, wenngleich er nach seinem ersten Rennen über seine Lieblingsdistanz im Jahr 2016 nur auf Rang fünf der Weltjahresbestenliste zu finden ist.

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Das große Zittern? Fehlanzeige

"Ich spürte den Rost", gab Bolt offen zu. Unzufrieden war er jedoch nicht. "Die Umsetzung war nicht perfekt, aber es war mein erstes Rennen, da kann ich mich nicht beschweren." Sein Optimismus strahlte durch. "Ich bin noch nicht ganz in Form, ich komme der Sache näher", sagte er und erklärte: "Ich muss noch mehr arbeiten, mit der Zeit wird es gut werden."

Das Zittern der Konkurrenz dürfte sich aber in Grenzen halten.

Gatlin konnte in der laufenden Saison mit 9,80 Sekunden über die 100 sowie 19,75 über die 200 Meter ernstzunehmende Duftmarken setzen, die auch in Bolts Kopf Spuren hinterlassen haben dürften.

Gatlin-Landsmann LaShawn Merritt war über die 200 Meter noch schneller und kam in diesem Jahr in 19,74 Sekunden ins Ziel. Und dann gibt es natürlich noch Läufer wie Yohan Blake oder Trayvon Bromell. An Gegnern wird es nicht mangeln.

Dass entsprechende Zeiten im Vorfeld Eindruck schinden können, steht außer Frage. Wirklichen Wert besitzen sie im Olympiastadion Joao Havelange allerdings nicht, was auch Gatlin anmerkte. "Usain lässt sich nicht in die Karten schauen, bis es so weit ist", so der Olympiasieger von 2004 über den Mann, der zwar über die 100 Meter angreifbarer denn je erscheinen mag, über die doppelte Distanz jedoch noch immer unschlagbar sein dürfte.

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Lehren aus der Vergangenheit

Bei der Landung in Rio war Bolt dann auch ganz der Alte. Mit Baseballkappe, riesigen Kopfhörern sowie Sonnenbrille bekleidet und betont locker, wurde der Jamaikaner von Fans und Journalisten am internationalen Flughafen Galeao empfangen. An seiner Mission, dass er am Zuckerhut seine Dominanz fortführen will, ließ er dabei genau so wenig Zweifel wie an seiner Coolness.

Auch der vermeintlich fehlende Rhythmus sei kein Problem, so Bolt. "Ich saß zuletzt nur einmal im Startblock, aber wir Jamaikaner warten bis zur letzten Minute, ehe wir etwas erledigen", scherzte der 29-Jährige. Stattdessen definierte er die Marschrichtung für August.

"Mein Ziel ist es, noch einmal bei den Olympischen Spielen drei Goldmedaillen zu gewinnen. Das ist mein Traum, darauf konzentriere ich mich. Wenn ich das Triple-Triple in Rio schaffe, dann kann ich mich mit Leuten wie Muhammad Ali und Michael Jordan vergleichen", erklärte Bolt und spielte gegenüber der Marca, wohl wissend, dass viele Fans nur wegen seiner Läufe Eintrittskarten zu großen Events kaufen, auf die Wechselwirkung an: "Ich glaube, dieser Sport braucht meine Siege."

Ein goldener Abschluss?

Im Olympischen Dorf sorgte der sechsfache jamaikanische Sportler des Jahres bereits mit seiner Anwesenheit für Aufregung. "Dann siehst du in der Mensa Leute wie Usain Bolt und denkst dir: Krass! Ich stehe neben Bolt, ich esse das Gleiche wie Bolt, ich atme dieselbe Luft wie Bolt", sagte etwa Schwimmerin Alexandra Wenk aus München. Den Weltrekordler lässt das alles kalt.

Neben der Festigung seines Legendenstatus geht es vor allem um einen runden Abschluss seiner Karriere bei Olympischen Spielen. Denn eines steht fest: Nach dem Kräftemessen in Brasilien mag zwar nicht komplett Schluss sein - eine weitere Olympia-Teilnahme wird es für den Mann, der am letzten Tag der Spiele 30 Jahre alt wird, aber nicht geben.

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