"Bin stolz, dass ich das erleben darf"

Von Interview: Markus Matjeschk
Identifikationsfigur und Taktgeber: Enrico Kern spielte schon in der Jugend für den FC Erzgebirge Aue
© Imago

Enrico Kern verkörpert den Fußball in Aue wie kein anderer. Im Sommer zog es den 31-Jährigen in die Heimat zurück. Der Angreifer über das Phänomen Aue, Fußball in Ostdeutschland und ein Tor, das er nie vergessen wird.

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SPOX: Herr Kern, Aue ist bester Aufsteiger aller Zeiten und momentan sogar auf Bundesliga-Kurs. Wie ist zu erklären, dass derzeit scheinbar alles klappt?

Enrico Kern: Mit guter Arbeit in der Vorbereitung, auch wenn's nicht ganz den Ergebnissen entsprechend lief. Wir hatten uns als Aufsteiger sehr viel vorgenommen. Gerade die ersten drei Spiele waren unsere Landmarke, um zu wissen, wo wir stehen. Das lief besser als erwartet. Darauf hat die Mannschaft aufgebaut und Selbstvertrauen für die nächsten Spiele getankt. Außerdem können wir bislang auch auf unsere Heimstärke bauen.

SPOX: Sie sind punktgleich mit dem Tabellenführer, dennoch geben sich in Aue alle zurückhaltend.

Kern: Ich denke, es kommt dem Team zugute, dass im Verein und im Umfeld keine Stimmen laut werden, die jetzt den Aufstieg fordern. Wir bleiben einfach auf dem Boden mit der Maßgabe, dass wir Aufsteiger sind und uns über Jahre in der Liga etablieren wollen. Unser Ziel sind die magischen 40 Punkte für den Klassenerhalt. Solange wir das nicht erreicht haben, werden wir keine anderen Ziele herausgeben. Sobald wir die 40 Punkte erreicht haben, können wir das immer noch revidieren.

SPOX: Bei den Fans ist dennoch Euphorie ausgebrochen.

Kern: Das ist natürlich sensationell. Man kann's den Leuten hier auch nicht verübeln, die Mannschaft spielt ganz gut und ist erfolgreich. Aber es ist schon eine Sensation, dass wir im Schnitt 10.000 Zuschauer haben, obwohl Aue nur um die 17.000 Einwohner hat. Viele kommen aus den Nachbarstädten, die wir mit in den Bann gezogen haben. Die Zuschauer peitschen einen noch einmal zusätzlich nach vorne. Das ist für den Erfolg, für die Mannschaft und für den Verein extrem wichtig.

SPOX: Wie ist der Kontakt zu den Fans?

Kern: Der Kontakt ist natürlich nicht so oberflächlich, wie es bei den größeren Vereinen üblich ist. Hier haben der Verein und das Umfeld etwas Familiäres. Man geht durch die Stadt, man hat viel in der Nähe, weil die Stadt einfach nicht so groß ist. Man begegnet sich hier und dort, jeder kennt jeden - ich meine das im positiven Sinn. Das ist hier etwas Besonderes.

SPOX: Speziell für Sie: Sie sind nur wenige Kilometer entfernt von Aue aufgewachsen.

Kern: Für mich ist das natürlich etwas ganz Besonderes. Ich bin hier aufgewachsen, bin hier zur Schule gegangen und habe die Jugendmannschaften durchlaufen. Teilweise arbeiten die Trainer von früher noch immer im Verein. Wenn man im Laufe der Jahre gesehen hat, wie sich das hier weiterentwickelt hat, ist das schon ein Phänomen und ich bin stolz darauf, dass ich das zum Ende meiner Laufbahn mitnehmen darf.

SPOX: Wie wichtig ist Aues Erfolg für die Region?

Kern: Sehr, sehr wichtig. In den letzten Wochen wurde ich von Leuten angesprochen, die gesagt haben: "Wir wussten gar nicht, wo Aue liegt". Das sagt schon einiges aus. Der Erfolg ist wichtig für die Region, aber auch im Hinblick auf das jährliche Tauziehen um Sponsoren. Der finanzielle Aspekt spielt also auch eine wichtige Rolle. Das Umfeld ist mit dem Sportlichen natürlich immer verbunden.

SPOX: Sie waren lange in Rostock, haben den Aufstieg und die Euphorie im Umfeld miterlebt. Hansa konnte davon nicht profitieren und ist mittlerweile nur noch drittklassig. Wann wird die Erwartungshaltung von außen zum Problem?

