"Hätte Nationalspieler werden können"

Robert Harting ist ein der deutschen Sport-Legenden
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Olympiaheld, Trikot-Zerreißer, Querdenker. Robert Harting ist einer von Deutschlands größten Sportlern und spannendsten Persönlichkeiten. SPOX-Chefredakteur Florian Regelmann traf den 31-Jährigen im Sportforum Hohenschönhausen in Berlin zum Interview. Herausgekommen ist ein intensives Gespräch über die gesellschaftlichen Probleme in Deutschland, einen beeindruckenden Karriereweg und das Ziel vor der entscheidenden Schlacht in Rio.

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SPOX: Herr Harting, wir sitzen hier zusammen im Diskus-Ring Ihrer Trainingsstätte in Berlin. Hier müssen Sie sich quälen. Hier sind die großen Erfolge noch ganz weit weg. Was sind die Bilder, die Sie im Kopf haben, um sich zu motivieren?

Robert Harting: Es gibt natürlich ein großes Ziel, das ich im Kopf habe, aber um es leichter zu machen, motiviere ich mich mit kleineren Etappenzielen. Mit der Summe aus den kleinen Zielen versuche ich, ein großes daraus werden zu lassen. Vorausgesetzt, dass der Körper mitmacht, ist es so am besten planbar. Es ist arbeitsintensiv, aber die Frage der Motivation stellt man sich gar nicht. Es ist die gottverdammte Pflicht, Schmerzen auszuhalten, zu kämpfen und sich durchzubeißen. Das ist ein Grundeinstellungskriterium. Wichtig ist für mich aktuell, dass ich eigentlich ständig in Trainingslagern bin, weil ich zuhause keine Leistung mehr aufbauen kann. Da ist der Alltag zu präsent, der Schreibtisch zu nahe, die Gedanken zu frei. Um besser zu werden, muss ich ins Gewächshaus. Essen, trainieren, essen, schlafen. Und dann wieder von vorne, bis die Pflanze wächst.

SPOX: Dennoch gibt es ja Momente, wo es einem schwer fällt. Gerade wenn man nach einer Verletzung ein Comeback starten muss und es Rückschläge gibt, wie es bei Ihnen jetzt auch der Fall war.

Harting: Das ist völlig richtig. Es ist nicht immer so einfach, aber das ist ja auch nur menschlich. Wenn es eine schwierige Situation gibt, versuche ich, diese im sozialen Umfeld auszudiskutieren, um durch die Gespräche für mich einen Reinwert zu erhalten. Um dann wieder weiterarbeiten zu können - das ist eine hochpsychologische Angelegenheit. Du hast immer die Chance, die Dinge vom Negativen ins Positive zu drehen. Es ist veränderbar. Aber die Grundmotivation muss da sein. Wenn die nicht mehr da ist - das habe ich bei anderen Sportlern schon gesehen -, dann geht es nicht mehr und wird zur reinen Qual.

SPOX: Sie haben Ihr Umfeld angesprochen. Ihre Freundin Julia nimmt da sicher eine wichtige Rolle ein. Wie sehr hat Sie Ihnen geholfen?

