Handball: Neue Zeitrechnung beim THW Kiel! Auf den Spuren der SG Flensburg-Handewitt

Filip Jicha geht in seine erste Saison als Chefcoach des THW Kiel.
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Am Mittwoch steigt in Düsseldorf der Supercup-Knaller zwischen Pokalsieger THW Kiel und Meister SG Flensburg-Handewitt (19.30 Uhr im LIVETICKER). Beim THW beginnt damit endgültig eine neue Zeitrechnung - ohne Alfred Gislason, mit Filip Jicha. Klaus Elwardt, der ehemalige Geschäftsführer der "Zebras", und Kreisläufer Patrick Wiencek geben im Gespräch mit SPOX ihre Einschätzung ab.

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Rammstein-Konzert, Island-Trip, Urlaub mit den Kindern und Enkelkindern sowie jede Menge Arbeit im riesigen, heimischen Garten: Während Alfred Gislason seine Freizeit in vollen Zügen genießt, wird an der Kieler Förde erstmals nach elf Jahren ohne die Trainer-Legende geschuftet.

Nach sechs Meisterschaften, sechs DHB-Pokalsiegen, einem EHF-Cup-Sieg und zwei Champions-League-Triumphen hat der 59-Jährige mit einem emotionalen Abschiedsspiel Ende Juli endgültig seinen Thron in der Sparkassen-Arena geräumt.

Das Zepter wurde an Filip Jicha übergeben, einen früheren tschechischen Weltklasse-Spieler, der von 2007 bis 2015 selbst das THW-Trikot trug und in der vergangenen Saison als Co-Trainer von Gislason fungierte.

Der 37-Jährige tritt in große Fußstapfen, die Erwartungshaltung ist riesig. Ganz Kiel lechzt nach der ersten Meisterschaft seit 2015. Und auch in der Champions League, für die der THW in der vergangenen Saison nicht einmal qualifiziert war, soll endlich wieder der Beweis erbracht werden, dass der Rekordmeister mit den Schwergewichten der Szene auf Augenhöhe ist.

Elwardt: "Natürlich ist das ein gewisses Risiko"

"Ich habe bei Filip Jicha keine großen Bedenken", sagt Klaus Elwardt, von 2009 bis 2014 beim THW in verantwortlicher Position, im Gespräch mit SPOX: "Natürlich ist das ein gewisses Risiko, aber ich würde dieses Risiko mittragen."

Elwardt, der aktuell ein Amt als Präsidiums-Mitglied der Handball-Bundesliga bekleidet, verweist als positives Beispiel ausgerechnet auf den größten Rivalen der Kieler. "Wenn ich 90 Kilometer weiter nördlich nach Flensburg schaue, sehe ich einen Synergie-Effekt, der mir auch für uns gefallen würde", so der 64-Jährige.

Was Elwardt meint: Bei der SG wurde 2017 nach einer siebenjährigen Ära Coach Ljubomir Vranjes durch dessen Co-Trainer Maik Machulla ersetzt. Das Resultat: Flensburg wurde 2018 und 2019 Meister. "Wenn Filip einen ähnlichen Erfolg hätte, wäre das natürlich super", sagt Elwardt.

In der Mannschaft hat Jicha ein hervorragendes Standing. "Ich habe noch mit ihm zusammengespielt und weiß, was für einen Charakter er hat. Bisher macht er einen überragenden Job. Man kann noch eine Menge von ihm lernen. Wenn die jungen Spieler das von ihm annehmen, werden wir definitiv erfolgreich sein", erklärt Kreisläufer Patrick Wiencek gegenüber SPOX.

Filip Jicha (r.) löst Alfred Gislason als Kiel-Trainer ab.
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Filip Jicha (r.) löst Alfred Gislason als Kiel-Trainer ab.

Jicha tippt auf Flensburg als Meister

Flensburg und Kiel sind die klaren Favoriten auf die Meisterschaft. Dahinter werden den Rhein-Neckar Löwen lediglich Außenseiterchancen eingeräumt. Wiencek nennt Berlin, Melsungen und Magdeburg noch als Kandidaten, die "vielleicht noch dazu kommen könnten". Und Jicha selbst? Der stapelt tief.

"Wir sollten die Kirche im Dorf lassen", sagte er: "Ich sehe den Hunger in meiner Mannschaft, aber sie muss erst einmal lernen, wie man Meister wird. Aus Respekt tippe ich auf Flensburg."