Kern: In Rostock ist das etwas anderes, vom Umfeld, vom Stadion, von den Fans, die natürlich in den letzten Jahren viel erlebt haben mit Aufstieg und Abstieg. Hansa ist ein Fahrstuhlverein. Wenn man einmal in die Bundesliga aufgestiegen ist, will man sich als Fan, als Fußballer und als Verein dort behaupten. Ein Abstieg passt da nicht so gut in einen Lebenslauf. Ich denke, da oben war mehr Druck, gerade nach dem Abstieg aus der 2. Liga.

SPOX: In Aue ist das anders?

Kern: Ganz anders. Hier ist vom Druck gar nichts zu spüren, weil jeder weiß, dass wir Aufsteiger sind und uns in der 2. Liga behaupten wollen. Alles, was über Platz 14 hinausgeht, ist ein Riesenerfolg. Aber ich weiß natürlich auch, wie es im Fußball ist: so schnell wie man oben ist, kann man auch wieder unten sein. Wir werden natürlich auch irgendwann wieder zwei, drei Spiele verlieren. Aber ich hoffe, dass wir bis zur Winterpause noch ein bisschen auf der Welle weiterschwimmen.

SPOX: Obwohl sich der Druck in Aue in Grenzen hält, steigen natürlich die Ansprüche im Umfeld und auch das Interesse der Öffentlichkeit.

Kern: Wir können trotz des Rummels konzentriert arbeiten. Natürlich muss man als Fußballer davon ausgehen, dass man in der Öffentlichkeit steht. Dessen ist man sich bewusst und dementsprechend tritt man auf, wenn man Erfolg hat. Man kann das auch bewusst eindämmen. Ich werde jetzt, wo der Erfolg da ist, sicherlich nicht mehr Interviews oder Autogrammstunden geben als sonst. Es gibt den einen oder anderen Pflichttermin, den Rest hält man in Grenzen.

SPOX: "Spiegel-Online" bezeichnet Aue als "Lichtblick im Ostfußball". Ist die aktuelle Entwicklung eine Momentaufnahme oder auch eine mögliche Perspektive für die Zukunft?

Kern: Wir arbeiten natürlich darauf hin, dass wir auch in den kommenden Jahren Gesprächsthema bleiben. In erster Linie müssen wir uns dazu in der 2. Liga festsetzen. "Lichtblick" ist so ein komisches Wort. Gerade im Osten gibt es Großstädte, die mehr Potenzial hätten aber fußballerisch in den letzten Jahren nicht den Durchbruch geschafft haben. Wir sind stolz, dass wir das geschafft haben. Aber wichtig ist, dass wir nicht nur an den Moment denken, sondern auch darüber hinaus, was in den kommenden Jahren passiert.

SPOX: Sie sind Zweiter, Cottbus Vierter, Rostock Tabellenführer in der 3. Liga. Ist der ostdeutsche Fußball langsam wieder im Kommen?

Kern: Mit Sicherheit. Die Klubs müssen versuchen, nicht nur kurzfristig gesehen Erfolg anzustreben, sondern auf längere Sicht. Rostock baut zunehmend auf junge Spieler. So etwas muss Hand und Fuß haben, dann kommt auch der Erfolg. In Aue versucht man das auch. Junge Spiele sollen sagen: Aue wäre eine gute Alternative für mich.

SPOX: Werden sich Vereine wie Cottbus oder Rostock künftig wieder in der Bundesliga etablieren?

Kern: Ich denke schon. Ich denke auch, dass gerade ein Verein wie Rostock erstligatauglich ist und in die Bundesliga gehört. Generell glaube ich, dass im Osten eine gute Entwicklung im Gange ist und ich denke, dass künftig wieder vermehrt Vereine in der 1. und 2. Liga vertreten sein werden.

SPOX: Was ist Ihnen aus Ihrer Bundesligasaison mit Hansa noch besonders im Hinterkopf geblieben?

Kern: Das war natürlich für mich persönlich eine sehr schöne Zeit, speziell der Aufstieg. Damals hatten wir auch nicht den Aufstieg als Ziel ausgegeben. Das hat sich dann erst im Laufe der Saison geändert. Wir waren auch keine spielerisch hervorragende Mannschaft. Aber innerhalb der Mannschaft hat es von den Charakteren gestimmt. Auch privat war das eine sehr schöne Zeit. Aber das ist Vergangenheit, jetzt bin ich wieder zu Hause bei meiner Familie. Im Grunde war es eigentlich der Aufstieg, der mir noch in Erinnerung geblieben ist.

SPOX: Vielleicht auch der erste Bundesligatreffer?

Kern: (lacht) Ja, das stimmt. Der erste Bundesligatreffer war ja auch kein gewöhnliches Tor von mir. Der Fallrückzieher in Bielefeld. Das hat einfach gepasst. Insgesamt, mit den Toren und der Atmosphäre und mit allem, was dazugehört, war das schon ein tolles Jahr, auch wenn's letztendlich nicht gereicht hat.

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