Harting: Ich kann Ihnen eine kleine Episode erzählen. Als ich jetzt bei der letzten Verletzung einen Tiefpunkt hatte und mich fragte, ob ich das alles noch machen will, saßen wir zusammen am Tisch. Meine Freundin meinte dann: Okay, dann rufen wir jetzt den Trainer an und sagen ihm, dass du mit dem Leistungssport aufhören willst. Als sie das sagte, habe ich gemerkt: Nein, diese Vorstellung gefällt mir noch gar nicht so richtig. Es war eine Art Scheideweg, an dem ich mich ein zweites Mal für den Leistungssport entschieden habe. Du bist über 30 Jahre alt und musst dich ganz bewusst ein zweites Mal für eine Karriere entscheiden - das war komisch. Aber es war auch nötig. In dieser zweiten Karriere habe ich jetzt ganz andere Kriterien als früher. Früher war es viel mit Vitalität verbunden und null mit Erfahrung, jetzt haben sich die Variablen gedreht. Es ist eigentlich kaum noch Vitalität vorhanden. Alles tut nur noch weh, du jammerst nur noch rum und musst aber aufhören, dich die ganze Zeit selbst anzujammern, denn dafür ist der Erfahrungswert ein ganz anderer. Ich kann jetzt mit weniger viel mehr anfangen. Die Strategie ist eine ganz andere geworden. Ich kann nicht mehr hundert Schlachten führen und die zahlreichen Wunden pflegen. Es gibt nur noch eine entscheidende Schlacht bei den Olympischen Spielen, da muss es dafür dann umso mehr bluten.

SPOX: Ich will nochmal ganz an den Anfang Ihrer ersten Karriere in Ihre Kindheit zurückgehen. Ihre Eltern waren beide Sportler, der Weg war also ein bisschen vorgezeichnet. Wie waren als kleiner Steppke die ersten Schritte Richtung Leistungssport?

Harting: Wenn ich ganz ehrlich bin, dann hat es mich schon ganz früh geprägt, dass ich mit sozialen Enttäuschungen nicht klargekommen bin. Ich habe zuerst zwei Jahre Fußball im Verein gespielt, komischerweise im offensiven Bereich, aber das ging ganz gut. Ich erinnere mich an verregnete Tage, an denen kein Schwein ein Tor geschossen hat außer mir. So richtig verstanden habe ich das auch nicht. Irgendwann bin ich eine Mannschaft nach oben gekommen. Wir hatten das erste Punktspiel und ich wollte eben spielen. Also bin ich zum Trainer gegangen und habe ihn gefragt, ob er mich jetzt mal einwechselt. Ich bekam noch zugeflüstert, dass ich das nicht fragen dürfe, das habe ich überhaupt nicht kapiert. Der Typ hatte mich drei Wochen lang nicht eines Blickes gewürdigt. Ich habe es nicht verstanden und bin einfach gegangen.

SPOX: Zum Handball.

Harting: Genau, dort hatte ich auch sofort größere Erfolge. Es hat sich erst gedreht, als ein neuer Trainer kam und er plötzlich Mitgliedsbeiträge verlangt hat, die für uns daheim nicht aufzubringen waren. Da hat er mich vor der Mannschaft rund gemacht, warum ich das nicht bezahle. Ab dem Moment bin ich nicht mehr hingegangen. Es war wieder etwas, das ich nicht verstehen konnte. Also war Handball Geschichte und ich bin zur Leichtathletik gegangen.

SPOX: Keine ganz schlechte Entscheidung im Nachhinein. Wie sind Sie für sich dann die Leichtathletik-Karriere angegangen?

Harting: Als ich mich für die Sportschule beworben habe, bin ich als elfter Junge gerade noch so reingerutscht. Ich weiß noch, dass ich mir nur dachte: Es ist eigentlich völlig egal, was du für einen Sport machst. Du musst schauen, was notwendig ist, um der Beste zu sein. Darauf kommt es an. In der Leichtathletik war das der Olympiasieger. Also sagte ich mir: Okay, werde ich Olympiasieger. Ohne überheblich klingen zu wollen, glaube ich, dass ich auch Nationalspieler im Fußball hätte werden können und da das nötige Zeug gehabt hätte, um mich durchzubeißen. Es ging nicht so sehr um die Disziplin. Es ging darum, dass mich die soziale Schwäche, die ich in frühester Kindheit erlebt habe, intrinsisch motiviert hat. Ich wollte es allen Leuten beweisen, die mir nie etwas zugetraut haben und für die ich nicht interessant war, weil ich nicht ihrer Schicht angehörte. Ich wollte es den Leuten zeigen, egal in welcher Sportart auch immer.