THW! Same procedure as every year...

Von Florian Regelmann
Der THW Kiel muss auch in dieser Saison den Angriff von Bertrand Gille und dem HSV abwehren
© Getty

Einen Tag nach dem Supercup-Sieg des HSV Hamburg ist die Handball-Bundesliga am Mittwoch mit dem 29:28-Sieg der SG Flensburg-Handewitt bei der HSG Wetzlar in die Saison 2010/2011 gestartet. Auch in der neuen Spielzeit läuft alles auf einen Zweikampf um den Meistertitel zwischen dem THW Kiel und dem HSV Hamburg hinaus. SPOX hat gemeinsam mit Ex-Nationalmannschafts-Kapitän Markus Baur ein Favoriten-Ranking aufgestellt. Das Ergebnis: Niemand kann Kiel stoppen. Mal wieder.

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"Das ist doch nicht so schwer", platzt es aus Markus Baur heraus. Der Ex-Nationalmannschafts-Kapitän und Weltmeister von 2007 hat vor dem Saisonstart in der Handball-Bundesliga gemeinsam mit SPOX den Favoritencheck gemacht.

Schwer getan hat er sich dabei nicht. Und in der Tat: Ein Handball-Saisoncheck gehört nun wirklich nicht zu den schwierigsten Aufgaben auf dieser Welt. Eher zu den leichten. Den ganz leichten. Denn es ändert sich von Jahr zu Jahr wenig. Okay, es ändert sich nichts.

Es fängt schon beim Spielplan an. Der erste Spieltag begann am Mittwoch mit dem 29:28-Sieg der SG Flensburg-Handewitt bei der HSG Wetzlar. Und der erste Spieltag endet mit der Partie zwischen der TuS N-Lübbecke und dem DHC Rheinland - am 6. November.

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SPOX konzentriert sich zum Saisonstart auf einen Ausblick auf den Titelkampf, der erneut unglaubliche Spannung verspricht. Wie sind die Kräfteverhältnisse? Ist Kiel noch die Nummer eins? Die Antwort folgt sogleich...

1. THW Kiel

Vor der letzten Saison gab es einige Experten, die den THW Kiel auf dem absteigenden Ast wähnten. Schließlich verlor der Verein mit Stefan Lövgren (Karriereende) sein Gehirn und mit Ex-Welthandballer Nikola Karabatic (Montpellier) seinen Motor. Dazu der Verlust von Vid Kavticnik, der seinem Freund Karabatic nach Montpellier folgte. Ex-Manager Wolfgang Schwenker, ohne Frage der Vater der früheren Erfolge und Mr. Kiel himself, verließ im Zuge der Bestechungsaffäre ebenfalls seinen THW. Wie soll ein Klub das bloß kompensieren?

In Kiel stand der große Umbruch an, der in der letzten Saison zwar zu zwischenzeitlichen Problemchen führte, sich aber nicht negativ in den Ergebnissen niederschlug. Am Ende der Saison stand der THW mit dem Double da. Sechste Meisterschaft in Serie, zweiter Champions-League-Triumph in der Vereins-Historie. Kurzum: Der THW ist aktuell der beste Handball-Verein der Welt.

Mit Daniel Kubes (TBV Lemgo) und Milutin Dragicevic (BSV Bjerringbro-Silkeborg) kamen im Sommer zwei Neuzugänge. Zwei Neuzugänge, die vielleicht unscheinbar klingen, die es aber in sich haben. Kubes gehört zu den drei besten Abwehrspielern der Liga, mit Filip Jicha bildet er in der tschechischen Nationalmannschaft den Mittelblock. Dragicevic ist ein serbisches Tier am Kreis und sollte ein neuer Star der Liga werden.

Der Kreuzbandriss von Daniel Narcisse tut selbstredend weh, aber wenn es einen Verein gibt, der solch einen Ausfall kompensieren kann, ist es der THW. In der vergangenen Saison wurde der Ausfall von Kim Andersson mühelos aufgefangen, jetzt kehrt Andersson bald zurück und es fehlt eben Narcisse. Kein Problem.

Ein Rückraum mit Jicha, Momir Ilic und Aron Palmarsson ist auch nicht so verkehrt. Vor allem von Palmarsson ist einiges zu erwarten. Der junge Isländer gilt als tendenziell faul, aber er hat das Potenzial, einer der besten Rückraumspieler der Welt zu werden. Coach Alfred Gislason wird ihn hinbekommen. Der hat sogar Christian Zeitz hinbekommen. Irgendwie.

