"Usain Bolt die Hand schütteln, das wär's"

Von Interview: Liane Killmann
Nadia Comaneci gewann 1976 und 1980 fünf Mal olympisches Gold
© Getty

Nadia Comaneci ist eine Legende des Kunstturnens. Mit gerade einmal 14 Jahren gewann sie bei den Olympischen Spielen in Montreal drei Mal Gold, Teamsilber und einmal Bronze. Die 50-jährige Rumänin fungiert nach wie vor als Repräsentantin ihres Sports und der olympischen Idee. Comaneci engagiert sich in eigenen Projekten sowie im Rahmen der Laureus Sport for Good-Stiftung für Kinder. Im Interview mit SPOX spricht Comaneci über Olympia in London, ihre Kindheit in Turnhallen, das richtige Mindestalter im Leistungsturnen und erzählt, wie sie Geschichte schrieb, ohne es zu ahnen.

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SPOX: Frau Comaneci, wo erreiche ich Sie denn gerade?

Nadia Comanceci: Ich bin in Bukarest und kümmere mich um einige Projekte. Es gibt viele Termine und ich bin in Eile, wie immer eigentlich... (lacht)

SPOX: Die Olympischen Spiele in London stehen vor der Tür. Freuen Sie sich schon darauf?

Comaneci: Ja, sehr! Ich werde zwei Tage vor dem Start der Spiele mit meinem Ehemann und meinem sechsjährigen Sohn nach London reisen. Und ich darf fast bis zum Ende bleiben. Zwei, drei Tage vor der Abschlussfeier reisen wir wieder ab.

SPOX: Ist es mehr Arbeit oder können Sie die Sportevents genießen?

Comaneci: Es ist Olympia, ich muss dabei sein! Es gibt zwar viel Arbeit für mich, aber sie wird Spaß machen. Wir werden Sponsorentermine wahrnehmen und ich werde fürs Fernsehen arbeiten.

SPOX: Welche Wettbewerbe werden Sie sich ansehen?

Comaneci: Natürlich werde ich beim Turnen sein. Die Wettbewerbe dauern diesmal von der Qualifikation bis zu den Finals neun oder zehn Tage, also richtig lange. Darüber hinaus habe ich große Lust, beim Schwimmen und vielleicht bei der Leichtathletik vorbeizuschauen.

SPOX: Gibt es Athleten oder ehemalige Sportgrößen, die Sie noch nicht getroffen haben, aber gerne kennenlernen würden?

Comaneci: Das ist eine schwierige Frage, denn ich habe eine Menge von ihnen getroffen. Und es ist immer wieder schön, diese Sportler wiederzusehen. Ich durfte zum Beispiel Michael Phelps treffen und natürlich sind wir sehr verbunden mit den Turnern und Turnerinnen.

SPOX: Also sind bei Ihnen gar keine Wünschen offen?

Comaneci: Moment, doch! Usain Bolt. Ich habe noch nie Usain Bolt getroffen, das wäre toll.

SPOX: Worüber würden Sie mit ihm denn gern reden?

Comaneci: Das weiß ich vorher nie so genau. Aber es würde mich interessieren, wie fest der schnellste Kerl der Welt meine Hand schüttelt. Und natürlich würde ich auf einem Foto bestehen.

SPOX: Als Sie das erste Mal bei den Olympischen Spielen auftauchten 1976 in Montreal, da waren Sie sehr jung, erst 14 Jahre alt. Wie haben Sie sich auf dieser großen Weltbühne gefühlt?

Comaneci: Ich habe darüber gar nicht groß nachgedacht, ich war ja ein Kind. Zwar kannte ich die Olympischen Spiele und ich wusste, dass viele Sportler dorthin kommen, um ihre Leistungen zu messen. Aber ich hatte keine Ahnung, dass das so eine große Sache sein würde.

SPOX: Sie wurden bei Ihrem Debüt dreifache Olympiasiegerin. Vier Jahre später, mit 18, gewannen Sie in Moskau erneut zwei Mal Gold...

Comaneci: Vielleicht war es gut, dass ich mir wenig Gedanken über die Bedeutung Olympias gemacht hatte. Niemand kannte mich, als ich in Montreal mit 14 Jahren antrat. Alle denken immer, dass man unheimlich unter Druck steht als junger Athlet. Das finde ich nicht. Erwachsene Sportler empfinden die Erwartungshaltung als deutlich belastender.

