"Wir sind dem Tod von der Schippe gesprungen"

Von Interview: Jochen Tittmar
Torsten Lieberknecht führte Eintracht Braunschweig zurück in die 2. Bundesliga
© Getty

Eintracht Braunschweig dominierte in der Vorsaison die 3. Liga nach Belieben. Aufstiegstrainer Torsten Lieberknecht spricht im Interview über die Zeit, in der es den Löwen sportlich wie wirtschaftlich richtig dreckig ging und erklärt, inwiefern es eine Bürde ist, ein Traditionsverein zu sein.

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SPOX: Herr Lieberknecht, als Sie 2008 den Cheftrainerposten übernahmen, stand die Eintracht kurz davor, die neue 3. Liga zu verpassen. Wie kam es überhaupt dazu, dass die Wahl auf Sie fiel?

Torsten Lieberknecht: Ich war bereits Jugendkoordinator und habe die U 19 trainiert. Als Benno Möhlmann zurücktrat, hatte man nicht viel Zeit, einen Nachfolger zu finden. Daraufhin wurde ich angesprochen. Damit habe ich nicht gerechnet. Es war eine Bauchentscheidung.

SPOX: Welche Ambitionen als Trainer hatten Sie denn, als Sie noch die A-Junioren trainierten?

Lieberknecht: Ich hatte mich schon noch einige Zeit im Nachwuchsbereich gesehen. Meine Ambitionen hat das aber nicht torpediert, die ganze Geschichte hat nur eine andere Wendung genommen. In der Eile war es natürlich nicht vorgesehen, Cheftrainer im Profibereich zu werden.

SPOX: Was hätte das Verpassen der 3. Liga für den Verein bedeutet?

Lieberknecht: Das war überlebensnotwendig. Der Verein war finanziell nicht gut aufgestellt. Wir sind dem Tod von der Schippe gesprungen. Man hätte den Betrieb vielleicht noch ein Jahr aufrecht erhalten können. Ziemlich sicher wäre man aber wohl in den Kreislauf hineingeraten, der viele andere Absteiger durch finanzielles Harakiri bereits verschluckt hatte. Dann hätten wir den Verein abmelden können.

SPOX: Als Sie Cheftrainer wurden, mussten Sie noch die A-Lizenz erlangen, im April 2010 kam dann der Fußball-Lehrer dazu. Markus Babbel hat die Doppelbelastung damals beim VfB Stuttgart nicht gepackt. Wie lief das bei Ihnen?

Lieberknecht: Ich hatte keine großen Probleme, da die Ergebnisse stimmten. Es stand früh fest, dass diese Doppelbelastung auf mich zukommen wird. Ich habe mich auch ehrlich gesagt darauf gefreut und wollte beide Dinge unter einen Hut kriegen. Ich war am Ende der einzige aktive Trainer, der während der Saison nicht entlassen wurde.

SPOX: Der Titel Ihrer Diplomarbeit lautete: "Der schwierige Spagat zwischen Tradition und Zukunft bei Eintracht Braunschweig". Warum haben Sie sich dieses Thema ausgesucht?

Lieberknecht: Ich wollte keine hochsensible wissenschaftliche Arbeit abgeben, sondern über ein jobrelevantes Thema schreiben. Es gibt sehr viele Vereine, die eine glorreiche Vergangenheit hinter sich haben und eklatante Probleme damit haben, die Zukunft zu gestalten und letztlich beides in Einklang zu bringen.

SPOX: Wie drückt sich dieser Kontrast zwischen Anspruch und Wirklichkeit im Alltag von Eintracht Braunschweig aus?

Lieberknecht: Ich habe in meinen acht Jahren schon alle Facetten miterlebt. Das hier ist eine Region, die extrem emotional mit dem Verein leidet und sich freut. Freud und Leid bekommt man beinahe täglich mit, man wird ständig damit konfrontiert. Es gab eine Zeit, in der die Erwartungshaltung sehr groß war. Mittlerweile hat ein großer Umdenkungsprozess auch bei den Fans eingesetzt, dass man einen anderen Weg gehen und sich verändern muss. Die Erwartungen werden nun realistischer gesteuert. Man geht auch nüchterner mit Erfolgen um.

SPOX: Wie schwer war es, Fans und Umfeld gerade in der Konsolidierungsphase der vergangenen Jahre vom neuen Weg der Eintracht zu überzeugen?

Lieberknecht: Präsidium, Aufsichtsrat und sportliche Leitung haben sehr viele Gesprächstermine mit Fanvertretern angesetzt, um für dieses Thema zu sensibilisieren. Es war zudem wichtig, Spieler zu holen, die das Identifikationsdenken mitbringen. Also Spieler, die nicht nur stupide ihrem Job nachgehen, sondern auch verstehen, was die Leute hier unabhängig von Ergebnissen umgesetzt sehen wollen. Sie sollen wissen, was es bedeutet, dieses Trikot zu tragen und in der Stadt zu leben.

