Feindschaft aus Tradition

Von Cihan Acar
Fenerbahce und Galatasaray trafen bis heute 363 Mal gegeneinander an
© Getty

Am Sonntag (18 Uhr im LIVE-TICKER) ist es wieder soweit: Derbytime in Istanbul! Wenn die großen Rivalen Fenerbahce und Galatasaray aufeinandertreffen, herrscht in der Türkei Ausnahmezustand. Was vor über hundert Jahren noch freundschaftlich begann, entwickelte sich nach einem Zwischenfall zu einem der brisantesten Derbys der Fussballwelt. SPOX wirft einen Blick zurück auf die 10 besten, ereignisreichsten und interessantesten Derbys zwischen den zwei Erzfeinden vom Bosporus.

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Beginn einer Feindschaft: Am Anfang war alles friedlich: Fenerbahce und Galatasaray trugen nach ihrer Gründung Anfang des 20. Jahrhunderts viele freundschaftliche Duelle aus und planten sogar einen Zusammenschluss. Als Wendepunkt in der Beziehung beider Verein gilt heute eine Partie am 23. Februar 1934. In der 60. Minute kam es zu einem Zwischenfall, bei dem der Legende nach ein Fener-Akteur von einem gegnerischen Spieler vom Feld geworfen wurde.

Daraufhin entstand auf dem Spielfeld und kurz darauf im ganzen Stadion eine Massenschlägerei, sodass die Partie abgebrochen werden musste. 17 Spieler wurde mit langen Sperren bestraft, Besiktas konnte als lachender Dritter die Meisterschaft einfahren, doch viel wichtiger: die große Rivalität zwischen Fenerbahce und Galatasaray war geboren.

Debakel I: Sowohl für Fener als auch Gala hat seitdem das Bessersein als der Derbykontrahent höchste Priorität. Hohe Derbysiege werden deshalb bei beiden Vereinen zum Teil der Vereinsgeschichte und immer wieder gerne in Erinnerung gerufen. Auf Seiten Galatasarays ist man besonders stolz auf den 7:0 Sieg am 12. Februar 1911 beim erst dritten Aufeinandertreffen.

Aufgrund der Höhe des Sieges und mangelnder Quellen gibt es bis heute Streitigkeiten zwischen den beiden Lagern über die wahren Umstände der Partie: Hat Galatasaray das Spiel wirklich nur mit sieben Spielern bestritten? Stimmt es, dass Fenerbahce ohne einen richtigen Torhüter angetreten ist? Eins steht aber fest: das 7:0 war der höchste Sieg in der Derbygeschichte.

Debakel II: Die Rache der Gelb-Blauen folgte 91 Jahre später. Der 6. November 2002 ist ein schwarzer Tag für alle Galatasaray-Anhänger und steht sinnbildlich für das Kadiköy-Dilemma von Galatasaray. Kadiköy ist der Stadtteil Istanbuls, der das Sükrü-Saracoglu-Stadion von Fener beherbergt, und hier sieht Gala traditionell kein Land. Der letzte Sieg datiert aus dem Jahr 1999, die Bilanz seitdem ist ernüchternd: 13 Spiele, 12 Niederlagen, ein Unentschieden.

Auch an jenem Novemberabend hatte man im Stadion des Erzfeindes nichts zu melden: unter der Leitung von Werner Lorant fegte Fener den Rivalen im heimischen Stadion mit 6:0 vom Platz. Doppeltorschütze Serhat Akin kommentierte den Sieg folgendermaßen: "Die Fans forderten während des Spiels fünf Tore von uns, am Ende sind es sechs geworden. Danach wollten sie, dass wir zehn Tore machen, doch die Zeit hat leider nicht gereicht."

Der damalige Galatasaray-Präsident Özhan Canaydin bewies trotz der Schmach Größe, applaudierte im Stadion jedes Tor des Gegners und gratulierte Fener-Präsident Aziz Yildirim nach der Partie. Dafür wurde der inzwischen verstorbene Canaydin vom Internationalen Fair Play-Komitee ausgezeichnet. Bei den Gala-Fans war er für immer unten durch.

Die Hand Lucianos: Doch die Derbygeschichte besteht nicht nur aus Kantersiegen, es ging auch schon ausgeglichener zu. Am 21. September 2003 trug Galatasaray das Derby nicht im heimischen Ali-Sami-Yen-Stadion, sondern im Atatürk-Olympiastadion aus. Mit 70.000 Zuschauern ist die Partie bisher die meistbesuchte in der Derbygeschichte.

