Ohne Rücksicht auf Verluste

Von Alex Truica
Das arme Stadtteilteam Rayo Vallecano bejubelt einen erneuten Sieg in La Liga
© Getty

Vom Abstiegskandidaten Nummer eins zur Überraschung der Saison. Rayo Vallecano spielte die beste Hinrunde der Vereinsgeschichte. Während die Fans gegen hohe Ticketpreise und Anstoßzeiten protestieren, träumen sie dank des frechen Angriffsfußballs ihres Teams von Europa.

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"Für die Arbeit, für die Suche nach Arbeit, fürs Studieren, um den Kater loszuwerden... Montage sind für viele Dinge gut, aber nicht, um zum Fußball zu gehen."

So stand es Schwarz auf Weiß auf einem Banner geschrieben, hochgehalten in einem leeren Block hinter dem Tor. Das war am ersten Spieltag, als Rayo Vallecano an einem Montagabend um 21 Uhr den FC Granada empfing. Unter dem Banner prangte noch ein größeres Spruchband, mit Buchstaben fast so riesig wie das Tor selbst: "Nein zum Fußball am Montag".

Die Bukaneros, die Ultras von Rayo, protestierten so gegen die Montagsspiele der Primera Division. Während der Saison kamen nach und nach immer neue, kreative, teilweise äußerst provokante Banner hinzu.

Immer wieder montags

Am Montag spielen, das assoziiert man in Deutschland mit der zweiten Liga. In Spanien wird das Spiel der Primera Division meistens nicht richtig wahrgenommen, der eigentliche Spieltag, die wirkliche Berichterstattung in Fernsehen, Radio und Zeitungen, schließt am Sonntagabend ab.

Das Montagsspiel ist das Anhängsel, das nicht richtig zum Spieltag dazugehört. Wer international spielt, für den kommt der Werktag als Anstoßzeitpunkt nicht in Frage. Meist müssen die vermeintlich unattraktiven, kleineren Teams montags ran. Nur Real Valladolid musste öfter als Rayo am ungeliebten Termin antreten.

"Die Montage bringen uns um", beschwerte sich Vallecanos Trainer Paco Jemez einst martialisch. "Wir brauchen die Leute im Stadion, sie sind eine unserer Waffen." Die Montagsspiele im Madrider Arbeiterviertel Vallecas sind am schlechtesten besucht. Auch, weil die Fans mit ihrer Abwesenheit so gegen die Spieltagansetzung protestieren.

Flutlichtsabotage im Derby

So sind die Protestaktionen der Bukaneros mittlerweile berüchtigt in Spanien, spätestens seitdem Rayos Fans verdächtigt werden, beim Spiel gegen Real Madrid die Flutlichtanlage lahmgelegt zu haben. Das Derby war ebenfalls an einem Montag angesetzt, unmittelbar vor Anstoß musste die Partie abgesagt werden, weil Unbekannte mehrere Lichtkabel durchgeschnitten hatten.

In der Presse wurde spekuliert, die Fans hätten mit der Aktion gegen Anstoßzeit und Ticketpreise protestiert. Für die Partie wurde ein Top-Zuschlug von satten 25 Euro erhoben. Das Spiel wurde am darauffolgenden Tag wiederholt, Rayo verlor 0:2. Unter Flutlicht.

"Wir sind klein und arm, sie glauben, dass wir Idioten sind. Aber wir sind keine. Es trifft immer uns, die Dummen aus dem Viertel", meckerte Jemez einmal nach einer weiteren Montagsbegegnung.

Die Champions League in Reichweite

Trotz der - zumindest in der Betrachtung von Jemez - terminlichen Benachteiligung schlägt sich Rayo beachtlich in dieser Saison.

Trotz der Niederlage beim FC Sevilla liegen sie auf einem überraschenden siebten Platz. Mit acht Siegen aus den letzten 13 Spielen hat man sich an die Europa-League-Plätze gekämpft.

Nur zwei Punkte trennt Rayo von Champions-League-Qualifikationsrang vier, der derzeit vom FC Malaga besetzt wird. Und bekanntlich darf Malaga nach aktuellem Stand gemäß der UEFA-Sanktionierung nächstes Jahr an keinem europäischen Wettbewerb teilnehmen.

Der kleinste Etat der Liga

Rayo spielte die beste Hinrunde der Vereinsgeschichte. Nicht schlecht für einen Klub mit dem zweitniedrigsten Zuschauerschnitt - rund 10.000 kommen gerade einmal zu den Heimspielen - und dem kleinsten Etat (sieben Millionen Euro). Zum Vergleich: Die Zweitligisten Ingolstadt, Cottbus und Bochum haben ähnliche Budgets für ihr Team zur Verfügung.

