Im Kampf gegen die Dämonen

Von Bärbel Mees
Kelly Pavlik gewann 36 seiner 38 Profikämpfe, 32 davon durch Knockout
© Imago

Trotz großer Erfolge verfallen immer wieder Box-Stars Alkohol und Drogen - und stürzen ab. Manche schaffen danach den Weg zurück in den Ring. Andere verlieren den Kampf.

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"Viele Weltmeister sind Alkoholiker geworden, ich bin der erste Alkoholiker, der Weltmeister wurde", sagte einst Eckhardt Dagge, zweiter deutscher Box-Weltmeister nach Max Schmeling.

Trotz seiner Alkoholprobleme wurde der Super-Weltergewichtler 1976 Weltmeister und später Trainer von Dariusz Michalczewski. 2006 starb das Enfant terrible des deutschen Boxsports an einem Krebsleiden.

Dagge mag der erste Alkoholiker sein, der Weltmeister geworden ist, aber er ist definitiv nicht der letzte. Im Gegenteil: Zuletzt häufen sich im Boxsport Meldungen über Drogen- und Alkoholeskapaden. Und einige, die derzeit einen Entzug machen, planen dennoch eine Rückkehr in den Ring.

Absturz auf dem Höhepunkt

Dass Boxer Alkoholiker werden oder Drogen nehmen, ist nichts Ungewöhnliches. Es gibt zahlreiche Beispiele, vor allem in Ländern, in denen sich Boxer von ganz unten nach ganz oben kämpfen, in denen der Erfolg im Sport als Ticket in eine bessere Welt gilt.

Viele kommen schon in der Kindheit mit verbotenen Substanzen in Kontakt, werden von ihren betrunkenen Vätern verprügelt, boxen sich aus einem zerrütteten Elternhaus nach oben, gelangen zu schnell an zuviel Geld, verpulvern es und stürzen wieder ab.

Doch auffällig ist, dass Boxer wie Ricky Hatton oder Kelly Pavlik dem Alkohol nicht verfallen, weil die Erfolge im Ring ausbleiben, sondern zu einem Zeitpunkt, als sich ihre Karriere im Zenit befindet. Sie trinken, weil sie Angst haben, ihre Fans zu enttäuschen und den hohen Erwartungen nicht gerecht zu werden. Die Furcht vor einer Niederlage ist bei ihnen höher als die Vorfreude auf einen Sieg.

"WM-Titel war der schönste und schlimmste Moment"

So wie bei Kelly Pavlik. Er verlor im April vergangenen Jahres seine beiden WM-Titel an Sergio Martinez. Trotzdem war seine Leistung im Ring überraschend gut, bedenkt man, dass er sich zehn Tage zuvor im Betty Ford Center behandeln ließ. Eine kalifornische Entzugsklinik, die er Anfang November erneut aufsuchte und erst im Januar dieses Jahres wieder verließ.

Pavliks Alkoholprobleme aber resultieren nicht aus seiner Niederlage gegen Martinez. Sie bestehen schon länger. Genauer gesagt: Seit seinem Sieg im WM-Fight gegen Jermain Taylor vor gut drei Jahren. Ausgerechnet sein Durchbruch bereitete ihm die größten Probleme. "Es ist sein Alkoholproblem, das Kelly seit der ersten WM Schwierigkeiten macht. Er war auf die Situation als Champion nicht vorbereitet", erklärt Pavliks Vater Mike.

"Mit den Veränderungen konnte er nicht umgehen. Die Titel zu gewinnen war der schönste, aber auch schlimmste Moment seines Lebens. Diese plötzliche Berühmtheit und die Forderungen an ihn wurden so groß, dass er damit nicht mehr umgehen konnte. Jeder will dem Weltmeister ein Bier ausgegeben. Er wollte niemanden verletzen und sagte selten 'Nein'. Daraus wurde ein ernstes Problem."

Ob Pavlik jemals wieder in den Ring steigt, ist fraglich. Aber nicht unwahrscheinlich, war doch der Sport in den vergangenen Jahren der einzige Lebensinhalt des Profiboxers.

Ray Hatton: "Ricky wollte immer alles glücklich machen"

In einem ähnlichen Dilemma wie Pavlik befindet sich Ricky Hatton, dessen Absturz vergangenen Herbst via Video um die Welt ging. "Wenn er so weitermacht, wird er sich umbringen. Zehn Stunden nonstop Trinken, von Wein, Sambuca und Wodka über Guinness zu Kokain, davon sieben Linien! Ich mache mir große Sorgen", ließ ein Freund des Boxers verlauten.

Auch Hatton wurde der Erfolgsdruck zu hoch. Als er im Mai 2009 gegen Manny Pacquiao in der zweiten Runde k.o. ging, zerbrach er. "Ricky wollte immer alle glücklich machen, nicht nur seine Familie, sondern auch seine Fans. Wenn er eine Niederlage einstecken musste, hatte er immer das Gefühl, er hätte alle im Stich gelassen. Er wurde immer deprimierter - und begann immer mehr zu trinken. Es führte zur Verzweiflung, aus der er sich nur befreien konnte, wenn er wieder etwas trank", erklärte sein Vater Ray Hatton den Teufelkreis.

