"Michael Ballack hört diese Frage nie"

Florian Regelmann
28. Dezember 200919:34
Martin Schmitt holte 2002 Olympia-Gold in Salt Lake CityGetty
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Martin Schmitt sorgte zwischen 1998 und 2001 für einen absoluten Hype im Skispringen. Doch dann blieben die Erfolge aus und es wurde stiller um ihn. Inzwischen wartet er seit sieben Jahren auf einen Sieg. Jetzt, im Olympia-Winter will er noch einmal angreifen. Bei SPOX spricht er über den Beginn seiner Karriere im Garten, seinen besten Sprung und über Harald Schmidt.

SPOX: Herr Schmitt, lassen Sie uns zu Beginn ganz an die Anfänge zurückgehen. Wie blöd schauen die Nachbarn, wenn man im heimischen Garten mit dem Skispringen beginnt?

Martin Schmitt: (lacht) Die haben gar nicht komisch geschaut, aus der Nachbarschaft haben Kumpels von meinem Bruder und mir dann sofort mitgemacht. Unser Garten hat es zugelassen, dass man eine kleine Schanze baut - und das hat unser Vater dann gemacht. Wir sind mit Langlaufskiern gesprungen und mein Vater hat mit der Zeit sogar noch ein kleines Holzgerüst angefertigt, so dass wir mehr Anlauf hatten. Das hat großen Spaß gemacht.

SPOX: Dennoch war es ja dann mehr Zufall, dass Sie zum Skispringen gekommen sind.

Schmitt: Das stimmt. Mein Bruder hatte mit dem Skispringen angefangen und ich habe ihn zu einem Wettkampf begleitet. Dann ist plötzlich jemand ausgefallen und ich wurde gefragt, ob ich nicht Lust hätte, einzuspringen. Ich habe meine Chance genutzt und in einer höheren Altersklasse gleich den zweiten Rang belegt. Ich habe eine Medaille bekommen und war stolz wie Oscar. Das war dann für mich der Anstoß weiterzumachen.

SPOX: Zu diesem Zeitpunkt waren Sie sechs Jahre als, jetzt sind Sie 31. Wie fällt 25 Jahre nach dem ersten richtigen Sprung das Zwischenfazit Ihrer Karriere aus?

Schmitt: Auf jeden Fall sehr positiv. Natürlich träumt man als Kind davon, Olympiasieger und Weltmeister zu werden, aber dann gab es auch Phasen im Schüler- und Jugend-Bereich, in denen ich nicht ernsthaft daran geglaubt habe, so etwas einmal zu schaffen. Das war so weit weg. Viele aus meiner Altersklasse haben es auch nie in den Weltcup geschafft. Der einzige Weggefährte von damals ist Michael Uhrmann, sonst ist niemand übrig geblieben. Ich bin stolz, dass ich tolle Erfolge feiern konnte - es war eine tolle Zeit bis heute.

SPOX: Besonders schön war sicher die Zeit zwischen 1998 und 2001. Sie haben in diesem Zeitraum 27 Weltcup-Springen gewonnen und die Szene komplett dominiert.

Schmitt: An diese Zeit erinnere ich mich unglaublich gerne zurück. Ich hatte damals ein wahnsinniges Niveau, mich konnte so schnell nichts umhauen. Ich wusste vor jedem Wettkampf, dass ich mindestens in die Top 3 komme, wenn es normal läuft. Das war eine sehr komfortable Situation.

SPOX: Wenn Sie Ihren besten Sprung aller Zeiten nennen müssten: Stammt der auch aus dieser Phase?