Beide Mannschaften lieferten sich im ungewohnten Stadion einen packenden Fight, am Ende der 90 Minuten stand es 2:2, wobei alle Tore per Kopf erzielt wurden. In der Nachspielzeit dann die Schlüsselszene: nach einer Flanke spielte Fener-Abwehrmann Luciano im Strafraum den Ball deutlich mit der Hand. Gala-Spieler Batista beschwerte sich nach dem Abpfiff vor laufenden Kameras lautstark beim Unparteiischen Muhittin Bosat: "Das haben doch 70.000 Leute gesehen!" Der Angesprochene aber nicht. Dafür hörte der eine Beleidigung des Ersatzspielers Hasan Sas und zeigte ihm die Rote Karte. Kurz darauf war Bosats Schiedsrichterlaufbahn zu Ende.

Flaschenregen: Doch Bosats Aufgabe war noch ein Kinderspiel im Vergleich zu der Partie, die der Unparteiische Bülent Demirlek am 19. Mai 2007 zu leiten hatte. Fenerbahce trat als feststehender Meister im Ali Sami Yen an, und dies führte im Vorfeld zu vielen Diskussionen in der Türkei.

Da der FC Chelsea kurz zuvor dem damals ebenfalls frisch gebackenen Meister Manchester United vor dem Aufeinandertreffen am Saisonende Spalier stand und Applaus spendete, herrschte vor der Partie die große Frage, ob Galatasaray dem Rivalen auch die Ehre erweisen sollte. Zu der Geste kam es leider nicht, im Gegenteil: statt Beifall regnete es im Ali Sami Yen nämlich unzählige Plastikflaschen von den Tribünen, und die Partie musste aufgrund von Ausschreitungen auf den Tribünen mehrmals unterbrochen werden.

Grund für das Verhalten der Fans waren Zwischenfälle im Hinspiel, bei dem der damalige Gala-Coach Erik Gerets und einige Spieler von auf das Spielfeld geworfenen Gegenständen verletzt worden waren. Fener ließ sich von den Anfeindungen nicht beeindrucken und gewann mit 2:1, doch das Sportliche wurde bei all dem Chaos fast zur Nebensache. Gala wurde nach der Partie zu fünf Heimspielen ohne Zuschauer verdonnert.

Als die Fener-Spieler nach dem Abpfiff mit ihren mitgereisten Fans feierten, verschwand die enttäuschte Gala-Mannschaft nicht etwa in die Kabine, sondern verharrte mit ernsten Mienen und verschränkten Armen im Mittelkreis und schaute dabei zu. Der Grund: somit wurde verhindert, dass der Gegner dafür Rache nehmen konnte, was Ex-Gala-Trainer Graeme Souness mit einer Galatasaray-Fahne im Stadion von Fenerbahce getan hatte.

Souness und die Fahne: Souness? Fahne? Dazu müssen wir in das Jahr 1996 zurück. Galatasaray trat damals unter der Leitung des Schotten bei Fenerbahce zum Finalrückspiel an. Die Mannschaft von Souness bezwang Fener in deren Stadion durch ein spätes Tor des Walisers Dean Saunders in der Verlängerung und wurde damit Pokalsieger. Als die Mannschaft nach dem Abpfiff auf dem Rasen den Sieg feierte, schnappte sich Souness eine überdimensionale gelb-rote Fahne und rammte sie in den Anstoßpunkt.

Das Fener-Stadion explodierte förmlich in ohrenbetäubendem Lärm, doch Souness joggte einfach mal eben lässig vom Platz, als sei nichts gewesen. Was vom Schotten eher als persönliche Abrechnung gedacht war - nach seiner Verpflichtung hatte ihn ein Mitglied des Fener-Vorstands als "Krüppel" bezeichnet, da Souness eine Herzoperation hinter sich hatte - ist von beiden Fanlagern bis heute unvergessen.

Während die einen ihn immer noch als "Ulubatli Souness" feiern (in Anlehnung an "Ulubatli Hasan", einen Soldaten, der bei der Eroberung Istanbuls die türkische Fahne gehisst hatte), konnte Souness froh sein, dass die Sicherheitskräfte und Polizisten im Stadion ihm unter größter Mühe die anderen vom Hals halten konnten.

Wer zuletzt lacht: Die empfindlichste Heimniederlage Galatasarays erfolgte ebenfalls in einem Heimspiel im Pokal. Im Jahre 1989 kam es im Ali-Sami-Yen-Stadion zum Duell beider Mannschaften im Viertelfinale. Zur Halbzeit hatte Fener-Torwart Toni Schumacher bereits drei Tore kassiert und das Spiel schien bereits entschieden.

Die Gala-Akteure nutzten im Gefühl des sicheren Sieges die Gelegenheit, den großen Erzfeind ein wenig vorzuführen: Torwart Zoran Simovic stoppte einen Ball mit der Brust, im Mittelfeld wurde der Ball zwischendurch ein wenig jongliert, und der Fankurve des Gegners wurde per Fingerzeig ein 5:0-Sieg angekündigt. Mit der 3:0 Führung der Löwen ging es in die Halbzeitpause.