SPOX: Heißt das im Umkehrschluss, für Sie war Olympia ein großer Spaß?

Comaneci: Ja, es machte mir Spaß, weil ich gewinnen wollte.

SPOX: In Montreal ergatterten Sie bei Ihrer Übung am Stufenbarren die erste 10,0 der Turn-Geschichte...

Comaneci: (lacht) Es war doch eine 1,00.

SPOX: Aber nur, weil die Anzeige für die zweistellige Höchstnote gar nicht ausgelegt war.

Comaneci: Richtig, das Scoreboard war nicht auf mich vorbereitet. Ich habe ehrlich gesagt gar nicht hingeschaut. Das tat ich erst, als ich das Gemurmel der Leute aus dieser Richtung wahrnahm.

SPOX: Die Zuschauer hatten ja auch Ihre perfekte Übung gesehen und wussten, dass 1,00 unmöglich sein konnte.

Comaneci: Ich war jedenfalls völlig verwirrt. Bis eine meiner Teamkolleginnen zu mir kam und sagte: "Ich glaube, sie meinen eine Zehn, aber der Computer kriegt es nicht hin."

SPOX: War Ihnen denn sofort bewusst, dass Sie Geschichte geschrieben hatten?

Comaneci: Überhaupt nicht, ich hatte keine Ahnung, dass es die erste 10,0 war. Heute denke ich, dass die Geschichte mit meiner Höchstnote nur deshalb so groß wurde, weil die Sache mit der Anzeigetafel passierte.

SPOX: Es gibt wiederholt Kritik, dass beispielsweise Schwimmerinnen und auch Turnerinnen aus China viel zu jung zu Olympia geschickt werden.

Comaneci: Um das zu verhindern, gibt es das Mindestalter. Jetzt muss man im olympischen Jahr 16 werden, bei uns lag die Grenze noch bei 15.

SPOX: Es ist also nicht zu früh für diese Athleten?

Comaneci: Nein, ich fand 15 Jahre auch schon eine gute Grenze. Denn ich war bereit.

SPOX: Wie sind Sie mit Ihren frühen Erfolgen umgegangen?

Comaneci: Eigentlich überhaupt nicht, es änderte sich für mich ja nichts. Ich kam zurück nach Bukarest, es gab eine große Feier und zwei Tage später stand ich wieder in der Turnhalle. Ich fuhr nicht nach Disney Land oder so etwas. Ich machte nichts von alldem, was junge, erfolgreiche Menschen jetzt tun. Es war einfach eine andere Zeit.

SPOX: Haben Sie das Gefühl, durch das viele Training und die Wettbewerbe Ihre Kindheit verpasst zu haben?

Comaneci: Nein, ich weiß wirklich nicht, was ich sonst hätte tun sollen. Ich ging zur Schule, und sonst? Als Kind hast du viel Freizeit. Irgendetwas musste ich ja tun. Ich bin sehr, sehr glücklich darüber, dass meine Mutter mich zum Turnen brachte. Vielleicht hätte ich sonst auch einen anderen Sport gemacht, aber wahrscheinlich wäre ich nicht so erfolgreich gewesen. In den 60ern und 70ern war Turnen ein klasse Sport für Frauen, viele andere Möglichkeiten gab es einfach noch nicht.

SPOX: Sie durften im Gegensatz zu den anderen Menschen in Rumänien viel reisen. Haben Sie das als etwas Besonderes empfunden?

Comaneci: Nein, ich reiste ja, weil ich Turnerin war. Viele Menschen reisten, auch wenn es schwierig war. Vielleicht hatten nicht viele Kids in meinem Alter die Chance, so viele Länder zu sehen, das stimmt. Aber ich war ja für die Wettbewerbe dort.

SPOX: Sport und insbesondere Turnen war damals ein wichtiger Teil Ihres Lebens...

Comaneci: Das ist es heute noch. Mein Mann Bart (Bart Conner, US-amerikanischer Turner und Doppel-Olympiasieger von 1984, Anm. d. Red.) und ich versuchen, Kinder zu motivieren, Sport zu treiben. Irgendeinen, denn es macht Spaß und es ist gut für die Gesundheit. Und wer hart arbeitet, kann es bis zu den Olympischen Spielen schaffen.