Schmitt: Es gibt ein paar Sprünge, die mir spontan in den Kopf kommen. 1999 habe ich in Planica mal einen perfekten Wettkampf gemacht und den damaligen Skiflug-Weltrekord aufgestellt. Ich bin sogar 219 Meter gesprungen, dann aber beim Jubeln in den Schnee gefallen. Oder meine Siege in Oberstdorf und Garmisch-Partenkirchen, wo ich neue Schanzenrekorde aufgestellt habe, die waren auch genial. Grundsätzlich kommt es aber auch häufig vor, dass die besten Sprünge gar nicht immer die sind, mit denen man Wettkämpfe gewinnt. Oft macht man einen außergewöhnlich guten Sprung bei ganz schwierigen Verhältnissen. Der ist dann nicht so weit, kann aber für die Umstände perfekt sein.

SPOX: Ihr bis heute letzter Weltcup-Sieg kam dann 2002 in Lahti. Es gab eine Zeit, da war das Siegen so einfach und jetzt warten Sie seit über sieben Jahren auf einen Sieg. Ist das nicht unglaublich?

Schmitt: Irgendwie schon. Mit der Zeit haben die vielen Siege eine ganz andere Bedeutung bekommen. Damals war das Siegen überhaupt nicht schwer - und dann wurde es plötzlich verdammt schwer oder sogar unmöglich.

SPOX: Sie sprechen die Krise an. Die Saison 2005/06 war Ihre schlechteste. Was war das Schlimmste zu der Zeit?

Schmitt: Das Schlimmste war die Unsicherheit. Die Unsicherheit, nicht zu wissen, woran es liegt. Es war niemand da, der mir einen Weg aufgezeigt hat, wie ich wieder nach vorne komme. Ich habe mich hilflos gefühlt. Wenn du den unbedingten Willen hast, aus dem Loch herauszukommen, du aber von keiner Seite einen Weg aufgezeigt bekommst, ist es schwierig. Das war sicher der Tiefpunkt meiner Karriere - eine sehr frustrierende Zeit. Da ist man abends im Hotel schon mal am Boden, wenn man wieder den zweiten Durchgang verpasst hat.

SPOX: Welche Erfahrungen haben Sie in dieser Zeit gemacht?

Schmitt: Was sehr positiv war: Ich habe in der schwierigen Phase keine menschlichen Enttäuschungen erlebt. Es war eine sportliche Unsicherheit vorhanden und ich wusste nicht, wohin die Reise geht. Die Weltspitze war unglaublich weit weg - und auch wenn die Hoffnung irgendwo noch da war, wieder den Anschluss zu finden, hat die hundertprozentige Überzeugung gefehlt.

SPOX: Viele Leute haben Sie komplett abgeschrieben. Wie nahe waren Sie selbst daran aufzuhören?

Schmitt: Ich hatte diesen Gedanken nie. Ich habe nie den Glauben verloren, dass ich es kann und dass ich die Fähigkeiten besitze, die erforderlich sind, um wieder oben anzuklopfen. Es ging darum, einen Weg zurück in die Erfolgsspur zu finden. Mein Umfeld hat mich immer unterstützt und dann war es ein Glücksfall für mich, als Stefan Horngacher als neuer Stützpunkt-Trainer gekommen ist. Er hat mir sehr viel gegeben und mir gezeigt, wie ich wieder erfolgreich Skispringen kann. Auch wenn es in den Jahren 2007 und 2008 auch noch nicht so erfolgreich lief, hat er in den Jahren die Grundlagen gelegt. Ich habe schnell das Gefühl bekommen, dass es für mich wieder ganz nach vorne gehen kann.

SPOX: Und dann kam Werner Schuster als neuer Cheftrainer. Was sind seine größten Stärken?

Schmitt: Er geht stark auf jeden einzelnen Springer ein, er fördert die Stärken und hilft einem, die Schwächen abzustellen. Er besitzt eine große Fachkompetenz, kaum einer versteht so viel vom Skispringen wie er. Er hat eine Vision ins Team gebracht. Und er ist nebenbei ein toller Mensch. Er sieht den Sportler nicht als Maschine, die funktionieren muss, sondern geht auf unsere Bedürfnisse ein und hat zu jedem im Team einen guten Zugang. Er weiß, wie er aus allen das Maximale herausholen kann. Wir vertrauen ihm.

