Bitter: "Es war laut, es war hell, es war geil"

Von Florian Regelmann
THW-Kreisläufer Marcus Ahlm spielte überragend, aber am Ende gewann der HSV
© Getty

Der THW Kiel führte zur Pause vor 13.171 Zuschauern in der ausverkauften O2-World in Hamburg klar, aber dann kämpfte sich der HSV zurück und entschied ein irres Spiel in einer dramatischen Schlussphase mit 26:25 (12:16) für sich. Marcin Lijewski warf kurz vor Schluss den Game-Winner. Filip Jicha und Momir Ilic erzielten je sieben Tore für den THW, beim HSV ragten Lijewski und Blazenko Lackovic (beide 6) heraus. In der Tabelle führt Hamburg (22:2) jetzt vor Kiel (20:4).

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Reaktionen:

Martin Schwalb (Trainer HSV Hamburg): "In der ersten Halbzeit hatte man das Gefühl, dass wir vielleicht in den acht Minuten vor der Pause entscheidend in Rückstand gegangen sind. Dementsprechend war die Stimmung in der Kabine. Aber wir haben uns geschworen, das Herz in beide Hände zu nehmen, und alles zu geben, was geht. Das hat das Team dann auch gemacht. Und im Spiel haben wir dann auch gemerkt, dass wir eine Chance haben zu gewinnen. Aber das ist nur eine Etappe, nach der wir froh sind, dass wir sie bestanden haben. Nächste Woche wartet mit den Rhein-Neckar Löwen aber auch schon das nächste Top-Spiel."

Alfred Gislason (Trainer THW Kiel): "Ich denke es war ein interessantes Spiel. Trotz der Niederlage bin ich stolz auf meine Mannschaft. Wir haben sehr gut gespielt. Aber heute standen sich zwei Teams der Weltklasse gegenüber, das Spiel war auf einem hochklassigen Niveau. Und am Ende war der Sieg des HSV, denke ich, verdient."

Johannes Bitter (HSV Hamburg) über...

... das Spiel: "Es war geil zu sehen, wie die Mannschaft an sich geglaubt hat und nicht aufgesteckt hat. Obwohl wir zur Pause vor einer schwierigen Situation standen, haben wir in der zweiten Halbzeit einfach top aufgespielt. Wir haben die Siegermentalität zum richtigen Zeitpunkt an den Tag gelegt und zwei richtig schöne Punkte gewonnen."

... die Stimmung: "Im Spiel, wenn man so im Flow ist, bekommt man das ja nicht so voll mit, aber es war laut, es war hell, es war geil. Das saugt man dann einfach auf."

Michael Kraus (HSV Hamburg): "Wir waren sehr angespannt und haben in der ersten Hälfte mehrere klare Chancen liegen lassen. In der Pause haben wir uns dann gesagt, dass wir alles in die Waagschale werfen wollen. Aber auch, dass es schließlich nur um zwei Punkte geht. Jetzt sind wir froh, dass es am Ende gepasst hat."

Der SPOX-Spielfilm:

Vor dem Spiel: Ein Blick auf die Lineups beider Teams. HSV: Bitter, Jansen, Lackovic, Kraus, M. Lijewski, Lindberg, Vori. THW: Omeyer, Klein, Ilic, Jicha, Fernandez, Sprenger, Ahlm. Der THW ohne die langzeitverletzten Kim Andersson und Daniel Narcisse, auch Christian Zeitz (Außenbandriss im linken Knöchel) wird nicht rechtzeitig fit. Kiel damit ohne Linkshänder im rechten Rückraum. Beim HSV sitzen Pascal Hens und Krzysztof Lijewski nach ihren Verletzungen zumindest auf der Bank.

7.: Ein typischer Jicha! Der Tscheche schnappt sich den Ball in der eigenen Hälfte, geht durch und trifft. Auf der Gegenseite ist wieder Vori zur Stelle. 3:4.

15.: Jicha steigt in Unterzahl ohne jede Vorbereitung aus dem Stand gefühlte 5 Meter hoch und haut das Ding rein. Wahnsinn, das kann echt nur Jicha! 7:8.

19.: Nach über 17 Minuten meldet sich Mimi Kraus im Spiel an. Mit viel Anlauf macht er das 9:9. Und dann trifft auch noch Lackovic. Hamburg zum ersten Mal vorne. 10:9.

27.: Unglaubliches Tor von Palmarsson. Im Fallen bekommt er noch mächtig Druck hinter seinen Wurf. Beim HSV kommt Duvnjak für den schwachen Kraus, aber den THW rettet wieder die Latte.

28.: Ganz kritische Phase für den HSV! Jicha wirft den THW zum ersten Mal mit drei Toren nach vorne. 11:14.

30.: Ahlm schlägt mal wieder vom Kreis zu, dann scheitert Lijewski an Omeyer, dann ist wieder Ahlm da. Grandios gespielt vom THW. 12:16!