SPOX: Ihr Sohn ist gerade sechs Jahre alt, welche Sportarten gefallen ihm gerade am besten?

Comaneci: Er turnt und er macht Martial Arts. Er möchte gern ein Ninja sein. (lacht)

SPOX: Das kann sich ja schnell wieder ändern...

Comaneci: Auf jeden Fall. Erst wollte er Musik machen, jetzt nicht mehr. Dafür möchte er nun Fußball spielen. Eltern sollten ihren Kindern ein paar Möglichkeiten geben, Dinge auszuprobieren. Und dann ist es wichtig, ihnen beizubringen, dass sie dabeibleiben und sich richtig reinhängen sollten, wenn ihnen etwas gefällt.

SPOX: Würden Sie eine professionelle Sportlerkarriere Ihres Sohnes unterstützen?

Comaneci: Das hängt ganz davon ab, wie sehr er es möchte. Wenn er beispielsweise mehr Turnen möchte und in einem Team antreten, dann muss mein Ehemann ihn eben trainieren. (lacht)

SPOX: Haben Sie selbst mal Kinder trainiert?

Comaneci: Ja, in Rumänien habe ich das einige Jahre lang getan. Leider fehlt mir dazu jetzt die Zeit. Ich reise viel, natürlich hat vieles mit dem Turnen zu tun. Ich halte Motivationsvorträge und habe Verträge mit verschiedenen Firmen. Ich habe eine Stiftung in Rumänien und vor wenigen Tagen habe ich ein Zentrum in Bukarest eröffnet für kleine Kinder. Es heißt "Mini-Me" und verknüpft Turnen mit Kunstunterricht. Es soll zum Sporttreiben ermutigen.

SPOX: Ist das auch der Grund, warum Sie mit der Laureus Sport for Good Foundation zusammenarbeiten?

Comaneci: Ja, denn Sport ist es, was mich stark gemacht hat, als ich klein war und als ich erwachsen wurde. Und nun tragen wir mit Laureus die Idee "Sport hat die Kraft, die Welt zu verändern" in die ganze Welt weiterhinaus, um sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen Selbstvertrauen zu geben.

SPOX: Gibt es Projekte, die Ihnen besonders am Herzen liegen?

Comaneci: Ich engagiere mich im Special Olympics Board. Das ist eine sehr wichtige Bewegung. Zu sehen, wieviel Spaß und Anerkennung Menschen aus dem Sport bekommen, ist toll.

SPOX: Kommen wir zurück zu den Spielen in London, zurück zum Turnen: Haben Sie ein paar Favoritentipps für uns?

Comaneci: Die US-Girls sind ziemlich stark gerade, Jordyn Wieber ist Mehrkampf-Weltmeisterin und kann in London ein großer Star werden. Dann Russland natürlich, Alija Mustafina und Wiktorija Komowa. Und die Chinesinnen. Ich weiß nicht, wer im Team sein wird, vielleicht bringen sie ihre nächste Generation an den Start. Ich freue mich auf die Wettkämpfe.

SPOX: Wir müssen natürlich auch aufs deutsche Team um Elisabeth Seitz und Fabian Hambüchen schauen.

Comaneci: Ich habe Hambüchen ein paar Mal getroffen. Er ist richtig stark und sehr sympathisch. Olympia bietet eine große Chance für jeden. Wer abrufen kann, was er im Training draufhat, kann Großes schaffen.

SPOX: Seitz hat sogar ein neues Element erfunden.

Comaneci: Innovation ist sehr wichtig für das Turnen. Für das neue Notensystem muss es aber ein schwieriges Element sein. Dann ist der Erfinder für lange Zeit mit dem Sport verbunden.

SPOX: Last but not least: Sie sehen fantastisch aus. Verraten Sie mir Ihr Geheimnis?

Comaneci: Es ist ein bisschen Arbeit. Ich mache jeden Tag mein Workout, ich passe auf, was ich esse, das ist gar nicht so einfach mit einem kleinen Kind. Aber ich renne ständig hinter ihm her, vielleicht ist das das Geheimnis.

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