Teil 2: Schmitt über den Mädchenhype um seine Person und Youngster Bodmer

SPOX: Die WM-Silbermedaille bei der WM in Liberec war das i-Tüpfelchen auf Ihre starke Comeback-Saison im letzten Jahr. Was war das für Sie? Eine Befreiung? Eine Genugtuung?

Schmitt: Das Wort Genugtuung gefällt mir nicht so gut, weil es impliziert, dass man mit etwas nicht im Reinen ist. Ich war mit meinen sportlichen Ergebnissen nicht im Reinen, das stimmt schon, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass ich auf Teufel komm raus jemandem etwas beweisen müsste. Ich habe es für mich gemacht und nicht weil ich der Öffentlichkeit zeigen wollte, was ich für ein toller Typ bin (lacht). Ich bin jahrelang nicht auf dem Niveau gesprungen und deshalb war es schön für mich, dass ich zum Höhepunkt der Saison eine Top-Leistung abrufen konnte.

SPOX: Eine Top-Leistung wollen Sie sicher auch in dieser Saison häufig abrufen. Wenn ich den Tournee-Sieg oder den Olympiasieg anbiete, was nehmen Sie?

Schmitt: Da müsste ich schwer überlegen. Ich würde auf jeden Fall den Tournee-Sieg einer Olympia-Medaille vorziehen, weil ich den noch nicht habe. Realistischer ist aber sicherlich die Olympia-Medaille. Ich glaube schon, dass ich die Fähigkeiten habe, um in Vancouver um Edelmetall zu kämpfen. Ich habe das Vertrauen, dass ich dann in Top-Form sein werde. Klar ist aber auch, dass bei einem einzelnen Wettkampf viel passieren kann. Das Wetter kann chaotisch sein und man hat es vielleicht gar nicht in der Hand - mein Ziel ist es, an meinem persönlichen Optimum Skizuspringen.

SPOX: Das Wetter spielt immer eine große Rolle. Die Jury muss oft schwierige Entscheidungen treffen. Wie stehen Sie dazu?

Schmitt: Was ich mir wünschen würde, ist, dass man sich im Zweifelsfall die Zeit nimmt, um einen Durchgang ordentlich durchzuziehen. Die Chancengleichheit soll einigermaßen gewährleistet sein, und das war nicht immer der Fall. Lieber ein fairer Durchgang als zwei chaotische, dann wäre viel gewonnen.

SPOX: Vielleicht tragen auch die neuen Regeln, die in diesem Winter in einigen Wettbewerben getestet werden, dazu bei, dass es fairer wird. Wie ist Ihre Meinung zu den neuen Regeln?

Schmitt: Grundsätzlich finde ich den Gedanken, der dahinter steht, gut. Es ist ein richtiger Ansatz. Ich glaube zwar nicht, dass es immer total fair werden würde, aber ein bisschen Abfederung wäre da. Wir haben es im Sommer getestet - sonst hast du immer geschaut, wie der Rückenwind ist, wenn du dann weißt, es wird alles eingerechnet, kannst du dich besser auf deinen Sprung konzentrieren. Aus sportlicher Sicht ist es eine gute Sache. Das Problem, das ich sehe, ist die Schwierigkeit, es dem Zuschauer an der Schanze und vor dem TV begreifbar zu machen. Wenn er es nicht nachvollziehen kann, wird es sich nicht durchsetzen.

SPOX: Apropos TV. Den größten Skisprung-Hype gab es sicherlich zu Jauch/Thoma-RTL-Zeiten. Gefühlt waren alle Mädels in Deutschland in Sie verliebt und wollten ein Kind von Ihnen. Wie haben Sie das verarbeitet?