Bedenkt man den großen Umbruch vor der Saison - ihr Trainer Jose Ramon Sandoval und 13 Spieler verließen den Verein, darunter ihre Lebensversicherung Michu, der für 2,5 Millionen zu Swansea ging und nun England aufmischt - ist der Tabellenplatz umso erstaunlicher.

Rang neun war bisher die beste Platzierung Vallecanos in La Liga. Bis auf eine Ausnahme spielten sie noch nie international - und das auch nur auf Grund der Fair-Play-Wertung in der Saison 2000/01, als man in den Uefa-Cup befördert wurde.

Überraschende Auswärtssiege und Heimstärke

Mit unerwarteten Auswärtssiegen in Malaga, Bilbao, Valencia und bei Real Betis hievte sich Rayo in für sie ungeahnte Tabellenregionen. Besonders zu Hause ist Rayo stark. Im Campo de Futbol de Vallecas verlor man nur gegen Real Madrid, den FC Barcelona und Real Saragossa, siegte aber schon siebenmal.

Zuletzt gab es drei beeindruckende Heimsiege in Serie, in denen Rayo jeweils drei Tore schoss und teilweise sehr überzeugenden Angriffsfußball bot.

Angriffsfußball, den ihnen ihr Trainer verordnet hat. Paco Jemez lässt offensiv und ballbesitzorientiert spielen. Bevor Rayo im Oktober den FC Barcelona zu Gast hatte, sagte Jemez, er wäre "beschämt", so defensiv wie Celtic eine Woche zuvor in der Champions League gegen den großen Favoriten zu spielen. Das Resultat: 20 Minuten setzte Rayo Barca zu, attackierte früh, spielte draufgängerisch - und verlor 0:5. Aber Vallecano blieb seinem Stil und der Philosophie des Coaches treu.

Coach Paco Jemez liebt die Offensive

Kurzpassspiel und Pressing sind die Hauptmerkmale Rayos unter Jemez. Sie spielen frech, aggressiv und sehr dynamisch nach vorne. Anfangs der Saison testete Jemez eine Dreierkette, die Außenverteidiger wurden zu Mittelfeldspielern.

Seine Spieler würden sich mit vier Verteidigern sicherer fühlen, gab Jemez zu. "Aber so gesehen würden sie sich noch sicherer mit sieben fühlen", reagierte er ironisch darauf. Und stellte letztlich doch auf eine Viererkette um, mit der Dreierkette hagelte es zu viele Gegentore. Trotzdem lautet sein Credo: "Wenn du dabei bist, mit zwei Toren zu verlieren, welchen Unterschied macht es wenn du mit vieren verlierst?"

Mutig und attraktiv

Der Mut, mit dem er sein Team auftreten lässt, summiert sich auch in den Statistiken: Nur Real Madrid schießt öfter als Rayo aufs Tor. Nur zwei Mannschaften spielen sich mehr Torchancen heraus - Real und Barca. Allerdings kassieren auch nur zwei Mannschaften mehr Gegentore: die auf dem letzten und vorletzten Platz rangierenden Teams Deportivo La Coruna und Real Mallorca.

Rayos Darbietungen haben in Spanien längst aufhorchen lassen, die größeren Vereine werden naturgemäß auf die Spieler aufmerksam. Und die wirtschaftliche Situation zwingt Rayo zum Verkaufen.

Verkäufe sind unumgänglich

Ihr größtes Talent, der 20-Jährige Leo Baptistao, kam mit 15 Jahren aus einem brasilianischen Futsal-Team in Rayos Jugendakademie. Vor der Saison wurde er von Jemez in die erste Mannschaft befördert. Und überzeugt direkt mit zwölf Torbeteiligungen als Topscorer. Im Sommer schließt sich Baptistao laut "AS" Atletico Madrid an. Seine Ausstiegsklausel beträgt acht Millionen Euro. Geld, das Vallecano dringend benötigt.

Rayos anderer Schlüsselspieler, der defensive Mittelfeldspieler Javi Fuego, wechselt nach der Saison ablösefrei zum FC Valencia. Torjäger Piti, quasi der Eins-zu-eins Ersatz des abgewanderten Michu im offensiven Mittelfeld, hat bereits zehn Saisontore auf dem Konto. Trifft er weiter wie bisher, ist es unwahrscheinlich, dass er auch nächstes Jahr das Trikot mit der roten Schärpe trägt.

"Wir können Geschichte schreiben", sagte Jemez nach dem Auswärtssieg bei Athletic Bilbao, "ich bin sehr zufrieden." Das sind auch Rayos Fans derzeit. Mit dem Auftreten und dem Tabellenplatz ihres Teams. Nicht aber mit den Anstoßzeiten. Ende Februar muss Rayo gegen Valladolid ran. Der Spielplan ist noch nicht fix. Es droht ein Montagabendspiel.

Rayo Vallecano im Steckbrief