Protest abgewiesen - Deutschland gewinnt

Von Florian Regelmann / Sebastian Schramm
Das DHB-Team gewann einen Krimi gegen Mazedonien
© Getty

Die deutsche Handball-Nationalmannschaft hat bei der EM in Serbien eine totale Katastrophe vorerst abgewendet. Das DHB-Team besiegte im zweiten Vorrundenspiel in Nis Mazedonien mit 24:23 (12:12) und wahrt damit die Chancen auf die Hauptrunde. Nach dem Spiel legten die Mazedonier wegen eines angeblich nicht anerkannten Tores Protest ein. Der Europäische Handball-Verband (EHF) lehnte diesen am Mittwoch ab.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

In einer Pressemitteilung der EHF-Kommission verwies man auf die Regeln des Internationalen Handball-Verbandes (IHF). Die Schiedsrichter handelten nach der Tatsachenentscheidung, somit sei der Protest hinfällig.

Lars Kaufmann war mit 6 Toren bester Werfer im Team von Bundestrainer Martin Heuberger, bei den Mazedoniern traf Lazarov (7) am besten.

Die frenetischen Fans aus Mazedonien verwandelten die Halle in Nis wie erwartet in einen Hexenkessel, immer wieder flogen Feuerzeuge aufs Feld. Das deutsche Team behielt in der dramatischen Schlussphase aber die Nerven und feierte den Sieg nach der Sirene fast schon wie einen EM-Titel.

Markus Baur beim DHB im Gespräch

Bei einer Niederlage hätte dem DHB-Team das Vorrunden-Aus und damit auch das Ende aller Olympia-Träume gedroht. Nun gibt es wieder Hoffnung. Am Donnerstag (18 Uhr im LIVE-TICKER) trifft Deutschland im letzten Vorrundenspiel auf Schweden, das sich am Dienstag mit 33:29 gegen Tschechien durchsetzte und damit schon sicher in der Hauptrunde steht.

Die Reaktionen:

Martin Heuberger (Bundestrainer): "Ich kann der Mannschaft nur ein Kompliment machen. Die Situation war alles andere als einfach. Wir haben gekämpft und gezeigt, dass wir eine Mannschaft sind. Darauf können wir wirklich stolz sein. Jetzt müssen wir uns auf Schweden konzentrieren."

... über die Schlüssel zum Sieg: "Gegenüber dem Tschechen-Spiel war in Abwehr und Angriff eine klare Steigerung zu erkennen. Der entscheidende Unterschied war, dass wir diesmal in vielen Angriffssituationen die Ruhe bewahrt haben, und es uns gelungen ist, die Big Points zu setzen. Dass Hens nicht gespielt hat, ist vor allen Dingen der Aufstellung in der Abwehr geschuldet."

Lars Kaufmann (DHB-Rückraumspieler): "Wir haben gehofft, endlich ein Ausrufezeichen setzen zu können. Das war ein extrem hartes Spiel. Die Halle war voll gegen uns - daher ist der Sieg noch wertvoller."

Dominik Klein (DHB-Linksaußen): "Es war eine tolle Mannschaftsleistung, die uns diesen Sieg gebracht hat. Ich bin stolz auf dieses Team."

Kiril Lazarov (Mazedonien-Kapitän): "Wir hatten gute Möglichkeiten zu gewinnen, aber die Schiedsrichter waren nicht gut. Nun müssen wir gegen Tschechien gewinnen, um in die nächste Runde einzuziehen. Das können wir schaffen."

Der SPOX-Spielfilm

Vor dem Spiel: Heuberger reagiert nach dem Tschechien-Spiel: Im Tor beginnt Lichtlein statt Heinevetter. Außerdem erhält Kaufmann den Vorzug vor Hens, weil Heuberger die Abwehr stabilisieren will, und bildet mit Haaß und Glandorf den Rückraum. Klein (wieder nicht Gensheimer) und Groetzki starten auf den Außenpositionen, am Kreis fängt erneut Theuerkauf an.

4.: Totenstille in der Halle. Groetzki nutzt einen Tempogegenstoß und vollstreckt eiskalt. Perfekter Start für das deutsche Team. 3:0.

16.: Mazedonien geht durch Kreisläufer Stoilov erstmals in Führung. Doch Haaß hat die richtige Antwort. Mit viel Drive geht er in die Lücke und haut das Ding ins lange Eck. 7:7.

18.: Deutschland in doppelter Überzahl, aber selbst bei 6:4 trifft das DHB-Team nicht. Klein wird über Außen frei gespielt, sein Heber geht neben das Tor.

26.: Theuerkauf fängt den Katastrophen-Abwurf von Ristovski ab und trifft ins leere Tor. Die DHB-Auswahl wieder zwei Tore vorne. 11:9.

38.: Wieder Siebenmeter für Mazedonien. Heinevetter kommt in die Partie. Lazarov macht's ansatzlos und unfassbar lässig. Ausgleich. 15:15.

50.: Roggisch mit den Händen voraus - mitten ins Gesicht seines Gegenspielers. Zwei Minuten. Zum dritten Mal. Rot.

54.: Lazarov tritt zum Siebenmeter an, aber Heinevetter hat das Ding! Danach holt er noch einen aus dem Winkel. Bärenstark.

59.: Da ist er endlich mal, der Uwe Gensheimer und setzt sich von Außen in Szene! Drin! 24:23 Deutschland!

