Bluffer, Zocker, Goldgaranten

Von Josip Radovic
Immer im Mittelpunkt: Kroatiens Über-Spieler Ivano Balic
© Imago

Die kroatische Handball-Nationalmannschaft hat bei der bevorstehenden Weltmeisterschaft ein Heimspiel. Das Team um Superstar Ivano Balic kann sich mit dem Titel endgültig die Krone aufsetzen. Für den Gewinn der Goldmedaille wurde alles bis ins letzte Detaill geplant. Selbst "Pumuckl" wurde mit ins Boot genommen.

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Ganz Kroatien ist im Handball-Fieber. Wirklich ganz Kroatien? JA!

Einen Vorgeschmack auf die Euphorie beim Gastgeber der 21. Handball-WM bekam man beim ersten öffentlichen Training der Nationalmannschaft. 6000 Fans tauchten zur Übungseinheit auf. Infernalischer Lärm und der eine oder andere Flitzer sorgten für mehrere Unterbrechungen.

Auch während der Spiele ist in den Hallen mit einer Stimmung zu rechnen, die die des Wintermärchens der WM in Deutschland vor zwei Jahren noch toppen dürfte.

"Sie werden die Halle zum Beben bringen und die Jungs zur Medaille pushen. Sei es mit ihrer Euphorie, dem Druck auf die Schiedsrichter oder durch Verunsicherung des Gegners. Sie werden der achte Mann auf und um den Platz herum sein", schätzt Luka Tadic, Sportjournalist einer kroatischen Tageszeitung, die Lage ein.

Ziel? Gold, was sonst?

Die Vorfreude auf die Titelkämpfe wird durch den beinahe schon kühnen Optimismus der Mannschaft und ihres Trainers noch zusätzlich befeuert. Understatement und Zweifel haben im Selbstverständnis der kroatischen Mannschaft keinen Platz.

"Unser Ziel? Gold, was sonst", sagt etwa Rückraum-Star Petar Metlicic ganz selbstverständlich und stellvertretend für den Rest des Teams.

Was bei der WM 2003 in Portugal mit dem Gewinn der Goldmedaille begann und ein Jahr später mit dem Olympiasieg in Athen seine Fortsetzung fand, soll im eigenen Land die Krönung erfahren: eine im Handball einzigartige Erfolgsstory.

Das kroatische Team stand bei jedem der letzten sieben Großturniere unter den letzten Vier. Zu den beiden angesprochenen Titeln gesellen sich noch die Silbermedaillen bei der WM 2005 in Tunesien und der EM 2008 in Norwegen.

Kader blieb zusammen

Trotz aller Zuversicht stürzen sich die Kroaten aber nicht blindlings ins Unternehmen Gold. Im Gegenteil: Nichts wurde dem Zufall überlassen.

Das Gros der Nationalmannschaft spielt für den Hauptstadtklub RK Zagreb, den - natürlich - Nationalcoach Cervar trainiert. Für die WM kehrten Superstars wie Ivano Balic, Kreisläufer Igor Vori oder der Ex-Großwallstädter Tonci Valcic aus der spanischen Eliteliga zurück, um sich quasi vor der Haustür auf die großen Aufgabe vorzubereiten.

"Sie sollen sich für die Goldmedaille warmspielen", tönte Teamchef Cervar bereits im Frühjahr 2008.

Cervar verfügt im Kern immer noch über den Kader, der 2003 sensationell den Titel holte. Der große Umbruch blieb aus, denn die Goldtruppe von damals war bis auf wenige Ausnahmen blutjung.

Pumuckl mischt mit

Einer der damals dabei war, aber inzwischen aufgehört hat, will seinen Teil als Maskottchen (offizielle Funktionsbezeichnung: Berater) zum Erfolg beisteuern. Kultkeeper Vlado Sola, dem der deutsche Boulevard einst wegen seiner Haartracht den Beinamen Pumuckl-Torhüter verpasste, stand in den erfolgreichen Endspielen 2003 und 2004 gegen Deutschland zwischen den Pfosten.

Sola hat das WM-Fieber gepackt, als wäre er noch aktives Mitglied des Kaders. "Die Atmosphäre im Team erinnert mich an 2003, an die Tage bei der Weltmeisterschaft in Portugal, als unsere Geschichte begann, die hier in unserer Heimat ihren nächsten Höhepunkt erlangen wird!", verkündete der 40-Jährige dieser Tage emphatisch.

Keiner zockt besser

Das bestechendste Argument für einen Titelgewinn des Gastgebers bleibt aber die Mannschaft selbst. Das Herzstück des Teams mit dem genialen Balic, den wurfgewaltigen Metlicic, Blazenko Lackovic (Hamburg) und Kreisläufer Vori ist unerreicht in Hinblick auf Spielstärke, Durchschlagskraft und Kreativität. Und: Es gibt keine erfahrenere Kombo und keine, die besser zocken kann.

Die Mannschaft bringt alles mit für den Titel, Sorgen gibt es dennoch: Gerade Balic, Metlicic und Lackovic sind extrem verletzungsanfällig und stehen schon seit Jahren keine Großveranstaltung, geschweige denn eine ganze Saison, ohne Blessuren durch.

Hinzu kommen prominente Ausfälle: Mit Abwehrspezialist Davor Dominikovic fällt Cervars wichtigster Defensiv-Akteur für das gesamte Turnier aus. Der einstige Weltklasserechtsaußen Mirza Dzomba hat seinen Rücktritt aus dem Nationalteam erklärt und steht nur für den Notfall bereit.

Balic blufft. Oder nicht?

Größter Hoffnungsträger, der Oberzocker schlechthin, aber gleichzeitig auch größtes Sorgenkind der Kroaten ist und bleibt aber Balic. Um den Gesundheitszustand des 29-Jährigen, der zwischen 2003 und 2008 bei sechs großen Turnieren in Serie zum besten Spieler gewählt wurde, dreht sich bei den Kroaten wie immer alles.

Der 29-Jährige musste zuletzt monatelang aufgrund einer Bandscheibenverletzung passen. Erst wenige Tage vor WM-Start meldete er sich fit. Nun ja, verhältnismäßig fit.

"Ich habe Schmerzen, aber WM ist WM. Ich muss und werde allen Widerständen trotzen", sagt der Welthandballer von 2003 und 2006, "aber es reicht für eine halbe Stunde pro Spiel."

Man sollte bei Balic nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Ein Bluff würde zu Balic passen, denn er ist nicht nur der Magier auf dem Platz, sondern auch ein Meister der Psychologie und des Psychokriegs.

Kampfansagen und Provokationen

Den ersten Pfeil Richtung Olympiasieger Frankreich, der überall als schärfster Widersacher der Kroaten um den Titel gehandelt wird, schoss Balic auch schon ab. Auf die Ankündigung von Frankreichs Superstar Nikola Karabatic, er werde Balic bei der WM stoppen, entgegnete er: "Wenn mich so einer wie Karabatic stoppt, dann höre ich mit dem Handball auf."

Das wiederum sollte man auch nicht allzu wörtlich verstehen, eher schon die Worte des kroatischen Trainers: "Wir sind Schönspieler und müssen den Gegner täuschen", sagt Cervar. "Wenn man gegen Deutschland oder Frankreich spielt, hat man mit Kraft keine Chance. Diese Teams muss man mit dem Geist schlagen."

Das war eine Kampfansage und eine Provokation zugleich. Wie gesagt, die Kroaten überlassen nichts dem Zufall.

Der Spielplan der WM in Kroatien