SPOX: Sie sagten einmal, dass die Identifikation der Menschen mit der Eintracht unglaublich groß sei, es zugleich aber eine große Ehrfurcht gegenüber den Spielern und Trainern gebe. Wie äußert sich dies?

Lieberknecht: Anfangs war das für mich neu. Es gab eine Berührungsangst mit den Spielern. Der Grund dafür liegt wohl in der Vergangenheit. Spieler der Eintracht sind in der Stadt als etwas Besonderes angesehen worden. Die Spieler, die in den letzten Jahren dazu gekommen sind, wollten das nie. Sie suchen gerne die Nähe zu den Fans, es hat sich also mittlerweile geändert.

SPOX: Sie haben bei Waldhof Mannheim, dem 1. FC Saarbrücken und eben Eintracht Braunschweig gespielt. Alles Vereine, die verzweifelt den Erfolgen ihrer Vergangenheit nachlaufen. Gibt es irgendeine Gemeinsamkeit bei diesen Klubs, die eine Rückkehr in erfolgreichere Sphären verhindert?

Lieberknecht: Als Stefan Kuntz Sportdirektor beim FCK wurde, hat er die Emotion, dieses Lauterer Herzblut, wieder geschürt, gleichzeitig aber auch gesagt, dass die Leute, die schon jahrelang für den Klub arbeiten, für neue Ideen und Wege begeistert werden müssen. Wenn dies nicht gelingt, muss man sie austauschen. Das ist der richtige Ansatz, doch dieses Problem haben viele Traditionsvereine. Man sieht in der Vergangenheit seine Sonne, tut sich aber schwer, eine neue Richtung einzuschlagen. Die Erfolge aus der Vergangenheit lassen sich nur schwer wiederholen, weil sich die Zeiten eben komplett verändert haben.

SPOX: Inwiefern war es für Braunschweig in der Vergangenheit eine Bürde, ein Traditionsverein zu sein?

Lieberknecht: Das ist immer noch eine Bürde. Uns gelingt aber der Spagat mittlerweile ganz ordentlich. Wir erachten die Tradition als wichtig, scheuen uns aber nicht, auch unabhängig von der sportlichen Entwicklung neue Wege zu bestreiten. Dabei klappt auch das Zusammenspiel zwischen Verein, Zuschauern und Stadt.

SPOX: Ist es möglich, dass sich Tradition irgendwann auch aufbraucht?

Lieberknecht: Ich denke und hoffe nicht, dass dies eines Tages der Fall sein wird. Davon lebt schon auch ein Verein. Kaiserslautern lebt von Fritz Walter, Braunschweig von der Meisterschaft 1967 und Waldhof Mannheim von den Waldhof-Buben unter Klaus Schlappner. Das darf nicht gänzlich verschwinden. Es ist wichtig, damit richtig umzugehen und dies eben als einen Teil der Geschichte eines Vereins anzusehen.

SPOX: Die Belastung in der 2. Liga wird für Ihre Mannschaft in vielen Bereichen nun höher. Was sind die Hauptaufgaben für Sie als Trainer, um Ihr Team an die neuen Begebenheiten zu gewöhnen?

Lieberknecht: Ich muss versuchen, die Erfolgserlebnisse der letzten Saison richtig zu filtern. Wir sind sehr dominant aufgestiegen und müssen es schaffen, den Stil, den die Mannschaft und der komplette Verein geprägt haben, in die 2. Liga zu transportieren. Wir wissen, dass die Gegner nun ein anderes Kaliber darstellen. Die Jungs müssen verinnerlichen, dass sie in der 3. Liga einen sensationellen Job abgeliefert haben, wir uns aber weiter steigern wollen und müssen.

SPOX: Im DFB-Pokal geht es gegen den FC Bayern. Was ist attraktiver: Gegen die Bayern vor ausverkauftem Haus und einem Millionenpublikum an den TV-Geräten in der 1. Runde auszuscheiden oder sich gegen einen Gegner auf Augenhöhe eventuell bis ins Achtelfinale zu kämpfen?

Lieberknecht: Der Pokal hat ja immer Überraschungen parat. Andererseits können wir auch beispielsweise gegen Paderborn zu Hause spielen und ausscheiden. Für uns sind die Bayern in sportlicher Hinsicht ein Hammerlos. Es ist wahrscheinlich, dass wir ausscheiden. Finanziell würden wir aber in diesem Fall das Gefühl haben, die 2. Runde erreicht zu haben. Für die Fans ist es dagegen ein Traum, den FC Bayern hier spielen zu sehen.

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