"Traue Federer noch Grand-Slam-Siege zu"

Von Interview: Liane Killmann / Alexander Mey
In Wimbledon, seinem Wohnzimmer, fühlt sich Boris Becker (r.) sichtlich wohl
© Getty

Wimbledon 2012 nimmt Fahrt auf. Boris Becker konnte das dritte Grand-Slam-Turnier des Jahres 1985, 1986 und 1989 gewinnen. Vier weitere Male stand die ehemalige Nummer eins der Welt im Finale. Dort kassierte er 1991 seine wohl schmerzhafteste Londoner Niederlage gegen Michael Stich. In diesem Jahr ist der 44-Jährige wieder als Kommentator für die "BBC" im Einsatz. SPOX sprach mit Becker über die Top Four, eine legendäre Final-Trilogie und die Halbfinals bei der Fußball-Europameisterschaft.

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SPOX: Hallo Herr Becker, wie geht es Ihnen?

Boris Becker: Bestens, danke. Ich komme gerade aus unserer Kommentatorenkabine auf dem Center Court.

SPOX: Bei den Herren geht es an der Spitze in dieser Saison ja extrem eng zu. Wenn Novak Djokovic nicht ins Wimbledon-Finale kommt, kann Roger Federer wieder die Nummer eins der Weltrangliste werden, auch Rafael Nadal hat rechnerisch die Chance dazu. Wer ist Ihr Tipp?

Becker: Dass Novak die Nummer eins durch ein gutes Turnier verteidigen muss, das kennt er gut. Die Weltrangliste ist sicher nicht so wichtig für ihn wie die Titelverteidigung. Es wird aber nicht so leicht diesmal für Djokovic. Sicher hängt viel davon ab, wie Nadal, Federer und Murray ins Turnier starten. Und dann wird es spannend.

SPOX: Sie haben Andy Murray erwähnt. Glauben Sie, dass er ein Grand-Slam-Turnier gewinnen kann?

Becker: Das ist die große Frage, die in Wimbledon ständig diskutiert wird. Ich glaube, er hat das Talent und die Qualität dazu. Leider hat er das Pech, in einer Zeitrechnung mit Nadal und Federer zu spielen. Da ist es für alle anderen schwierig, Grand Slams zu gewinnen. Es ist nicht unmöglich, aber verdammt schwer. Murray kann es schaffen, aber die Frage ist wann.

SPOX: Rafael Nadal war unfassbar dominant in Paris. Dazu ist er mit seinen 26 Jahren knapp fünf Jahre jünger als Roger Federer. Können Sie sich vorstellen, dass der Spanier mit seinen 11 Grand-Slam-Siegen den Rekordhalter Federer mit 16 noch einholen kann?

Becker: Das wird ganz schwer. Es wird nicht so schnell passieren, dass überhaupt jemand an Rogers Marke heranreicht. Nadal musste auf seinen letzten Major-Sieg ein Jahr warten. Da wird es schon rein rechnerisch schwierig. Dazu kommt, dass Federer noch weiterspielen wird. Ich traue ihm noch ein, zwei Grand-Slam-Siege zu. Außerdem gibt es da einen Djokovic und vielleicht einen Murray, die mitreden möchten.

SPOX: Tommy Haas hat mit seinem Finalsieg über Federer in Halle viele überrascht. Sie auch?

Becker: Das war nach all seinen Verletzungen eine große Meisterleistung von Tommy. Roger Federer im Finale zu schlagen, das schaffen nur wenige. Diese Erfolge sind im Herbst einer Karriere unheimlich wichtig, um dem Sport doch weiter ehrgeizig treu zu bleiben.

SPOX: Wimbledon hat sich verändert: Der Rasen ist langsamer geworden, die Spielweise ist eine andere. Kann man Wimbledon zu Ihrer Zeit überhaupt mit dem heutigen vergleichen?

Becker: Tennis hat sich weiterentwickelt, insbesondere die Schläger. Der Schläger von heute erlaubt es, mit mehr Kraft und Tempo zu spielen, bei einer nicht unbedingt besseren Technik. Gerade die Topspin-Spieler sind mit den neuen Modellen und Saiten im Vorteil gegenüber den Profis vor 10 oder 15 Jahren. Das ist der Grund, warum viele von der Grundlinie agieren, weil sie diesen Top Spin bekommen, und wir weniger Volleys sehen. Ob es das Spiel wirklich besser macht, sei dahingestellt.

SPOX: Hätte ein Serve-und-Volley-Spieler wie Sie heute noch eine Chance, das Turnier zu gewinnen? Oder würden Sie mit den neuen Schlägern ganz anders spielen?

Becker: Ich hätte mit den neuen Schlägern und Saiten natürlich auch mehr Power. Aber wenn man sich einen Federer anschaut, dann spielt er nach wie vor ein variables Spiel mit Serve-and-Volley-Elementen. Also die guten Serve-and-Volley-Spieler können hier in Wimbledon immer noch gewinnen. Vielleicht würde es noch mehr Spaß machen, das Spiel anzuschauen, wenn das Material weniger Power spenden würde.

