Spurensuche auf Kaman Island

Von Florian Regelmann
Chris Kaman
© Getty

München - Wer ist dieser Chris Kaman eigentlich? Wer ist dieser 2,13-Meter-Typ, der die deutsche Basketball-Nationalmannschaft durch seine Einbürgerung mit einem Schlag in die Nähe eines Medaillenkandidaten für die Olympischen Spiele in Peking gebracht hat? 

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Über seine sportlichen Qualitäten gibt es keine zwei Meinungen. Kaman ist ein hervorragender Basketballer. Ein NBA-Star. Darf man durchaus so sagen. Muss man sogar so sagen.

Sein Coach bei den Los Angeles Clippers, Mike Dunleavy sr., bezeichnete ihn nicht umsonst einmal als den "weißen Tim Duncan".

Wie eine abgelegene Insel

So technisch versiert und gut ausgebildet ist der 26-Jährige. Dazu trotz seiner Größe mit schnellen Füßen ausgestattet.

Aber wer ist der Mensch Chris Kaman? Beginnen wir die Spurensuche bei einem seiner ehemaligen Mitspieler, Sam Cassell.

Für ihn ist Kaman "wie eine ganz weit entfernte Insel, noch weiter weg als Hawaii, irgendwo ganz weit draußen".

Sehr beliebt in L.A.

Wie eine abgelegene Insel also. Für Cassell lebt Kaman anscheinend in einem eigenen Universum. Aber was meint er genau damit?

Fragen wir weiter bei Bill Plaschke, seines Zeichens Kolumnist der L.A. Times. Einer der bekanntesten Journalisten der USA, der Kaman sehr gut kennt, ihn sogar mal in dessen Haus besucht hat.

"Chris ist bei uns in L.A. sehr, sehr beliebt. Er arbeitet sehr hart an sich und viele sind überzeugt, dass er dabei ist, ein Superstar zu werden", so Plaschke im Gespräch mit SPOX.com.

Fehldiagnose: ADHS

Auch Plaschke weiß: Wer die Persönlichkeit von Kaman verstehen will, muss weit in dessen Kindheit zurückgehen.

Als Kaman zweieinhalb Jahre alt war, wurde bei ihm das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom festgestellt. Neudeutsch: ADHS.

Kaman, der auf einer Farm in Michigan aufwuchs, litt enorm unter der Diagnose. Häufig kam er von der Schule nach Hause und weinte bitterlich, weil er wieder seine Pillen schlucken musste.

Und deren Nebenwirkungen die Sache noch verschlimmerten. Weniger Appetit, Müdigkeit, weniger Energie. Kaman fühlte sich immer schlapp, wie er dem Basketballmagazin "FIVE" verriet.

Kamans Angsstörung

Als er an die Universität von Central Michigan ging, stoppte er die Einnahme der Medikamente. Zwar musste er dort nicht mehr länger als zwei Stunden still sitzen, aber seine Konzentrationsfähigkeit blieb ein großes Problem. Selbst als er schon bei den Clippers in der NBA war.

"Wenn Coach Dunleavy in einer Auszeit zwei Spielzüge aufgemalt hat, hatte ich diese in zehn Sekunden schon wieder vergessen", erzählt Kaman.

Es dauerte bis letzten Juli, bis ein Gehirnspezialist entdeckte, dass Kaman völlig falsch diagnostiziert worden war.

Er hatte kein ADHS, er hatte eine Angststörung. Sein Gehirn arbeitete aufgrund dessen viel zu schnell.

Neurologisches Trainingsprogramm

Im letzten Sommer arbeitete Kaman mit einem Neurologen an einem täglichen Trainingsprogramm, das das Ziel hatte, seine Denkprozesse etwas zu verlangsamen.

"Ich kann die Zeit leider nicht zurückdrehen. Ich wünschte, ich könnte es", so Kaman.

Niemand kann sich vorstellen, was so eine Fehldiagnose in einem heranwachsenden Menschen auslöst, aber es liegt auf der Hand, dass es Kaman geprägt hat. Dass er es so überhaupt in die NBA schaffte, ist bemerkenswert.

Früher der Caveman

Wer seine außergewöhnliche Geschichte kennt, den wundern auch viele außergewöhnliche Geschichten nicht mehr, die man in Zusammenhang mit Kaman schon gehört hat.

Dass er wegen seiner langen blonden Haare (siehe Bild) lange Zeit "Caveman", also Höhlenbewohner genannt wurde, wie Plaschke erzählt.

Dass er auf seinem MySpace-Profil im Internet auf die Frage "Wen er denn gerne mal treffen würde?" mit "Jesus" antwortet. Passt zu ihm.

Jesus, Gott und Elton Brand

Dass er Jesus, Gott und Elton Brand als seine Helden bezeichnet. Gut, sein (ehemaliger) Clippers-Kollege passt bei allem Respekt irgendwie nicht in die Reihe, aber kommt es aus dem Mund von Kaman, passt es eben doch.

Kaman hat nämlich so gar nichts mit dem typischen NBA-Star zu tun. Keine Partys, keine Exzesse, kein schlechtes Wort über einen Kollegen, keine Lobeshymnen über sich selbst.

Stattdessen gibt es bei ihm zu Hause gesundes Essen und nette Film-Abende. "Was ein wilder Abend ist?", sagte einmal Kamans Freund Caleb Chamberlain. "Zwei Filme." Ja, das ist wild.

"Chris ist einer der nettesten Sportler, die es in Los Angeles gibt. Er setzt sich viel für wohltätige Zwecke ein. Er spricht an jeder Ecke mit den Fans. Ihr Deutschen werdet großen Spaß mit ihm haben", meint Plaschke. Dem ist wohl nichts hinzuzufügen. Willkommen, Chris.

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