Viktor Szilagyi, mittlerweile gemeinsam mit Sabine Holdorf-Schust Geschäftsführer der "Zebras", äußerte sich mutiger: "Wir wollen uns in der Champions League etablieren - und das heißt, dass wir in der Bundesliga an der Spitze stehen müssen."

Jicha quält die Spieler wie früher Gislason

Für die THW-Spieler ist die Veränderung auf der Trainerposition derweil spürbar: "Die ersten Tage Vorbereitung ohne Alfred waren schon komisch", sagte Rune Dahmke den Kieler Nachrichten.

Mit seinem neuen Coach Jicha spielte der Linksaußen drei Jahre beim THW zusammen, nun gibt der Tscheche die Kommandos. "Das ist irgendwie witzig", meinte Dahmke: "Bis jetzt macht Filip das gut. Er ist noch der gleiche Mensch wie damals, hat jetzt aber eine andere Distanz zur Mannschaft. Und so muss das auch sein."

Wiencek merkte mit einem Augenzwinkern an: "Filip hat es auf jeden Fall schon drauf, Leute zu quälen". Es ist eine Parallele zu Vorgänger Gislason, der für seine knallharten Vorbereitungen berüchtigt war.

Er habe vieles gemacht, was Gislason auch gemacht hätte, räumte Jicha ein. Allerdings will der frühere Rückraumspieler seinen Lehrmeister keinesfalls kopieren. Er wolle seinen eigenen Weg gehen, betonte der Mann aus Pilsen immer wieder.

Jicha setzt beim THW auf Teambuilding

"Filip hat bei seinen anderen Stationen in Katar, Lemgo oder auch zuletzt in Barcelona mehrere Trainer erlebt", erklärt Elwardt. Der Jicha-Weg werde also eine Mischung aus mehreren Handball-Philosophien sein.

Dieser Weg führt vor allem über Teambuilding. Das wurde bereits in der Vorbereitung klar, für die erstmals das während der vergangenen Saison in Betrieb genommene Trainingszentrum in Altenholz zur Verfügung stand.

Jicha, dem als Assistent der frühere THW-Profi Christian Sprenger zur Seite steht, ließ die Truppe nicht nur regelmäßig gemeinsam Mahlzeiten einnehmen, sondern sorgte auch dafür, dass der obligatorische Laktattest zum Auftakt erstmals nicht einzeln auf dem Laufband, sondern als Mannschaft auf der Tartanbahn stattfand.

"Ich möchte so viel wie möglich mit der ganzen Mannschaft machen", sagte Jicha: "Das macht viel aus."

THW Kiel verpflichtet Pavel Horak und Dario Quenstedt

Zu dieser Mannschaft zählen seit diesem Sommer auch zwei Neuzugänge. Jichas ehemaliger Nationalmannschaftskollege Pavel Horak (36) kam vom weißrussischen Klub Meschkow Brest und ist vor allem eine Alternative in der Abwehr.

Torhüter Dario Quenstedt wurde als Ersatz für den zu Vive Kielce (Polen) abgewanderten Andreas Wolff vom SC Magdeburg an die Förde gelotst. Er soll mit Niklas Landin das womöglich beste Gespann der HBL bilden.

Mehr hat der THW in Sachen Neuverpflichtungen nicht gemacht. Warum auch? Der Stamm ist geblieben, zur Saison 2020/2021 ist außerdem bereits der Transfer des norwegischen Superstars Sander Sagosen (Paris Saint-Germain) unter Dach und Fach.

THW Kiel schlägt Paris Saint-Germain

Die Nach-Gislason-Zeitrechnung ist beim THW also eingeläutet - und das mit ersten kleineren Erfolgen.

In der Vorbereitung gelangen ein 34:30-Sieg gegen PSG und ein 33:29-Erfolg gegen den FC Barcelona, im Pokal wurden Drittligist Eintracht Baunatal (43:23) und Zweitligist TV Emsdetten (39:23) aus dem Weg geräumt.

Bevor am Sonntag das erste HBL-Spiel gegen Frisch Auf Göppingen steigt, wartet nun mit dem Supercup gegen Flensburg ein echter Härtetest.

Das weiß auch Wiencek: "Das ist der erste Titel der Saison, den man holen kann und zudem noch ein Nord-Derby. Von daher freuen wir uns darauf und wollen das Spiel natürlich gewinnen."

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