"Wir sind Weltklasse!"

Von Interview: Florian Regelmann
Stefan Kretzschmar ist mittlerweile Sportdirektor beim SC Magdeburg
© Getty

Denkt man an Handball, denkt man unweigerlich auch an Stefan Kretzschmar. Im SPOX-Interview erklärt der 35-Jährige, warum Deutschland bei der WM in Kroatien die Titelverteidigung zuzutrauen ist. Themen außerdem: Nervige Spielerberater, Gartenarbeit, Golfspielen um 8 Uhr morgens und eine bittere Niederlage gegen Tim Mälzer.

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SPOX: Herr Kretzschmar, die WM steht vor der Tür. Juckt es Sie eigentlich noch manchmal selbst auf die Platte zu gehen?

Stefan Kretzschmar (lacht): Oje, nein! Ich hatte ja schon Schiss vor dem Abschiedsspiel von Markus Baur, bei dem ich dabei war. Das ist alles sehr weit weg. Es ist auch keine Lust mehr vorhanden. Ich könnte der Truppe auch wirklich nicht mehr helfen. Körperlich würde ich in eine Regionalliga-Mannschaft passen.

SPOX:  Mit welchem Gefühl blicken Sie der WM dann entgegen?

Kretzschmar: Ich bin völlig entspannt, seitdem ich aufgehört habe. Der WM-Titel im eigenen Land war ein Highlight, das nicht mehr zu toppen ist, aber ich freue mich dennoch sehr auf Kroatien. Ich werde auch mal ein Wochenende runter fliegen. Die Kroaten haben gigantische Hallen aus dem Boden gestampft und werden sicher für eine geile Stimmung sorgen. Sie sind ja bekannt für ihre Heißblütigkeit. Mir gefällt das.

SPOX: Gefällt Ihnen auch unsere Chance auf die Titelverteidigung? Ober haben wir keine Chance?  

Kretzschmar: Doch, wir haben eine Chance. Wir sind immer noch Weltklasse. Unsere erste Sieben ist stark. Der Rückraum mit Hens, Kraus und Glandorf - das ist Weltklasse. Auf den Außen haben wir mit Jansen und Sprenger überhaupt keine Probleme. Im Tor auch nicht. Wenn es wo haken könnte, dann am Kreis. Aber an guten Tagen können wir jeden schlagen. Heiner Brand nimmt jetzt vor dem Turnier den Druck von der Mannschaft, aber die Titelverteidigung ist uns schon zuzutrauen.

SPOX: Was ist der Schlüssel zum Erfolg?

Kretzschmar: Grundvoraussetzung ist, dass wir keine Ausfälle haben. Wenn sich Hens wie bei Olympia verletzt, oder Kraus diesmal ganz ausfallen würde, dann können wir das nicht verkraften. Außerdem ist die Abwehr die Achillesferse. In der Abwehr müssen wir gegen eine körperlich starke Mannschaft wie Frankreich oder eine spielerische wie Kroatien bestehen. Außerdem ist es eine Herausforderung, nach der WM im eigenen Land, in der Fremde womöglich gegen das Publikum spielen zu müssen. Bei den Olympischen Spielen war das keine normale Situation. Die Chinesen haben ja jeden bejubelt. Oder niemanden.

SPOX: Wem trauen Sie aus dem deutschen Team zu, dass er für Furore sorgt?

Kretzschmar: Wenn jemand sein "Coming-out" haben wird, dann Christian Sprenger. Lange stand bei uns auf Rechtsaußen mit Florian Kehrmann einer, der sich in der Weltspitze etabliert hat. Jetzt steht da Sprenger. Da gucken die Gegner schon anders. Aber Sprenger ist unglaublich talentiert und hat große Fähigkeiten.

SPOX: Ihre Karriere ist ja leider etwas unvollendet geblieben. Ein Titel mit der Nationalmannschaft war Ihnen nie vergönnt.

Kretzschmar: Klar würde ich alle zweiten Plätze gegen eine Goldmedaille eintauschen. Man wird an Titeln gemessen und dementsprechend fehlt etwas. Aber es sollte wohl nicht anders sein. Ich fühle mich nicht schlecht deswegen. Mein Leben ist völlig in Ordnung so wie es ist.

SPOX: Ihr Leben, das bedeutet aus sportlicher Sicht nun Sportdirektor in Magdeburg zu sein. Wie kann man sich den Sportdirektor Kretzschmar vorstellen?

