Heiß auf die Nummer eins

Von Johannes Mittermeier
Simona Halep will die erste Rumänin sein, die an der Spitze der Weltrangliste steht
© getty

Simona Halep ist ein Typ, der Probleme direkt konfrontiert. Bei den US Open will sie die Weltranglistenerste Serena Williams herausfordern. Dabei profitiert sie von einer veränderten Einstellung - und den Lehren der Vergangenheit. Die Rumänin im Porträt.

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Retrospektiv erscheinen manche Dinge in einem anderen Licht. Weil die Wendungen oft beträchtlich sind. Dann dienen diese Rückblenden als Meilensteine, oder wenigstens als Erlebnisse, die einschneidend waren und Karrieren prägten.

Simona Halep kennt das. Bei den Australian Open unterlag sie Agnieszka Radwanska mit 1:6, 2:6, und wie das manchmal so ist, konstruierten die negativen Gedanken ihre eigene Wirklichkeit. Die von Halep sah so aus: "Ich werde sie niemals besiegen können."

Das war 2011.

Als die Rumänin die polnische Weltklassespielerin zwei Jahre später in Rom niederrang, machte das Selbstverständnis einen Sprung, der gewaltig war. "Danach sagte ich mir: Wenn ich sie schlagen kann, dann kann ich viele Spielerinnen schlagen", berichtet Halep der "Sports Illustrated". Ihre Wahrnehmung wurde plötzlich in eine andere Richtung gelenkt, vor allem nach Melbourne 2011, dem moralischen Tiefpunkt.

Seitdem verbesserte sich die heute 22-Jährige kontinuierlich; ihr Spiel, ihre Mentalität und ihre Position in der Weltrangliste. Ende 2012 trat sie in die Top 50 ein, im August 2013 in die Top 20, im Januar 2014 in die Top 10. Sie gewann sechs WTA-Titel im Kalenderjahr 2013, ihre ersten sechs wohlgemerkt, so etwas war zuletzt 1986 geschehen. Durch Steffi Graf.

Versteckte Botschaft

Man darf behaupten, dass sich Halep in der Elite etabliert hat, trotz des noch fehlenden Grand-Slam-Titels. Vor sechs Jahren stand ihre Karriere vor einem Katapultstart, das dachten zumindest viele, als Halep den Junioren-Titel bei den French Open gewann. Anschließend stürzte eine Menge auf sie ein. Druck von außen, Druck von innen, Verletzungen, kleine Krisen. Halep ist eine ruhige Person, fast schüchtern. Aber extrem ehrgeizig.

Das hemmte mitunter, denn die Devise hätte gerade umgekehrt lauten müssen. Spaß statt Schmerz. Und eigentlich stagnierte Halep nicht, sie verbesserte sich stetig, mit den leidlich-üblichen Unebenheiten. 2011 erreichte sie erstmals Runde drei eines Grand Slams - in Melbourne, gegen Radwanska. Endstation, Sorgen, Zweifel. "Ich werde sie niemals besiegen können..."

Heute wird die Rumänin als Nummer zwei der Welt gelistet. Vergangenheit und Gegenwart als versteckte Botschaft. "Sie ist auf dem Court sehr intelligent", lobt Coach Vim Fissette im "Independent". Schwierigen Situationen begegne sein Schützling mit der unverzagten Suche nach Lösungen, eine Haltung, die neu ist und Früchte abwirft.

Früher haderte Halep zuweilen mit den Umständen, sodass der Kampf zum Krampf geraten konnte. "Inzwischen erlaube ich mir, entspannter zu sein. Ich will Tennis mehr genießen", bekräftigt sie. Managerin Virginia Ruzici, French-Open-Siegerin von 1978, stimmt zu: "Ihr Spiel basiert auf Zutrauen. Wenn sich das konservieren lässt, kommt der Rest von alleine."

"Der wichtigste Moment meiner Karriere"

Zur Jahresmitte 2013 kam nichts von alleine. Halep rangierte auf Platz 57 der Weltrangliste und tangierte einen kritischen Punkt. Die Leistung hinkte den Ansprüchen hinterher, zuallererst ihren eigenen. Von Januar bis April gewann sie nur einmal zwei Matches am Stück.

Dann der Kaltstart. Zwischen Mai und Dezember entschied die Rumänin sechs Wettbewerbe für sich. Nürnberg, Hertogenbosch, Budapest, New Haven, Moskau, Sofia. Und natürlich: Rom, Radwanska. Ein Sieg, der böse Geister vertrieb. Oder wie Halep es formuliert: "Der wichtigste Moment meiner Karriere!"

Rückblickend streicht die Rumänin nicht den ersten Triumph in Deutschland heraus; sie nennt eine Niederlage vom Mai 2013, die Erstrundenpleite von Madrid. Gegen Lourdes Dominguez Lino verlor Halep in drei Sätzen, doch das Ausscheiden sollte ausschlaggebend sein. "Es war ein unglaubliches Match für mich, ich spielte drei Stunden, und danach fühlte ich, auf diesem Niveau bestehen zu können."

Als Halep flügge wurde

Der Makel der Grand Slams aber haftete ihr an. Regelmäßiges wie zeitiges Scheitern war auch der Grund, warum die 22-Jährige nicht recht auf dem öffentlichen Radar blinkte. Halep hat ein sanftes Gespür, sie stellt sich auch unangenehmen Entscheidungen. Ende 2013 schottete sie sich ab, weil sie merkte, dass frische Reize notwendig sind, um besser zu werden. Noch besser.

