"Nennt mich Caitlyn"

SID
Bruce Jenner gewann als Zehnkämpfer Gold bei den Sommerspielen 1976 in Montreal
© getty

Neulich stand ein Handwerker vor der Tür. Caitlyn Jenner öffnete und gab ihm freundlich die Hand. "Ich sagte aus alter Gewohnheit 'Hi, ich bin Bruce' - und wusste sofort: Mist, ich hab's versaut, ich bin ja gar nicht mehr Bruce." So ganz verinnerlicht hat Caitlyn Jenner ihre neue Identität noch nicht. Kein Wunder, schließlich war sie 65 Jahre lang Bruce Jenner, der Sportheld, der Superstar der Leichtathletik, 1976 in Montreal als Zehnkampf-Olympiasieger der König der Athleten.

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Schon damals wusste Bruce Jenner, dass er im falschen Körper steckte. Zwei Ehefrauen, vier Kinder, und doch der stetig nagende Zweifel, die immer wiederkehrende Frage: Wer bin ich? Heute ist diese Frage beantwortet. "Nennt mich Caitlyn", so heißt die Juli-Titelstory des Magazins Vanity Fair, auf dessen Cover Caitlyn Jenner posiert. Eine attraktive Frau mit lockiger Löwenmähne, bekleidet mit einer elfenbeinfarbenen Corsage, die Beine züchtig zusammengepresst.

Ihre Geschichte hat Caitlyn Jenner über ein Vierteljahr hinweg Pulitzer-Preisträger Buzz Bissinger erzählt, der schrieb sie für die Vanity Fair auf. Gekonnt in Szene gesetzt wurde das Ganze während eines zweitägigen Shootings in New York von Starfotografin Annie Leibovitz. "Das war schöner als mein Olympiasieg", erzählte Jenner: "Schöner als Fanfaren und die Siegerehrung im Stadion, schöner als die Goldmedaille und alle Schulterklopfer. Das war damals eine Momentaufnahme, dies ist mein Leben."

"Habe eine Panikattacke bekommen"

Jenner erzählte Bissinger auch von den weniger schönen Tagen. Von jenem 15. März 2015 beispielsweise, als ihre Gesichtszüge in einer zehnstündigen Operation zu denen einer Frau wurden: "Ich bin aufgewacht, habe mich im Spiegel gesehen und eine Panikattacke bekommen. Ich habe gedacht, was habe ich getan, was habe ich mir angetan." Ein Psychologe beruhigte sie, seit den Gesprächen mit ihm hat es keine Zwischenfälle dieser Art mehr gegeben.

Das mag auch daran liegen, dass Jenners Kinder den inneren Zwiespalt ihres Vaters schon früh bemerkten und heute ganz selbstverständlich mit dessen neuer Identität umgehen. Burt (36), Cassandra (34), Brandon (33) und Brody (31) sind mit sich und Caitlyn im Reinen, lediglich Brandon war ein bisschen irritiert, als sie nach einer der vielen OPs ihren Oberkörper entblößte und stolz ihre neugeformten Brüste zeigte. "Ich hab mich schnell umgedreht und gesagt: Hey, lass das, ich bin dein Sohn."

Geschlechts-OP steht noch aus

Den letzten, den allergrößten Schritt hat Caitlyn Jenner noch immer vor sich: Die Operation des Genitalbereichs. Alles andere ist vollzogen, seit dem 1. Juni gibt es auch einen offiziellen Twitter-Account ihres Namens, der bereits in den ersten vier Stunden eine Million Follower generierte.

"Noch ein Jenner-Rekord, und das mit 65! Wer hätte das gedacht! Danke für eure Unterstützung", twitterte Caitlyn. Sie ist mit sich und ihrer neuen Welt zufrieden: "Hätte ich eines Tages auf dem Sterbebett gelegen, ohne diesen Schritt getan zu haben, wäre mein letzter Gedanke gewesen, dass ich mein Leben vergeudet habe. Das wollte ich mir unbedingt ersparen."

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