Schmitt: Ehrlich gesagt habe ich während eines Wettkampfs gar nicht viel von dem Hype mitgekommen. Ich war so fokussiert, dass ich zwar das Stadion und die Begeisterung als Ganzes wahrgenommen habe, aber was auf den Plakaten stand, habe ich nie gesehen. Klar haben die Mädels vor dem Hotel gekreischt, aber ich habe mir da keine großen Gedanken gemacht, warum das so ist. Das war eben so. Inzwischen ist es auch ein ganzes Stück ruhiger geworden.

SPOX: Einer, der vielleicht für neuen Hype sorgen könnte, ist Pascal Bodmer. Für fast alle kamen seine starken Leistungen überraschend. Für Sie auch?

Schmitt: Ja, schon. Wenn man in der Mannschaft im Herbst herumgefragt hätte, wer denn der Beste sei im Moment, hätten alle Michael Neumayer gesagt. Und jetzt ist er der fünfbeste. So schnell kann es manchmal gehen. Pascal hat einen guten Lauf gekommen - er hat Sicherheit und Vertrauen in seinen Sprung gefunden und er ist klar im Kopf. Er schafft es, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und er überdreht nicht, weil er unbedingt einen Sieg will. Pascal ist ein guter Junge.

SPOX: Einer, der schon bald ein Siegspringer ist?

Schmitt: In dem Alter geht das manchmal schnell. Es ist wie ein Rohdiamant, der geschliffen werden muss und auf einmal funkelt er. Andere polieren ihre Diamanten und es tut sich nichts, aber Pascal hat anscheinend das richtige Tuch gefunden (lacht). Er hat unglaubliches Potenzial, aber es wird wichtig sein, dass er jetzt die Ruhe bewahrt und dass er sich weiter auf die Basics konzentriert. Nur dann wird er sich weiter steigern können. Tut er das, werden sich die Ergebnisse einstellen, und er wird auch Siege landen.

SPOX: Als Sie schon im Weltcup Erfolge gefeiert haben, war Pascal Bodmer noch ein kleiner Junge. Fühlen Sie sich alt?

Schmitt: Nein, das nicht. Aber man denkt schon zurück, wie man selbst mit 18 angefangen hat und wie die Zeit jetzt doch wie im Flug vorbei gegangen ist. Aber das ist im Leben nun mal so. Ich glaube, dass ich noch eine gewisse Zeit habe, in der ich den Sport ausüben kann.

SPOX: Wie lange wollen Sie Ihre Karriere noch fortsetzen?

Schmitt: Im Moment habe ich noch Freude am Skispringen und ich weiß, dass ich nach wie vor Weltklasse-Leistungen bringen kann. Also gibt es keinen Grund aufzuhören. Einem 31-jährigen Fußballer wird diese Frage nie gestellt. Michael Ballack ist älter als ich und hat noch nie so eine Frage gehört. Ich weiß, dass ich keine zehn Jahre mehr vor mir habe, vielleicht auch keine fünf, aber solange will ich die Zeit optimal nutzen und in jedem Wettkampf das Bestmögliche erreichen.

SPOX: Was kommt nach der Sportler-Karriere?

Schmitt: Ich habe noch keine konkreten Pläne, aber es kann gut sein, dass ich kein Trainer werde, sondern etwas ganz anderes mache. Es tut einem, denke ich, gut, wenn man auch mal eine neue Herausforderung sucht. Vielleicht studiere ich erstmal Politik. Ich habe zuletzt "Weltmacht im Treibsand" von Peter-Scholl-Latour gelesen, das war sehr interessant.

SPOX: Sie sind also ein politischer Mensch und zappen auch mal in "Plasberg" rein?

Schmitt: Das kann schon vorkommen. Ich interessiere mich auch für die Dinge, die außerhalb des Sports passieren. Hauptsächlich bin ich ein begeisterter Zeitungsleser und verfolge so das Weltgeschehen.

SPOX: Und wenn Sie mal lachen wollen...

Schmitt: ...dann schaue ich Harald Schmidt oder Pastewka. Das sind meine beiden Lieblinge.

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