Die Überheblichkeit sollte sich jedoch rächen: Fener konnte in der zweiten Hälfte ein frühes Tor erzielen, war plötzlich überlegen und legte drei weitere Treffer zum 4:3 Sieg nach. Fener-Legende Ridvan Dilmen erklärte nach dem Spiel, wie sehr das Verhalten des Gegners die Mannschaft angestachelt hatte: "Wenn sie 7:0 geführt hätten, hätten wir noch acht Treffer erzielt."

Der Johnson-Schock: Während Fener damals in der Halbzeit wie der sichere Verlierer aussah, gab man der Mannschaft elf Jahre später schon vor der Begegnung keine Chancen auf den Sieg.Die Partie vom 26. März 2000 sorgt bei Gala-Fans heute noch für ungläubiges Kopfschütteln. Zur Jahrtausendwende war die Rollenverteilung im ewigen Duell ganz klar bestimmt: Gala war seit Jahren die tonangebende Mannschaft der Türkei und sorgte in jener Saison sogar international für Furore, am Ende sollte mit dem UEFA-Cup Gewinn der größte Erfolg der Vereinsgeschichte folgen.

Fener dagegen erlebte eine katastrophale Saison, hatte bereits zwei Trainer entlassen und hatte keine Ambitionen mehr auf den Titel. Niemand gab Fener auch nur die geringste Chance, und sie schienen Recht zu behalten, denn 90 Minuten lang spielte Gala vor heimischem Publikum den Gegner an die Wand und erspielte sich Chance um Chance.

Dann die 81. Minute: Fener-Abwehrspieler Samuel Johnson läuft an zum Freistoß, der Ball wird von der Mauer abgefälscht und senkt sich hinter dem verdutzten Keeper Taffarel ins Netz. Danach stammelte ein sichtlich irritierter Hakan Sükür in die Mikrofone: "Sie haben uns besiegt, ohne auch nur in unseren Strafraum zu gelangen."

Keine Lust auf Elfmeter: Über mangelnde Strafraumszenen konnte man ein Jahr später nicht klagen, als die Kontrahenten im Pokalhalbfinale wieder aufeinander trafen. Im Sükrü Saracoglu entwickelte sich ein spektakulärer Schlagabtausch. Nach 85 Minuten stand es schon 4:2 für Fener, doch in den Schlussminuten erzielten die Gäste durch Stürmer Mario Jardel und Ümit Davala noch den Ausgleich zum 4:4.

Nach der torlosen Verlängerung sollte die Entscheidung schließlich im Elfmeterschießen erfolgen. Doch bei Galatasaray musste zunächst eine andere Entscheidung gefällt werden: Wer schießt? Keiner der Spieler erklärte sich nämlich zunächst bereit dazu. Sogar Gheorghe Popescu winkte ab, obwohl der einige Monate zuvor noch im UEFA Cup-Finale den entscheidenden Elfer verwandelt hatte. Bei so wenig Entschlossenheit auf Seiten der Löwen war es dann auch kein Wunder, dass Fener das Elfmeterschießen für sich entschied und den Finaleinzug bejubelte.

Fener und der Pokal: Das folgende Finale konnte Fener aber nicht gewinnen, wie so oft. Denn was für Galatasaray ein Auswärtssieg in Kadiköy ist, ist für Fenerbahce ein Sieg im Pokalfinale: oft versucht, seit langem nicht mehr geschafft. Der letzte Pokalsieg liegt bereits 27 Jahre zurück, seitdem ist der Verein ganze sieben Mal im Finale gescheitert.

Besonders schmerzhaft war das Finale gegen Gala am 11. Mai 2005. Fener war auf dem Weg zur Meisterschaft und war haushoher Favorit, Gala war spielte eine schwache Saison und war im Meisterschaftsrennen abgeschlagen. Doch unter der Leitung von Vereinslegende Gheorghe Hagi und unter anderem durch Tore von Franck Ribéry und Hakan Sükür verpasste Gala dem Rivalen eine empfindliche 5:1 Klatsche und bejubelte den Gewinn des Pokals. Oder doch den Gewinn gegen Fener?

Wohl beides: "Wir haben den Pokal oft gewonnen, doch der heutige Sieg ist mit Abstand der schönste" sagte das damalige Vorstandsmitglied Ergün Gürsoy. Hagi, der seit dieser Woche wieder Trainer bei Galatasaray ist, soll übrigens gleich nach seiner Ankunft als Vorbereitung für das anstehende Derby die Verantwortlichen um ein Video des damaligen Sieges gebeten haben...

Fenerbahce vs. Galatasaray: Die Bilanz