Kretzschmar: Ich laufe jetzt nicht plötzlich im Anzug herum, aber man kann sich das schon alles sehr ordentlich vorstellen bei mir. Mein Büro sieht aufgeräumt aus. Aber ich bin auch die meiste Zeit unterwegs und sitze nicht so häufig hinter dem Schreibtisch.

SPOX: Was war die größte Umstellung?

Kretzschmar: Die große Schwierigkeit war, nicht mehr Kumpel der Jungs zu sein, sondern eine Art Vorgesetzter. Loszulassen von der Mannschaft - das war nicht einfach.

SPOX: Haben Sie negative Erfahrungen gemacht in Ihrem neuen Job?

Kretzschmar: Man wundert sich schon über so manche Charaktäre einiger Spielervermittler und einige Spieler passen sich mittlerweile an. Ich bin ein Feind davon, dass Spieler zwei Jahre vor Vertragsende mit anderen Vereinen verhandeln. Das ist eine absolute Söldner-Mentalität. Da kann mir niemand erzählen, dass die sich mit ihrem Verein identifizieren. Es ist mir auch scheißegal, wenn Manager dann sagen, sie planen langfristig oder ähnliches. Das gehört sich einfach nicht. Da müsste sich an den Transferregelungen unbedingt etwas ändern.

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SPOX: Sie sprechen damit ja auch Werte an.

Kretzschmar: Das war mir auch schon immer wichtig. Ich versuche auch zum Beispiel in der Kindererziehung Werte wie Ehrgeiz und Disziplin zu vermitteln. 

SPOX: Dabei galten Sie immer als der Handball-Punk. In Wirklichkeit steckt aber auch ein ganz normaler deutscher Spießer in Ihnen.

Kretzschmar: Dazu stehe ich auch. Mein Alltag sieht so aus, dass ich ein ganz normales Familienleben führe. Ich bringe meine Tochter in die Schule, gehe ins Büro und komme abends wieder nach Hause. Im Sommer arbeite ich im Garten. Ganz normale Sachen, die jeder gerne macht. Natürlich genießt man auch die Vorzüge von Partys, aber das reguliert sich mit der Zeit.

SPOX: Sie arbeiten nicht nur gern im Garten, sie pflügen Rasen auch gern um. Sprich: Sie spielen Golf.

Kretzschmar: Liebend gerne, das stimmt. Mir gefällt dieses Erlebnis von Demut. An einem Tag denkst du, du kannst es. Am nächsten Tag triffst du keine Kugel mehr. Außerdem ist auch die Natur faszinierend. Morgens um 8 Uhr auf dem Platz zu stehen, wenn Tau noch auf der Wiese liegt, - schöner kann man nicht in den Tag starten.

SPOX: Golf kann man bis ins hohe Alter spielen. Schon mal Gedanken gemacht, was Sie machen, wenn Sie 60 sind?

Kretzschmar: Ich mache mir wenig Gedanken, was in sechs Monaten ist, insofern ist das weit weg. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man seine Augen immer offen haben muss im Leben. Es kann so viel passieren. Man muss einfach zusehen, dass man glücklich ist. Groß zu planen wäre Quatsch. Und wenn Sie darauf anspielen, was mein Körper mit 60 macht: Dann sehe ich auch ohne Tattoos bestimmt scheiße aus (schmunzelt).

SPOX: So war das ja jetzt nicht gemeint. Thema-Wechsel. Sie haben wie so viele eine Biografie geschrieben. Warum?   

Kretzschmar: Erstmal hatte ich gute Angebote. Das hatte also auch ökonomische Gründe. Und zweitens war es eine Art Therapie für mich. Ich konnte noch einmal alles an mir vorbei ziehen lassen und vieles aufarbeiten. Das hat mir geholfen, nach der Karriere als Spieler einen Cut zu schaffen. Vorher war ich in meinem neuen Leben noch nicht so recht angekommen.

SPOX: Heißt das, dass Sie jetzt rundum glücklich sind?

Kretzschmar: Das kann man sagen. Privat ist alles wunderbar, sportlich läuft es in Magdeburg sehr gut - ich bin sehr ausgeglichen und zufrieden.

SPOX: Aber wir finden schon noch was, das tief sitzt bei Ihnen. Pokern, Stefan Raab, Tim Mälzer...

Kretzschmar: Ja, das war echt bitter. Ich hätte im Heads-Up ja gegen viele verlieren können und es hätte mir weniger ausgemacht, aber gegen den Mälzer den Kürzeren zu ziehen, das hat weh getan.

Der Spielplan der WM in Kroatien