Markus Baur sagt bei SPOX: "Der THW hat eine riesige Erfahrung im Gewinnen. Er weiß, wie das Gewinnen geht. Im Gegensatz zum HSV. Diese Erfahrung hat in den entscheidenden Spielen schon häufig den Ausschlag zugunsten des THW gegeben. Wenn es drauf ankommt, ist Kiel immer präsent und bringt eine Top-Leistung. In Kiel ist ein unglaubliches Vertrauen ineinander vorhanden, das kann man gar nicht hoch genug einschätzen."

THW-Lineup: Omeyer/Palicka (Tor), Klein/Lundström (LA), Jicha/Ilic/Kubes (RL), Palmarsson/Narcisse (RM), Andersson/Zeitz (RR), Sprenger/Reichmann (RA), Ahlm/Dragicevic (KM)

Prognose: "Wenn du einmal etwas gewonnen hast, entwickelt sich eine Sucht, und du willst immer mehr." Diese Aussage von Kiels Torwart-Gott Thierry Omeyer steht stellvertretend für das Selbstverständnis beim THW. Egal, wie stark der HSV sein mag. Es gibt überhaupt keinen einzigen Grund, gegen Kiel zu setzen. Der THW macht's. So wie immer.

2. HSV Hamburg

Kiel hat den Umbruch hinter sich, Hamburg hat ihn vor sich. Noch nicht in dieser Saison, aber 2011. 80 Prozent der Spielerverträge laufen aus, dazu zieht sich Präsident und Geldgeber Andreas Rudolph zurück und wird möglicherweise nicht mehr so viele finanzielle Mittel zur Verfügung stellen wie bisher. Aktuell haben Hamburg und Kiel einen ähnlich hohen Etat (8,5 zu 9,5 Millionen Euro). Martin Schwalb geht in seine letzte Saison als Coach und wird 2011 auf den Geschäftsführer-Posten wechseln.

Die Schlussfolgerung aus all diesen Punkten: Es ist denkbar, dass Hamburg in dieser Saison vorerst die letzte große Chance auf den Titel hat. Der Pokalsieg in der letzten Saison war nett, mehr nicht. Es gab für den HSV in der letzten Spielzeit genau ein entscheidendes Spiel - und das haben sie zuhause gegen den THW vergeigt. So zog Hamburg im Titelkampf den Kürzeren und musste trotz einer statistisch gesehen (nur sieben Minuspunkte) herausragenden Performance damit leben, in Handball-Deutschland als Verlierer angesehen zu werden.

Damit das nicht noch einmal passiert, hat der HSV sein Star-Ensemble mit der Verpflichtung von Mimi Kraus (TBV Lemgo) noch einmal mit einem Diamanten versehen. Die Frage wird sein, wie sich Kraus ins HSV-Gefüge integrieren kann. Fakt ist, dass Hamburg mit Guillaume Gille, Domagoj Duvnjak, Pascal Hens, Blazenko Lackovic und Kraus fünf Spieler für zwei Positionen hat. Nur zwei können spielen. Und fest steht auch, dass Kraus auf seiner angestammten Position auf Rückraum Mitte auch mal nur dritte Wahl sein könnte.

Über die Klasse von Ausnahmetalent Duvnjak gibt es keine zwei Meinungen, und Gille ist der unumstrittene Kopf der Mannschaft, in der Deckung ist Gino mit seiner Routine nicht zu ersetzen. Im Supercup setzte Schwalb den 34-Jährigen zunächst nur in der Abwehr ein, aber in der entscheidenden Phase ließ er den Franzosen auch im Angriff das Spiel lenken.

Da Krzystof Lijewski wegen einer Schulterverletzung mehrere Monate ausfällt, kann es gut sein, dass Kraus als Backup für Marcin Lijewski einige Spielanteile im rechten Rückraum bekommen wird. Ein interessantes Szenario. Neben Kraus hofft Schwalb, dass sein Team allein deshalb einen Sprung macht, weil Duvnjak, Igor Vori oder Pascal Hens endlich topfit in eine Saison starten können.

Markus Baur sagt bei SPOX: "Hamburg ist mindestens genauso stark wie Kiel, nominell sogar eher einen Tick besser. Es wäre eigentlich an der Zeit, dass der HSV jetzt mal Meister wird, aber ich bin mir unsicher, ob sie es packen. Mimi Kraus macht jede Mannschaft einen Tick unberechenbarer. Mit seinen individuellen Fähigkeiten kann er Spiele für einen gewinnen, er kann aber auch mal eines verlieren. Insgesamt sehe ich einen kleinen Vorteil beim THW."