SPOX: Gibt es in Ihrer Karriere ein Match, von dem Sie sagen, das war das beste, das ich in Wimbledon gespielt habe?

Becker: Nein, das waren so viele. Klar gibt es einige Matches, die wichtiger waren als andere, aber um in ein Grand-Slam-Finale zu kommen, müssen schließlich erst die erste und zweite Runde gewonnen werden. Die sind oft schwieriger, weil es scheinbar um weniger geht. Ich erinnere mich gut, wie ich das erste Mal Wimbledon gewonnen habe, und das zweite Mal, oder wie ich die Nummer eins wurde. Aber auch der Weg dahin zählt.

SPOX: Uns sind zuallererst die Wimbledon-Finals gegen Stefan Edberg eingefallen: 1988, 1989 und 1990. Wie haben Sie diese besondere Rivalität erlebt, drei Mal in Folge im Finale aufeinanderzutreffen?

Becker: Ich hätte lieber zwei Mal gewonnen und nur eines verloren (lacht). Im Ernst, drei Endspiele am Stück gegen den gleichen Gegner, das waren schon Highlights. Das haben nicht einmal Björn Borg und John McEnroe geschafft. Aber als ich 1984 hier Qualifikation in Wolverhampton gespielt habe, da war das auch etwas Besonderes. Deshalb hebe ich ungern ein Match heraus.

SPOX: Gleich nach Ihrem verlorenen Fünfsatz-Finale am 8. Juli 1990 wurde Deutschland in Rom Fußball-Weltmeister. Ein Grund mehr, über Fußball zu sprechen. Wie haben Sie in London das Aus der Engländer im Viertelfinale gegen Italien erlebt?

Becker: Die Engländer haben das sehr sportlich genommen. Sie haben eingesehen, dass die Italiener die bessere Mannschaft waren. Nach dem Hin und Her im Vorfeld wird das Viertelfinale der Three Lions als Erfolg gewertet. Ich finde es natürlich schade, weil ich dem Team sehr gern zugeschaut habe.

SPOX: Wie lauten Ihre Tipps zu den EM-Halbfinals zwischen Portugal und Spanien sowie Deutschland und Italien?

Becker: Ich tippe auf ein Finale Portugal gegen Deutschland. Ich glaube, dass Ronaldo eine Riesenshow abliefern und die Spanier besiegen wird. Wir werden uns gegen Italien schwer tun, aber Jogi Löw wird wieder das goldene Händchen mit seiner Aufstellung und den Einwechslungen haben. Deshalb werden wir es ins Endspiel schaffen.

SPOX: Das hoffen wir sehr! Hätte Deutschland auch gegen Spanien eine Chance im Finale?

Becker: Hmm, eine hypothetische Frage... Deutschland hat heute gegen jede Mannschaft eine gute Chance. Wir sind gegen fast alle Teams der Favorit, auch auf den Europameistertitel. Was ich von den Spaniern so gesehen habe bisher, haben sie mir vor zwei Jahren bei der WM besser gefallen. Dieses Jahr haben sie mich noch nicht so beeindruckt.

SPOX: Wer ist denn Ihrer Meinung nach in Jogis Truppe der wichtigste, stärkste Spieler bei dieser EM?

Becker: Das ist eine gute Mischung. Da gibt es nicht DEN Superstar, der alles entscheidet. Jeder Spieler hat offenbar eine wichtige Rolle inne. Das ist eine ganze Generation toller Fußballer, ohne Frage. Deshalb sind wir so schwer auszurechnen. Mario Gomez muss nicht immer die Tore machen, Mesut Özil muss nicht immer die Vorlagen geben, dann übernimmt das eben Bastian Schweinsteiger.

SPOX: Wenn Sie sich entscheiden müssten: Klose oder Gomez?

Becker: Ich würde Gomez wählen.

SPOX: Warum?

Becker: Weil er ein tolles Jahr bei den Bayern gespielt hat, nachdem er dort ja zunächst ein paar Schwierigkeiten hatte.

SPOX: Sie sind als @Becker_Boris ein begeisterter Twitterer, während der EM haben auch Oliver Kahn, Franz Beckenbauer und Jens Lehmann das Medium für sich entdeckt. Begrüßen Sie das?

Becker: Ja, das gehört heute fast zum guten Ton. Man muss wissen, was man twittert und wie oft man twittert, dass man nicht alles Private preisgeben sollte. Aber persönliche Meinungen, News und Dinge, die einem begegnen, sind perfekt für Twitter. Das macht Spaß, das informiert und es ist unterhaltsam. Deshalb mache ich das und auch immer mehr andere Menschen, ob sie nun prominent sind oder nicht.

SPOX: Bekommen Sie über diese Art der Kommunikation vielleicht auch den Hype um die deutsche Nationalmannschaft hierzulande ein bisschen transportiert?

Becker: Klar, dieser direkte Austausch mit den Fans ist toll. Ich weiß, was ich meinen Fans zu verdanken habe und auf diesem Weg bekomme ich ehrliche Meinungen mit, das Stimmungsbild um die Nationalmannschaft und Feedback, das es sonst nicht geben würde.

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