42.: Kiel muss zum Abschluss kommen, Jicha geht auf die Abwehr zu, legt auf Sprenger ab, drin. Kiel wieder auf drei weg. 18:21.

48.: Es wird hektisch! Die Hamburger sind mit den Refs in den letzten Minuten gar nicht zufrieden, waren auch einige haarige Entscheidungen dabei. Die O2-World kocht!

54.: Wo wäre der HSV ohne Lackovic?! Nächstes Weltklasse-Tor für den Kroaten. 24:25. Kiel mit der Auszeit.

56.: Da ist der Ausgleich. Lijewski-Kracher! 25:25!

59.: Auch die THW-Deckung jetzt überragend! Palmarssons Kracher geht an die Latte, der Abpraller landet bei Kiel, Klein gefoult, Siebenmeter. Ilic vs. Bitter. Bitter hält!

60.: Lijewski 13 Sekunden vor Schluss mit dem Game-Winner. Jicha auf der Gegenseite aus 15 Metern noch an den Pfosten. Hamburg schlägt Kiel 26:25.

Der Star des Spiels: Blazenko Lackovic. Der Kroate spielt eine absolut überragende Saison - seine Leistung im Super-Clash gegen Kiel war jetzt das Highlight seiner Highlights. Ohne Lackovic hätte Hamburg das Spiel nie im Leben gedreht. Als Kiel auf dem Weg zum Sieg schien, war es nur Lackovic, der die mentale Toughness besaß, um sich gegen den THW zu stemmen. Mit seinen Toren, seinen Pässen - und vor allem seinem unbändigen Willen riss er sein Team mit. Bei Kiel überragend: Jicha und Ahlm.

Der Flop des Spiels: Thierry Omeyer. Einen wirklichen Flop hatte dieses Spitzenspiel zweier Weltklasse-Teams nicht. Aber: Omeyer muss an seinen Verhältnissen gemessen werden. Und Omeyer hat das Duell gegen Bitter und Per Sandström an diesem Abend klar verloren. Der Franzose hatte natürlich einige wichtige Paraden, aber in der Crunchtime, die normalerweise Omeyer-Time ist, war es Bitter, der mit zwei gehaltenen Siebenmetern letztlich entscheidenden Anteil am HSV-Sieg hatte.

Analyse: Die Handball-Welt funktionierte seit langer Zeit nach einem relativ einfachen Muster. Wenn die großen Spiele anstehen, dann ist der THW Kiel da und gewinnt diese Spiele. Immer. Der Auswärtssieg beim HSV in der letzten Saison war der beste Beweis dafür. Und auch dieses Mal sah es lange danach aus, als ob Kiel das am Ende schon irgendwie lösen würde. Kühl, abgeklärt, seinen Stiefel ganz ruhig runterspielend erarbeitete sich der THW zur Pause einen 4-Tore-Vorsprung.

Dass Kiel aufgrund der Ausfälle von Andersson und Zeitz mit einem Rechtshänder (Jerome Fernandez) im rechten Rückraum spielen musste, fiel überhaupt nicht ins Gewicht. Fernandez, der diese Rolle in der französischen Nationalmannschaft schon exzellent ausgefüllt hat, war praktisch kein Faktor.

Aber auch das machte aus zwei Gründen nichts. Jicha zeigte, warum er momentan der beste Handballspieler der Welt ist - gegen den immer wieder wie eine Walze auf sie zurollenden Tschechen hatte die HSV-Abwehr überhaupt keine Mittel. Dazu kam, dass es der THW im Angriff in Kleingruppen immer wieder herausragend spielte und so den unmenschlich Bälle fangenden Marcus Ahlm am Kreis in Szene setzen konnte.

Die zweite Halbzeit war der jetzt der ultimative Test für den HSV. Zuhause mit vier Toren gegen Kiel hinten, es sah ganz danach aus, als ob Hamburg das Loser-Image in großen Spielen bestätigen würde. Dass sie das Spiel dann drehten, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Zwar lag es sicher auch am müde wirkenden Rückraum des THW, aber der HSV musste seinerseits einige sehr zweifelhafte Entscheidungen der Schiedsrichter hinnehmen und ließ sich auch davon nicht beirren.

Martin Schwalb hatte mit zwei wichtigen Coaching-Moves auch seinen Anteil am Sieg. Zum einen bekam Kiel gegen die aggressive 3-2-1-Deckung des HSV erhebliche Probleme, und zum anderen vertraute Schwalb in der hitzigen Schlussphase auf Frankreich-Power (Guillaume Gille, Bertrand Gille) statt Kroaten-Power (Duvnjak, Vori).

Im Endeffekt war es ein nach der zweiten Hälfte verdienter Sieg für den HSV, der damit jetzt der Meisterschaftsfavorit Nummer eins ist. Nach diesem Spiel kann man tatsächlich daran glauben, dass der HSV Kiels Regentschaft beendet.

Das Spiel zum Nachlesen im Ticker