"Ich war zu einhundert Prozent von Rumänien geformt, deshalb wollte ich eine Veränderung", betont Halep. Anstelle ihres Landsmanns Adrian Marcu engagierte sie Vim Fissette als neuen Coach, einen Belgier, der bereits Kim Clijsters und Sabine Lisicki trainiert hatte. Und es wäre keine Mutprobe, wenn das Risiko nicht gestreift würde.

Heuer gewann Halep zwei weitere Turniere, Doha und Bukarest. Die magere Major-Bilanz wertete sich dramatisch auf, wie ein gelöster Knoten im Spannungsbogen: Viertelfinale bei den Australian Open, Halbfinale in Wimbledon, Endspiel bei den French Open.

Eine vergebene Chance

In Roland Garros wurde die junge Dame an ein Kapitel erinnert, das ihren Aufstieg erleichtert hatte. Als Teenager litt Halep an ständigen Rückenschmerzen - eine Folge ihrer Oberweite. Vor fünf Jahren wurde die damals 17-Jährige von einer Last befreit, im wörtlichen wie übertragenen Sinne.

"Ich habe mir meine Oberweite nicht verkleinern lassen, weil die Leute vorher mehr über meinen Busen als über mein Tennis gesprochen haben. Das hat mich nicht gestört. Aber die Brüste waren derart schwer, dass das zusätzliche Gewicht meine Reaktion verlangsamte", meinte sie und erklärte unverblümt: "Ich hätte mich auch operieren lassen, wenn ich keine Sportlerin wäre."

Coach Fissette wirbt um Verständnis, sogar in Belgien, sagt er, sei Haleps Oberweite diskutiert worden. "Deshalb war sie berühmt. Hoffen wir, dass sie bald einen Grand Slam gewinnt, dann fangen die Leute an, über Tennis zu reden."

"Das ist meine persönliche Sache"

Halep gewann nicht. Sie unterlag Maria Sharapova im Finale der French Open, doch nicht alle Beobachter konzentrierten sich auf den Sport. Als ein Journalist den Bann der Indiskretion brach und Halep auf ihre Brust-OP ansprach, reagierte diese barsch: "Wenn Sie etwas über Tennis fragen wollen, gerne, aber dieses Problem, das ich hatte, das ist meine persönliche Sache."

Tatsächlich böte das Tennis genug Themen. Die nächste Generation steht parat, die Generation der Eugenie Bouchard (20), der Elina Svitolina (19) und der Simona Halep. Am 11. August wurde die 22-Jährige zur Nummer zwei der Welt, lediglich Serena Williams thront über ihr, wenn auch mit Respektabstand. Bis dato gab es 21 Weltranglistenführende. Eine Rumänin war nicht dabei.

Vorbilder Hagi und Henin

Halep stammt aus Constanta, ihr erstes Idol war Gheorghe Hagi, der beste Fußballer, den die Nation jemals hervorbrachte. Auch ihr Vater war aktiv, beim Klub Sageata Stejaru. Trainer Fissette sagt, sie habe "Fußballer-Beine, sie ist schnell, gewandt, ausbalanciert."

Mit vier griff Simona zum Tennisschläger, mit 16 verließ sie Constanta. "Wir hatten dort nicht viele Trainer, und irgendwann wäre es unsinnig gewesen, zu bleiben", sagt sie. Das nächste Ziel hieß Bukarest.

Halep entwickelte sich zu einer Spielerin mit breitgefächertem Handwerkszeug. Serena Williams preist ihre "Power beim Aufschlag" an, sie selbst benutzt das Adjektiv "aggressiv" und orientiert sich an Justine Henin. Beide sind klein, flink, wendig, mit gewitzten und durchaus gewagten Angriffsschlägen. Halep versteht es, vom Verteidigungsmodus in die Offensive zu schalten, aber ihr Repertoire ist nicht eindimensional ausgelegt; es enthält Variabilität und Facettenreichtum, mehr Optionen und, ganz wichtig, weniger Druck.

Sehnsucht: Nummer eins

Tennis ist eine diffizile Sportart, ungemein fordernd für Körper und Geist. Ein Aspekt bedingt den andern, und Haleps neu erlangte Gelassenheit hat ihren Auftritten deutlich Stabilität verliehen. Es ist die Konstanz des Komplettpakets.

"Ich spiele heute so wie im Junioren-Bereich", sagt sie, mit Vertrauen in sich und einer mentalen Ebene, die im Lot pendelt. Häufig verändern Nuancen das Gesamtkunstwerk, speziell im Tennis, denn eigentlich ist Simona Halep noch immer die unscheinbare, häufig übersehene, zierliche und doch kraftvolle Athletin. Obwohl sie niemals die physische Wucht der Kategorie Williams, Li Na oder Victoria Azarenka erreichen wird, verteilen sich auf 168 Zentimetern pure Dynamik, Ausdauer und eine Portion Erfahrung.

Jetzt wartet Haleps Lieblingsbelag, der Hartplatz bei den US Open. Wieder flimmert so eine Endstation, diesmal nicht Radwanska in Rom, sondern die Endstation Sehnsucht: Nummer eins werden. Bei "asapsports.com" schildert die Rumänin ihren Gemütszustand: "Die Leute erkennen mich auf der Straße, sie gratulieren mir und wünschen mir Glück. Ich genieße das, weil es der beste Abschnitt meines Lebens ist."

Mal sehen, was "die Leute" einmal über die US Open des Jahrgangs 2014 erzählen. Und wie sich die Geschichte - rückblickend - in den Kontext einordnen wird.

Simona Halep im Steckbrief

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