"Carlsen hat unseren Kampfgeist entfacht"

Von Interview: Zakaria Mjallad
Levon Aronian zählt zu den weltbesten Schachspielern
© getty

Mit einer Elo-Zahl von 2.789 gehört Levon Aronian zu den besten Schachspielern der Welt. Im April bewies der Armenier, der früher schon in Berlin lebte und in der Bundesliga spielt, dass er auch Weltmeister Magnus Carlsen schlagen kann: Das hochkarätige Grenke Chess Classic in Baden-Baden gewann der 34-Jährige souverän. Im Interview erklärt Aronian seinen Triumph, spricht über Schach als Kunst und was den Frauen zur Weltspitze fehlt. Außerdem verrät er, wie Carlsen den Schachsport verändert hat.

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Spox: Herr Aronian, Glückwunsch zum Sieg bei der Grenke Chess Classic. Weltmeister Magnus Carlsen war in Baden-Baden am Start, dazu mit Fabiano Caruana und Maxime Vachier-Lagrave zwei weitere Top-5-Spieler - und mit Hou Yifan die beste Spielerin der Welt. Sie haben souverän gewonnen. Gibt es danach an der eigenen Leistung überhaupt etwas auszusetzen?

Aronian: Vielen Dank, es war für mich ein sehr gutes Turnier. Ich bin mit zwei Remis zwar nicht besonders gut gestartet, aber dann hat alles geklappt. Ich bin sehr zufrieden mit meinem Ergebnis.

SPOX: Das Grenke Chess Classic wurde zum insgesamt vierten Mal ausgetragen, Sie waren 2015 Fünfter. Für alle, die das Turnier nicht kennen: Wie würden Sie es einordnen?

Aronian: Dieses Turnier ist für uns Teilnehmer ein Traum. Wir spielen in der besten Halle in Deutschland, in der besten Stadt, das Turnier ist fantastisch organisiert. Es gibt nicht viel Turniere, in denen der Weltmeister immer mit dabei ist. Vielleicht ist es nicht ganz so groß wie ein WM-Kandidaten-Turnier, aber trotzdem ein sehr wichtiges Turnier im Kalender.

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SPOX: Mit welchen Erwartungen sind Sie angereist? Mit Carlsen, Caruana, etc. war die Konkurrenz ja sehr groß.

Aronian: Wenn ich ein Turnier spiele, denke ich immer nur an den ersten Platz. Ich wusste, dass viele sehr gute Spieler mit dabei sind - aber ich weiß auch, dass ich der Beste sein kann. Mein Geheimnis ist, dass ich mich jeden Tag selbst schlagen muss. (lacht) Und deshalb halte ich mich auch für den besten Spieler.

SPOX: In Ihrer zweiten Partie mussten Sie direkt gegen Weltmeister Magnus Carlsen ran. Spürt man am Brett sofort, dass er der beste Spieler der Welt ist, oder macht das in einem Spiel auf dem höchsten Niveau überhaupt keinen Unterschied?

Aronian: Das spielt für mich keine Rolle. Natürlich ist es eine Herausforderung, weil ich weiß, wie gut er ist. Ich habe großen Respekt vor ihm als Schachspieler und wollte unbedingt mein bestes Spiel zeigen und gegen ihn gewinnen.

SPOX: Was Ihnen auch beinahe gelang, bevor die Partie remis endete.

Aronian: Letzten Endes habe ich wohl zu riskant gespielt. Ich hatte eine gute Stellung und dachte, dass ich ihn matt setzen kann. Aber gegen einen derart starken Gegner war das vielleicht etwas zu optimistisch.

SPOX: Sie haben der taz einmal gesagt: "Ich bin aus dem Kaukasus, also ein emotionaler Mensch. Deswegen bin ich erfolgreich beim Schnell- und Blitzschach - schnell reagieren, mit dem Herzen spielen, nicht der Logik unterwerfen."

Aronian: Daran muss ich arbeiten, das stimmt. Manchmal bin ich zu emotional. Aber ich würde das nicht nur negativ sehen. Es ist immer beides: Stärke und Schwäche.

SPOX: Der Zeitplan war extrem eng gesteckt: sieben Partien in acht Tagen. Irgendwann muss man doch körperlich und geistig vollkommen erschöpft sein, oder?

Aronian: Ja, natürlich. Was mir geholfen hat: In den letzten Monaten habe ich sehr wenig Schach trainiert, dafür aber umso mehr auf der psychologischen und körperlichen Ebene gearbeitet. Deshalb war ich nicht müde, sondern über das ganze Turnier voll auf der Höhe.

SPOX: Wie sah das aus? Sind Sie zu einem Psychologen gegangen?

Aronian: Normalerweise arbeite ich alleine. Ich habe ein paar Freunde, die sich in der Sportpsychologie auskennen und die ich immer fragen kann. Allerdings kann man noch so viele Menschen um Hilfe bitten: Wenn man nicht alleine an sich arbeitet, dann geht es nicht, glaube ich. Man muss die nötige Kraft auch aus sich selbst schöpfen.

SPOX: Nach zwei Remis zu Beginn haben Sie dann auch vier Spiele in Folge gewonnen. Wächst in einer solchen Phase von Tag zu Tag das Selbstbewusstsein?

Aronian: Das ist ein interessantes Phänomen: Normalerweise sollte man sich nach einem Sieg eigentlich entspannen. Eine Schlange muss nach einer großen Mahlzeit ja auch zwei oder drei Tage verdauen. (lacht) Aber bei mir passiert das Gegenteil: Ich werde immer motivierter und will noch mehr gewinnen. Es ist normal, an Spannung zu verlieren. Diesen Kampfgeist dennoch hoch zu halten, macht dich zum Champion. Man muss immer hungrig auf Erfolg sein.

SPOX: Carlsen hat in Baden-Baden nur Rang drei belegt. Wie lange sehen Sie ihn an der Spitze der Schachwelt? Es gibt ja gerade aus der jüngeren Generation mittlerweile richtig starke Konkurrenz.

Aronian: Wir leben in einem goldenen Schach-Zeitalter. Die besten Spieler über 40 sind noch sehr stark, die mit Mitte 20 aber auch schon extrem gut. Das macht es so interessant: Der Wettbewerb ist stark, es gibt keine schnellen Remis. Ich glaube, dass dieser Wettbewerb auch durch Carlsen zu erklären ist. Er spielt wunderschönes Schach, aber noch wichtiger für den Sport ist der Kampfgeist, den er entfacht hat.

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SPOX: Können Sie das näher erläutern?

Aronian: Alle kämpfen mittlerweile bis zum letzten Bauer. Normalerweise bringt jeder Weltmeister seinen Stil, seine Philosophie mit sich. Magnus selbst ist ein Kämpfer, und darum bin ich mir nicht sicher, wie lange er Weltmeister bleiben kann. Denn alle anderen haben diesen Charakter, diesen Kampfgeist von ihm gelernt. Sowohl die Älteren, als auch die Jüngeren. Er ist immer noch der beste Spieler, den es gibt: Aber ich glaube, dass es in Zukunft sicherlich interessanter werden wird als bisher.

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