"Was hat der Zwerg auf dem Court verloren?"

Von Interview: Haruka Gruber
Ein Zwerg unter Riesen: David Holston wird von seinen Mitspielern bejubelt
© Imago

Ein Phänomen namens David Holston: Der 26-Jährige ist mit großzügig gemessenen 1,70 Metern der kleinste und zugleich einer der spektakulärsten Spieler der BBL. Für den ewig Abgewiesenen geht es um eine neue NBA-Chance. Zunächst fordert er aber mit Artland zum Playoff-Auftakt den FC Bayern (BBL-Playoff-Start, Do., 20 Uhr im LIVESCORE) heraus. Der Point Guard der Dragons über Vorurteile, harte Ellenbogen und einen denkwürdigen Draft-Jahrgang.

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SPOX: Sie selbst bezeichnen sich als entspannt und freundlich. Aber wie gehen Sie damit um, dass Sie in jedem Interview über Ihre Größe befragt werden?

David Holston: Entspannt und freundlich. (lacht) Ich bin jemand, der sich von nichts nerven lässt, erst recht nicht von Fragen nach meiner Größe. Ich höre die Fragen zwar hoch und runter, trotzdem ist das total okay. Ehrlich gesagt bin ich dankbar für jedes Interview, das ich geben darf. Es macht mich glücklich, wenn sich Menschen für mein Leben interessieren.

SPOX: Earl Boykins, als kleinster NBA-Profi zu Prominenz gekommen, beklagt hingegen, dass er sich manchmal wie eine Zirkusattraktion vorkommt und Witze über seine 1,65 Meter nicht mehr hören kann. Er sagt: "Ich möchte einfach nur als normaler Basketballer wahrgenommen werden."

Holston: Ich habe damit keine Probleme. Einige Zuschauer oder Gegenspieler sehen mich an und ich weiß genau, was sie denken: "Was hat der Zwerg auf dem Court verloren?" Allerdings nehme ich das nicht als Beleidigung auf. Ich spiele einfach und genieße den Moment.

SPOX: Ihre Größenangaben schwanken zwischen 1,70 und 1,73 Meter. In Wahrheit sind Sie deutlich kleiner, oder?

Holston: Ich bleibe bei der offiziellen Angabe von 1,70 Meter. (lacht)

SPOX: In der Vergangenheit und Gegenwart gab es einige Spieler, die sich trotz überschaubarer Größe in der NBA etablierten: Spud Webb, Muggsy Bogues, Boykins, Nate Robinson, J.J. Barea. Haben Sie ein Vorbild?

Holston: Ich finde sie alle klasse. Letztes Jahr in den NBA-Finals feuerte ich alleine schon wegen Barea die Mavericks an. Imponierend, wie er die Pick'N'Rolls lief und mit seinen 1,80 Metern am Brett zum Abschluss kam. Die Kleinen machen einfach am meisten Spaß! Mein Vorbild ist jedoch jemand anders: Lindsey Hunter. Er misst zwar 1,88 Meter, dennoch gehörte er immer zu den Kleinen und wurde trotzdem zweimal NBA-Champion und hielt sich 17 Jahre in der besten Liga der Welt. Ich bin in der Nähe von Detroit aufgewachsen und als er bei den Pistons unter Vertrag stand, lernten wir uns kennen. Seitdem gibt er mir viele Tipps, wie man in einer Sportart, wo jeder 2,10-Meter-Riese einen Vertrag bekommt, einen Platz findet.

SPOX: Wie fühlt es sich an, als 1,70 Meter kleiner Guard zum Korb zu ziehen und mit einem Center-Vieh wie Chris Ensminger oder John Bryant zu kollidieren?

Holston: Es ist eine Frage der Einstellung: Wenn man sagt, dass es nicht wehtut, tut es nicht weh. Ich gehe rein, ignoriere die harten Ellenbogen und schließe ab - that's it!

SPOX: Vor allem Nate Robinson ist bekannt für das ausgeprägte Ego. Muss man als kleiner Basketballer eine bestimmte Attitüde mitbringen?

Holston: Man braucht auf jeden Fall ein riesiges Selbstvertrauen, das die fehlende Größe kompensiert. Ich persönlich traue mir zu, dass ich alles schaffen kann. Das ist keine Phrase: Ich glaube wirklich daran.

SPOX: In der BBL spielt mit Oldenburgs Bobby Brown ein Point Guard, der es auf immerhin 113 NBA-Einsätze brachte. Sie sind mindestens gleich gut - und bekamen nie eine Chance. Sind Sie verbittert?

Holston: Ganz im Gegenteil: Ich verdiene mein Geld mit Basketball! Mit meinem Hobby! Ist das nicht traumhaft? Statt ständig an die NBA zu denken, bevorzuge ich eine andere Herangehensweise: Ich sehe mein Leben als Geschenk an. Ich bin gesegnet.