60.: Noch ein letztes Mal Mazedonien, noch ein letztes Mal Lazarov. Doch er feuert den Ball an die Latte! Das war's!

Mazedonien - Deutschland: Das komplette Spiel im Re-Live

Der Star des Spiels: Silvio Heinevetter. Er nahm seine Verbannung auf die Bank ohne Murren hin und wurde in der Crunchtime, als er für den starken Lichtlein auf die Platte kam, zum entscheidenden Mann. Hielt einen Siebenmeter gegen Lazarov. Hielt einen ganz entscheidenden Tempogegenstoß in seiner typischen, akrobatischen Art. Nur durch seine Paraden wurde der deutsche Sieg überhaupt möglich. Auch bezeichnend: Uwe Gensheimer, der wie Heinevetter zunächst draußen saß, warf den Siegtreffer zum 24:23. Insgesamt ohne Frage ein Sieg der gesamten Mannschaft. Aber Lichtlein und am Ende eben vor allem Heinevetter waren die Schlüsselfiguren.

Der Flop des Spiels: Kiril Lazarov. Der Superstar der Mazedonier zeigte in vielen Aktionen seine Klasse, ob er nun selbst in den Abschluss ging oder seine Mitspieler mit genialen Pässen in Szene setzte. Aber: In der zweiten Halbzeit traf Lazarov so gut wie nichts mehr. Auch in der Schlussminute konnte er das Remis nicht mehr retten. Lazarovs Quote war schon gegen Schweden schwach (7/19) und gegen Deutschland war sie am Ende kaum besser (7/17). Kreisläufer Stojanche Stoilov (6 Tore) war überragend, es hätte aber Lazarov sein müssen, der sein Team zum Sieg trägt. Dazu war er dieses Mal nicht in der Lage.

Analyse: Die DHB-Auswahl zeigte die erhoffte Trotzreaktion und ging von Beginn an mit viel mehr Intensität zu Werke als noch gegen Tschechien. Entschlossener, mit einer ganz anderen Körpersprache und mit viel mehr Dampf im Abschluss, dazu deutlich wacher in der Abwehr. Lohn war eine frühe 3.0-Führung, die aber nicht lange halten sollte.

Es entwickelte sich schon ganz früh ein brutales Kampfspiel. Mit viel Licht und viel Schatten auf beiden Seiten. Deutschland lebte von einigen Krachern von Kaufmann, der aber auch wieder seine schlechte Seite offenbarte.

Selbst bei zweifacher Überzahl ballerte der Rückraumshooter viel zu früh und ohne jede Vorbereitung blind in die Deckung. Aber: Er war eben auch extrem wichtig mit seinen guten Aktionen. Vor allem deshalb, weil der Positionsangriff des DHB-Teams wie gewohnt große Defizite hatte. Ein Spiel über den Kreis oder die Außen fand so gut wie gar nicht statt.

Dazu vermisste man erneut die einfachen Tore über Tempogegenstöße, die für die Entlastung des Angriffs so ungemein wichtig sind. In der Abwehr verstand es die deutsche Deckung vor allem nicht, die Kreise von Kreisläufer Stoilov, der seinen Körper immer wieder geschickt einsetzte, zu stören.

In der zweiten Halbzeit schien das Momentum nach einem 3.0-Lauf von Lazarov und Co. endgültig auf die Seiten der Mazedonier zu kippen (17:15). Die deutsche Mannschaft hätte jetzt wegbrechen können, ließ es aber nicht zu und fightete sich auf eindrucksvolle Art und Weise zurück.

Nicht etwa mit herrlich herausgespielten Toren, sondern mit purem Willen. Die DHB-Auswahl verkraftete in den letzten zehn Minuten sogar den Ausfall von Abwehrchef Roggisch, der nach seiner dritten Zeitstrafe mit Rot vom Feld geflogen war.

Selbst ein hanebüchener Turnover wurde dank einer Weltklasse-Parade von Heinevetter kompensiert. Abgesehen von Kapitän Pascal Hens, der von Heuberger aus taktischen Gründen die kompletten 60 Minuten auf der Bank gelassen wurde, trug jeder seinen Teil zum Sieg bei. So wurde dann auch der junge Patrick Wiencek mal ins kalte Wasser geschmissen - und Wiencek warf sofort zwei ganz wichtige Tore. Dem Team gebührt ein Lob, weil es den Charaktertest überragend bestanden hat und in einer ganz schwierigen Situation mit dem Rücken zur Wand stehend diesen Sieg einfach unbedingt wollte und die Herausforderung wahnsinnig emotional angenommen hat.

Es gibt allerdings auch keinen Grund, plötzlich alles wieder komplett schönzureden. Der Mannschaft fehlt weiterhin in gewisser Hinsicht die Qualität - und bei einer Niederlage im letzten Gruppenspiel gegen Schweden kann die EM nach wie vor zum ersten Mal in der Geschichte für ein deutsches Team nach der Vorrunde zu Ende sein. Das darf man bei aller Freude über den Sieg nicht vergessen. Für die ganz großen Optimisten sei aber auch gesagt: Deutschland könnte bei einem Sieg gegen Schweden im besten Fall noch mit 4:0-Punkten in die Hauptrunde einziehen...

Handball-EM: Alle Ergebnisse

Artikel und Videos zum Thema