Hatton aber schien das öffentliche Bekanntwerden seines Problems tatsächlich wachzurütteln. Er meldete sich nach langen Gesprächen mit seinen Familienmitgliedern selbst in einer Entzugsklinik an. Doch: Er blieb nur wenige Wochen - und stürzte kurz nach seiner Entlassung erneut ab. Innerhalb von zwei Tagen trank er auf einer Kneipentour durch Manchester 22 Pints Guinness und elf Flaschen Lager.

Valero: Selbstmord im Gefängnis

"Er steuert auf eine Katastrophe zu. Es scheint, als würden noch immer all seine Dämonen in ihm leben", sagte ein Familienmitglied dem "Mirror". Und Hattons elfmonatige Affäre Emma Bowe, die das Publikwerden der Geschichte lanciert hatte, um ihn wachzurütteln, sagte: "Ich mache mir extreme Sorgen um Ricky. Vor allem, wenn er wirklich wieder in den Ring zurückkehren will - er könnte eine Herzattacke bekommen."

Hatton wäre nicht der einzige, der nach Alkoholproblemen wieder in Ring steigt. Edwin Valero boxte trotz Sucht und einer sechsmonatigen Behandlung in einer psychiatrischen Klinik weiter.

Seine Probleme konnte er mit dem Sport dennoch nicht lösen. Vergangenen April beging der venezolanische Leichtgewichts-Weltmeister im Gefängnis Selbstmord. Er stand unter dem Verdacht, seine Ehefrau ermordet zu haben.

Sam griff nach den Kämpfen zur Flasche

Keine Sucht bleibt ohne Folgen: Erhöhter Alkoholkonsum über Jahre hinweg führt zu permanenten Schäden an Gehirn und Leber. Aktuelles Beispiel: Sinan Samil Sam. Dem 36-Jährigen, der mehrere Wochen auf der Intensivstation lag,  drohte nach einer Leberzirrhose eine Transplantation. Mittlerweile aber konnte der Türke ohne OP aus der Klinik entlassen werden.

"Ich muss in Zukunft besser auf mich und meine Gesundheit achten. Ans Boxen ist nach dieser Geschichte natürlich nicht zu denken. Aber ich fühle mich schon wieder so fit, dass ich hoffe, bald junge Talente trainieren zu können", ließ Sam verlauten.

Nach Informationen der "Welt online" hatte Sam seit Jahren ein starkes Alkoholproblem, bis er schließlich im Dezember mit Magenbluten ins Krankenhaus eingeliefert wurde.

"Teilweise hat er direkt nach seinen Kämpfen angefangen zu saufen", sagte ein Wegbegleiter über den ehemaligen Schwergewichts-Europameister, der als Bulle vom Bosporos bekannt wurde und 2008 seinen Rücktritt bekannt gab. Er widmete sich in den letzten Jahren der Pferdezucht, schien den Absprung rechtzeitig geschafft zu haben. Ein Irrtum.

Tyson: Mike oder das Monster

Auch Mike Tyson kämpft seit Jahren gegen seine Süchte. Der US-Amerikaner ist schwer depressiv, nimmt seit 20 Jahren Antidepressiva. "Es hält mich davon ab, jemanden umzubringen. Ich bin ein Junkie. Ich kämpfe jeden Tag gegen diese Dämonen. Viele dieser Kämpfe habe ich verloren", gesteht Tyson, der mehrmals versuchte, sein Leben zu beenden. Ohne Erfolg. "Ich habe den Tod gesucht, aber nicht mal er mochte mich."

2009 spielte Tyson in der Komödie "Hangover" mit. Mit dem Film wollte er sein Leben wieder in andere Bahnen lenken, doch seine Gage ging für Drogen drauf. Wäre der Film gefloppt, hätte er illegal Kopien verkauft, um seine Sucht zu finanzieren, gab Iron Mike später zu. Trotz seiner zahlreichen Beteuerungen, sein Leben zu ändern, ist er mit diesem Vorhaben bislang jedes Mal gescheitert.

Grund sind seine psychischen Probleme. "Ich höre Stimmen in meinem Kopf. Es gibt Mike, den netten Kerl und es gibt dieses Monster, das keinen Menschen ausstehen kann. Wenn ich aufstehe, weiß ich nicht, ob ich Mike bin - oder das Monster."

Tyson wird nicht mehr in den Ring steigen, auch Sam nicht. Was aber Hatton und Pavlik betrifft, scheint es nicht ausgeschlossen. Die Frage, die Fans und Experten gleichermaßen interessieren dürfte: Wie gut könnten die beiden wirklich sein? Hundertprozentig fit? Ohne Alkohol, ohne Drogen? Immerhin: Eine minimale Chance besteht, dass wir es noch erfahren.

Die Weltranglisten der vier wichtigsten Verbände

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