SPOX: Dennoch die Nachfrage: Direkt nach dem College-Abschluss 2009 wurden Sie von den Chicago Bulls zu einem Trainings-Camp eingeladen, um sich mit den heutigen NBA-Profis Eric Maynor und Jeff Teague zu messen. Fühlten Sie sich ihnen ebenbürtig?

Holston: Es war eine großartige Erfahrung, auch weil ich im Nachhinein sehe, wie sich Eric und Jeff in der NBA behaupteten - und ich damals nicht schlechter war als die beiden. Ich konnte sie genauso gut verteidigen wie sie mich und ich fand Wege, um gegen sie zu scoren. Das war ein Statement von mir. Ich glaube schon, dass ich spätestens seit dem Camp einen Namen in Fachkreisen habe und die Scouts mitbekommen, was ich in Artland leiste.

SPOX: Sie wurden beim Draft 2009 nicht nur von Chicago abgewiesen, sondern von allen 30 NBA-Teams. Waren Sie Opfer der Umstände? Der damalige Point-Guard-Jahrgang gilt als der am besten und tiefsten besetzte aller Zeiten. Rechnet man die Combo Guards hinzu, waren 14 der ersten 30 Picks Point Guards.

Holston: Es stimmt, der Draft-Jahrgang war der Hammer. So etwas gab es wohl nie. Alleine schon Ricky Rubio und Stephen Curry sind heftig, dazu kamen noch Jungs wie Tyreke Evans, James Harden, Ty Lawson und Jrue Holiday. Ich sehe es jedoch wie immer positiv: Wer weiß, wie sich meine Karriere entwickelt hätte, wenn ich irgendwo in der zweiten Runde gezogen worden, aber dann in der D-League gelandet wäre? Womöglich hätte ich nie den Weg nach Artland gefunden.

SPOX: So hart es klingt: Sie sind Abweisung gewohnt. Selbst die Colleges zeigten wenig Interesse, als Sie noch in der High School waren. Stimmt das?

Holston: Es wollte mich tatsächlich keiner. Es gab zwar Angebote von ein paar Teams aus der Division II, von den besseren Division-I-Colleges bekam ich hingegen nur unpersönlich geschriebene Anfragen, bei denen klar wurde, dass sie nicht wirklich interessiert waren. Daher blieb aus der Division I nur Chicago State übrig, wobei ich dort die Gebühren für das erste Jahr selbst bezahlen musste.

SPOX: Im letzten College-Jahr spielten Sie groß auf, waren hinter Stephen Curry mit 25,9 Punkten der zweitbeste Scorer der gesamten NCAA und führten Chicago State zur ersten Winning Season der Geschichte. Daraufhin wechselten Sie in die Türkei, wo Sie mit Karsiyaka das Viertelfinale der EuroChallenge erreichten. Und Artland führten Sie auf Platz vier der BBL. Nach den beeindruckenden Leistungen können Sie sich Ihren nächsten Verein aussuchen.

Holston: Ich habe keine Ahnung, wie es nach der Saison weitergeht. Erst im Sommer, wenn ich mit meinem Agenten rede, werde ich mich entscheiden. Ich weiß, dass ich ein Kämpfer bin und dass ich mich überall durchsetzen werde, egal ob es mir nur wenige zutrauen. Andererseits fühle ich mich bei den Dragons sehr wohl. In Deutschland gefällt es mir sehr viel besser als in der Türkei. Alles ist offen.

SPOX: Sprechen Sie oft mit Alba-Star DaShaun Wood über die Perspektiven?

Holston: Klar! Wir kommen beide aus Michigan und sind seit Jahren eng befreundet. DaShaun riet mir dazu, nach Deutschland zu kommen, weil die Liga sehr professionell ist und die Gehälter pünktlich bezahlt werden. Wenn wir telefonieren, geht es manchmal um die Zukunft. Dass es großartig wäre, gemeinsam in die NBA zu wechseln. Dass es aber auch extrem selten vorkommt, dass gleich zwei kleine Point Guards einen Vertrag erhalten.

SPOX: Ein gutes Abschneiden mit Artland würde helfen.

Holston: Ich glaube, dass wir im Schatten der Großen etwas Großartiges schaffen können. Bamberg, Alba und Ulm spielen klasse, allerdings sollte man uns nicht unterschätzen. Die individuelle Qualität stimmt, außerdem sind wir vielseitig. Wir können im Halfcourt spielen, wir können Up-and-Down spielen, wir können auf die unterschiedlichsten Arten scoren. Was uns noch fehlt, ist die Konstanz in der Defense. Wenn sie stimmt - wer weiß, was wir alles erreichen können?

SPOX: Wird die BBL in den USA überhaupt registriert?

Holston: Auf jeden Fall ist die BBL gut genug, um die NBA-Scouts zu überzeugen.

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