HSV-Lineup: Bitter/Sandström (Tor), Jansen/Flohr (LA), Hens/Lackovic (RL), G. Gille/Duvnjak/Kraus/Schliedermann (RM), M. Lijewski/K. Lijewski (RR), Lindberg/Schröder (RA), B. Gille/Vori (KM)

Prognose: Dass der HSV neben Kiel der Titelkandidat ist, steht völlig außer Frage. Es fehlt einfach nur der letzte Tick Überzeugung, der letzte Tick Kompromisslosigkeit, der Kiel so auszeichnet. Wenn es gelingt, Schwalbs Vorgabe, im Angriff die Außen und die Kreisläufer noch mehr ins Spiel einzubinden, umzusetzen, wird sich Hamburg bis zum Schluss mit Kiel ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern. Ausgang: offen. Tendenz: gegen Hamburg.

3. Rhein-Neckar Löwen

Mit über acht Millionen Euro haben die Löwen annähernd den Etat von Kiel und Hamburg, aber sie sind in der letzten Saison wieder mal nicht annähernd an die beiden Topklubs herangekommen. Am Ende landete man sogar hinter Flensburg nur auf Rang vier - was vor der Saison niemand für möglich gehalten hatte. Dem Klub haftet weiter das "Hopp-Hoffenheim-Image" an.

Es werden Unsummen investiert, ständig werden aus aller Herren Länder neue Topstars geholt, aber gewonnen wird damit bislang rein gar nichts. Im Pokal erreichte man dreimal das Finale, in der Champions League ging es bis ins Halbfinale, aber das war es dann auch schon. Auch Bundestrainer Heiner Brand hat die Vereins-Philosophie der Löwen offen kritisiert.

Mit Ivan Cupic (RK Gorenje Velenje), Börge Lund (THW Kiel), Robert Gunnarsson (VfL Gummersbach) und Andy Schmid (BSV Bjerringbro-Silkeborg) sind nun erneut vier Hochkaräter zum Team gestoßen. Damit sollen die personellen Umwälzungen der letzten Jahre aber auch endgültig abgeschlossen sein. Mit diesem Team will man nun auf Titeljagd gehen - am besten schon in dieser Saison.

Die Mannschaft von Ola Lindgren hat von den Einzelspielern her unbestritten die Klasse, um ganz oben anzugreifen. Olafur Stefansson ist der große Leader der Löwen und steht auch mit 37 Jahren praktisch ununterbrochen auf der Platte. Er muss auch ununterbrochen auf der Platte stehen - so wichtig ist seine Präsenz.

Auf den Außenpositionen sind die Löwen brutal stark besetzt. Das Duo Cupic/Groetzki ist ähnlich stark wie Lindberg/Schröder beim HSV - und links wirbelt Uwe Gensheimer. Wenn ein deutscher Feldspieler derzeit absolutes Weltklasse-Niveau verkörpert, dann ist es Gensheimer. Bei Karol Bielecki gilt es zu hoffen, dass sich die Eindrücke bestätigen und er nach seiner Erblindung auf seinem linken Auge genauso stark ist wie vorher. Kapitän Gudjon Valur Sigurdsson (Knie) fällt noch bis mindestens Dezember aus.

Markus Baur sagt bei SPOX: "Bei den Namen, die sie auf der Platte haben, müssten sie die Eins oder Zwei sein, sie waren aber nur die Vier in der letzten Saison. Und sie hatten 13 Punkte Rückstand auf Kiel, das sind Welten, da braucht man jetzt nicht vom Titel zu sprechen. Sie müssen schauen, dass sie den Abstand verringern. Und sie müssen Dritter werden."

Löwen-Lineup: Szmal/Fritz (Tor), Gensheimer/Ruß/Sigurdsson (LA), Bielecki/Tkaczyk (RL), Lund/Schmid (RM), Stefansson/Müller (RR), Cupic/Groetzki (RA), Gunnarsson/Myrhol/Roggisch (KM)

Prognose: Das Projekt Rhein-Neckar Löwen braucht dringend einen Titel. Das Image vom Klub, der sich mal eben den Status als Handball-Macht erkaufen will, werden sie nicht losbekommen. Aber sie können beweisen, dass sie ihren Plan erfolgreich umsetzen. Vielleicht hätten sie schon längst einen Titel gewonnen, wenn 2009 die eigentlich fest eingeplanten Verpflichtungen von Noka Serdarusic und Nikola Karabatic nicht in letzter Sekunde zunichte gemacht worden wären. Wer weiß. Wenn die Löwen Kiel und Hamburg gefährden wollen, müssen bessere Leistungen in den direkten Duellen her - und es dürfen keine Punkte bei kleineren Teams verschenkt werden. Mehr als Rang drei ist aber einfach nicht drin.

Rang 4 und 5: Hier geht's zum Best of the Rest