"Finanzielle Stabilisierung genießt erste Priorität"

Von Interview: Christian Bernhard
Reiner Maurer ist zum zweiten Mal in seiner Karriere Cheftrainer der Münchner Löwen
© Getty

Reiner Maurer ist seit dem Sommer zum zweiten Mal in seiner Karriere Cheftrainer des TSV 1860 München. Im Interview spricht der 50-Jährige über die schwierige finanzielle Situation des Vereins, die Auswirkungen der Finanzprobleme auf seine Arbeit und die Faszination Sechzig.

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SPOX: Sie haben mit Ihrem Team nur eines der letzten 13 Spiele verloren, trotzdem dreht sich bei 1860 München momentan alles um die finanzielle Situation des Vereins? Wie nimmt die Mannschaft die aktuelle Situation auf?

Reiner Maurer: Klar ist da viel über das Team hereingebrochen. Aber jeder hat erstmal mit sich selbst genug zu tun. Und natürlich hört es keiner gern, wenn es heißt, Spieler müssen abgegeben werden. Umgekehrt gäbe es dieses Problem aber auch, wenn wir im Winter neue Spieler holen würden. Dadurch könnte ebenfalls eine neue Gruppendynamik entstehen, was zu negativen Auswirkungen führen kann. Wir als Mannschaft müssen unsere Aufgaben erfüllen, und die liegen auf dem Platz.

SPOX: 1860 München scheint kein Verein wie jeder andere zu sein.

Maurer: Sechzig ist aufgrund der unheimlich großen Medienpräsenz  sicher ein bisschen schwieriger zu führen, als andere Vereine. Wir haben in München viele Boulevardzeitungen, wo es nur Weiß oder Schwarz gibt. Die Spieler sind entweder die absoluten Könige oder werden eben mal schnell als Deppen hingestellt. Da kommt oft Neid auf. Das zu relativieren, ist sehr schwierig. Ein Vorteil für mich ist sicher, dass ich das ganze Umfeld sehr gut kenne - von der Waschfrau bis zu den Journalisten.

SPOX: Was bedeutet 1860 für Sie?

Maurer: Der Verein ist natürlich etwas ganz besonderes für mich. Ich komme ja nur 90 Kilometer von hier entfernt, direkt bei uns im Ort (Mindelheim, Anm d. Red.) gibt es Löwen-Fanklubs mit vielen Mitgliedern. In einer Kleinstadt kennt jeder jeden, man weiß, ich bin da Trainer - worüber ich nicht immer unbedingt glücklich bin, denn man wird überall angesprochen. (lacht) Aber Sechzig ist nun mal der volksnahe Verein. Es ist nicht üblich, dass die Zuschauer beim Training auf alle zugehen und fragen können: "Wieso stellst du beim Eckball nur einen Spieler an den Pfosten?" Da kommen Fragen auf, mit denen man sonst nicht konfrontiert wird. Aber das macht ja die Faszination 1860 aus.

SPOX: Täuscht der Eindruck, dass Sie die Löwen-Charakteristika sehr verinnerlicht haben und das alles verkörpern?

Maurer: Ich sehe mich als Trainer in erster Linie als Vorbild. Klar wollen die Zuschauer guten Fußball sehen, aber die Leidenschaft und Kampfbereitschaft muss immer erkennbar sein. Deshalb schaue ich auch auf Spieler, die diese Tugenden verkörpern. Der Zuschauer muss sich mit der Mannschaft identifizieren können, das ist für mich unheimlich wichtig.

SPOX: Die Fans sind aber alles andere als glücklich, wenn junge Spieler wie zuletzt Moritz Leitner verkauft werden müssen. Stichwort Ausbildungsverein...

Maurer: Wir sind natürlich ein Arbeiter- und ein Ausbildungsverein und wir wissen um die jetzige Situation, die schwierig ist. Ich denke, dass es der Verein zu schätzen weiß, dass ich den wirtschaftlichen Sanierungskurs mittrage.

SPOX: Sie möchten aber auch mit der Mannschaft aufsteigen.

Maurer: Natürlich möchten wir maximalen sportlichen Erfolg. Erste Priorität genießt aber die finanzielle Stabilisierung.  Das kann dann bedeuten, dass man eben auf den einen oder anderen Neuzugang verzichten muss.

SPOX: Für Ihre Arbeit sprechen auch die Zehn-Spiele-Serie ohne Niederlage zwischen dem 4. und 14. Spieltag und die Siege gegen die zwei Teams, die jetzt an der Spitze stehen: Augsburg und Hertha. Was sind die Gründe dafür?

Maurer: Wir haben einen guten Teamspirit und es gibt eine gewisse Hierarchie, was auch wichtig ist. Ich schaue, dass es einen klaren, transparenten Umgang mit den Spielern gibt, und ich versuche eine gewisse Gerechtigkeit zu garantieren.

SPOX: Im Vergleich zum Vorjahr spielt das Team einen viel attraktiveren Fußball. Wie haben Sie diesen Wechsel hinbekommen?

