"Wenn der Gong kommt, bin ich knallhart"

Von Interview: Carolin Blüchel
Thomas Ulrich kämpft am Samstag um seine letzte WM-Chance
© Getty

Thomas Ulrich galt lange als das größte Box-Talent, das Deutschland zu bieten hatte. Doch der heute 33-Jährige konnte im Ring nur selten sein wahres Können abrufen. Zahlreiche Kampfabsagen in letzter Minute und seine schüchterne Art brachten dem Berliner den Ruf als Weichei ein.

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Bei seinem letzten Kampf vor einem Jahr gegen Juri Baraschian verlor Ulrich zwar seinen EM-Titel, imponierte jedoch mit ungeahnten Nehmerqualitäten. Vielleicht war es die Art und Weise der Niederlage, dass Deutschlands schönster Boxer nun eine weitere und vielleicht letzte Chance erhält, der Welt sein wahres Potenzial zu zeigen.

Am Samstag trifft Ulrich im Rahmen der Universum Fight Night in Dresden auf den Argentinier Mariano Plotinsky. Bei SPOX spricht Ulrich über seine letzte Chance, seinen Ruf als Sensibelchen und das ein oder andere Gramm Fett an seinem Körper.

SPOX: Herr Ulrich, Sie haben in der Vergangenheit öfters einmal einen Kampf kurzfristig platzen lassen. Findet der Kampf am Samstag wirklich statt?

Thomas Ulrich: Ich wüsste nicht, was dazwischen kommen sollte. Ich ziehe mich schön warm an, immer mit Mütze und Schal, dann passt das schon. (lacht)

SPOX: Warum sind Sie denn vor Kämpfen so anfällig?

Ulrich: Ich muss vor einem Kampf immer sehr viele Kilos Gewicht machen, um die 79,3 kg - also das Limit im Halbschwergewicht - zu bringen. Darunter leidet natürlich das Immunsystem. Der kleinste Windstoß  - und man fängt sich eine Erkältung ein.

SPOX: Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, ins Cruisergewicht aufzusteigen? Dann wäre doch das Problem gelöst, oder?

Ulrich: Ich hatte wirklich darüber nachgedacht. Vor ein paar Wochen hab ich mich dann aber wieder umentschieden. Der Sprung zwischen Halbschwergewicht und Cruisergewicht ist leider sehr groß. Da liegen über 10 kg dazwischen. Das war mir am Ende dann doch zu viel.

SPOX: Aber zunehmen ist doch immer leichter als abnehmen.

Ulrich: Ich krieg die geforderten 90 kg ja auch ohne Probleme drauf. Aber dann muss ich ehrlich sagen, der Bauchbereich - hmmm (lacht). Da steh ich vor dem Spiegel, und das bin nicht so wirklich ich. Da ist dann zuviel Fett.

SPOX: Das kann ich ja fast nicht glauben.....

Ulrich: (lacht) Oh doch, das hätten Sie mal sehen sollen.

SPOX: Wäre es denn im Cruisergewicht möglicherweise leichter gewesen, einen Weltmeistertitel zu erringen bzw. einen WM-Kampf zu bekommen?

Ulrich: Nein, Kindergeburtstag ist das da oben auch nicht. Das ist wohl in beiden Gewichtsklassen gleich schwer.

SPOX: Mit 33 Jahren sind Sie eigentlich im besten Boxeralter. Ist es Ihnen dennoch aufgrund der Vergangenheit bewusst, dass der Kampf am Samstag Ihre letzte Chance sein könnte, noch einmal um eine WM zu boxen?

Ulrich: Wenn ich verlieren würde, würde es wahrscheinlich wirklich sehr schlecht aussehen. Dann würde wohl auch mein Promoter, Herr Kohl, sagen, es ist vorbei. Wobei: In mir brennt noch soviel Sportflamme. Ich könnte mir ein Leben ohne Boxen noch gar nicht vorstellen.

SPOX: Dementsprechend lastet doch ein enormer psychischer Druck auf Ihnen.

Ulrich: Das versuche ich, von mir fernzuhalten. Sonst würde ich mich nur verrückt machen.

SPOX: Bei Ihrem letzten Kampf gegen Juri Baraschian vor einem Jahr war vor allem ihr Deckungsverhalten nicht optimal. Sie haben viel zu viel Schläge kassiert. Wie wollen Sie verhindern, dass das noch einmal passiert?

Ulrich: Ja, das ist wirklich ein großer Fehler von mir. Immer wenn ich selbst Treffer kassiere, dann möchte ich mich am liebsten gleich revanchieren und versuche mit der Brechstange dann alles gut zu machen, anstelle kühlen Kopf zu bewahren. Mein Trainer Ralf Rocchigiani und ich haben im Sparring gerade darauf sehr großen Wert gelegt.

SPOX: Was macht Rocchigiani denn anders als Ihre früheren Trainer Fritz Sdunek, Michael Timm oder Thorsten Schmitz? Sie haben ja einen ziemlichen Verschleiß.

Ulrich: Wir passen einfach menschlich sehr gut zusammen. Eigentlich bin ich ja jemand, der seinen eigenen Willen durchsetzen will, mit dem Kopf durch die Wand. Aber Ralf findet immer die richtigen Worte und schafft es irgendwie immer wieder, mich zu überzeugen, es auf seine Art und Weise zu probieren.

SPOX: Sie gelten als Trainingsweltmeister. Im Sparring schlagen Sie alles kurz und klein, aber Sie haben es irgendwie nie geschafft, ihre hundertprozentige Leistung auch im Ring abzurufen. Haben Sie schon mal an einen Mentaltrainer gedacht?

Ulrich: Ich hab schon einen Doc, mit dem ich ein paar Gespräche führe, aber ich bin nicht so der Typ, der jeden an sich ran lässt.

SPOX: Sie haben auch den Ruf, ein Sensibelchen zu sein. Dabei haben Sie bei Ihrem letzten Kampf Nehmerqualitäten bewiesen. Immerhin haben Sie vier Leberhaken kassiert.....

Ulrich: Dazu muss ich zunächst sagen: Das waren eigentlich gar keine Leberhaken. Ich hatte eine geprellte Rippe. Ich hatte damals schon in der Sparringsphase vor dem Kampf gar nicht mehr vernünftig arbeiten können. Als Baraschian die Stelle dann einmal getroffen hatte, merkte er was los war und ist natürlich immer wieder drauf gegangen.

SPOX: Wenn Sie verletzt waren, warum sind Sie denn dann überhaupt in den Ring gestiegen?

Ulrich: Na eben weil ich ja schon so viele Absagen hatte. Wahrscheinlich wäre es tatsächlich vernünftiger gewesen. Aber ich hab mich einfach nicht mehr getraut, muss ich zugeben. Ich wollte es unbedingt versuchen, und es ist in die Hose gegangen. Das wird mir nicht mehr passieren. Man muss schon 100 Prozent fit sein.

SPOX: Verständlich. Aber ich muss trotzdem noch mal auf die Sache mit dem Sensibelchen zurückkommen.

Woher kommt es, dass Sie von der Öffentlichkeit so eingeschätzt werden?

Ulrich: Vielleicht auch durch die vielen Absagen. Es gab eine Zeit, da konnte ich es nicht mehr hören. Mittlerweile stört es mich aber überhaupt nicht mehr. Ich kümmere mich nicht mehr drum. Wenn ich im Privatleben etwas sensibel bin, ok. Aber das ist doch egal. Wenn der Gong kommt, bin ich aber knallhart. Und das werde ich auch beweisen.

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