Maurer: Das ist meine Philosophie: Frühzeitig stören, schnell nach vorne spielen. Zu Beginn war das nicht ganz einfach, denn in jedem Spieler sind verschiedene Mechanismen schon drin. Andererseits gibt es gewisse Verhaltensmuster, die passen vielleicht super und können so übernommen werden. Und natürlich braucht das Team eine gewisse Balance. Ein Benny Lauth ist kein Lauftier, aber er macht die Tore, ist beweglich, super im Eins gegen Eins und kann jederzeit für die Entscheidung sorgen. Von dieser Sorte Spieler kann ich aber nicht sechs aufstellen.

SPOX: War Florin Lovin einer dieser Spieler, dessen Art nicht die Ihre war?

Maurer: Nein, so kann man das nicht sagen. Florin Lovin hatte mit seinem Kreuzbandriss eine lange und schwerwiegende Verletzung, das war nicht einfach für ihn. Er hat aber eine sehr gute Qualität.

SPOX: Ist er auf einem guten Weg?

Maurer: Er hatte gute Spiele. Aber er muss torgefährlicher werden, wenn wir mit zwei Sechsern spielen.

SPOX: Haben Sie eine Mannschaft oder einen Trainer, der Modell für Ihre Spielweise steht?

Maurer: Nein. Ich komme aus dem Analysebereich und habe dort unter anderem für den DFB und Christoph Daum gearbeitet. Die Viererkette ist für mich ein Fixpunkt, davor bevorzuge ich zwei Sechser. Das liegt aber auch an den Spielertypen, die zur Verfügung stehen. Außerdem setze ich auf zwei Flügelspieler, die gut Eins gegen Eins gehen können. Ich habe aber auch Spiele von holländischen Teams gesehen, die mit einer Spitze und einem Zehner agierten, deshalb bin ich kein absoluter Verfechter des 4-4-2. Die entscheidende Frage ist immer: Welches Material steht mir zur Verfügung?

SPOX: Den Außenspielern kommt Ihr Spiel sehr entgegen. Sind Sie ein zentraler Punkt Ihres Spiels?

Maurer: Ja, sie sind sehr wichtig für mich. Wir wollen schnell spielen, aber uns nicht nur auf das Kurzpassspiel beschränken, sondern auch auf Spielverlagerungen, um mit den schnellen Außen in den Rücken des Gegners zu kommen. Normalerweise benötigt dieses Spielsystem zwei Sechser, die das ausgleichen und die auch in Unterzahl das Spiel von der eigenen Hälfte fernhalten können.

SPOX: Vorne sorgt Benjamin Lauth wieder für die Tore. Wie erklären Sie sich seine tolle Form?

Maurer: Das ist jetzt eigentlich der Normalfall, Benny hat für mich diese Qualität. Ich kenne ihn, seit er 18 ist, und weiß um seine Qualitäten, die Stärken und die Schwächen. Nach außen mag seine Art vielleicht manchmal arrogant wirken, aber er ist ein absolut positiver Typ. Man muss ihn so nehmen, wie er ist, und darf ihn nicht in eine Rolle reindrängen, die ihm nicht behagt.

SPOX: Was meinen Sie damit?

Maurer: Wenn Benny frisch ist, stellt er jeden Gegner im Eins gegen Eins vor große Probleme - auch in der Bundesliga. Das hat er hat ja auch im Pokal gegen Köln bewiesen. Wenn man ihm zu viele Defensivaufgaben aufhalst, ihn permanent zu langen Wegen bis zum gegnerischen Tor zwingt, kommt ihm das nicht zugute. Er lebt von seiner Spritzigkeit.

SPOX: Ihre Aufgabe ist also eine Art Gratwanderung.

Maurer: Genau. Er ist ja erfahren, war bereits als 22-Jähriger in der Nationalmannschaft. Er arbeitet ja auch oft für die Mannschaft und holt sich Bälle. Aber er soll seine Spritzigkeit nicht wegen unnötiger Laufduelle verlieren.

SPOX: Ebenfalls sehr wichtig ist Daniel Bierofka. Man hat den Eindruck, dass sich das Team besonders im Spiel nach vorne schwer tut, wenn er nicht dabei ist.

Maurer: Biero hat viel Erfahrung und ist ein Spieler, der sehr gut nach hinten mitarbeitet. Er kann eine unheimliche Dynamik nach vorne entwickeln und hilft der Mannschaft auch mit seiner Präsenz.

SPOX: Hat er das Kommando bei den jungen Spielern?

Maurer: Er ist kein Lautsprecher, aber sein Wort hat Gewicht. Biero ist sehr ehrgeizig, manchmal sogar zu sehr. Ich muss immer darauf achten, dass ich ihn nicht zu viel, aber eben auch nicht zu wenig spielen lasse. Wenn es nach ihm gehen würde, wäre er immer von der ersten bis zur letzten Minute auf dem Platz. Aber nach seiner langen Verletzungspause ist es wichtig, ihn auch mal in der einen oder anderen Trainingseinheit pausieren zu lassen. Unsere Ärzte und Physios haben hier aber ein gutes Auge drauf.

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