Talentfischer mit eisernen Prinzipien

Von Florian Bogner
Aktuell ist Athletic Bilbao Spaniens Meister FC Barcelona auf den Fersen
© Imago

Athletic Bilbao ist so gut wie selten zuvor in die neue Saison gestartet - und dass, obwohl man immer noch mit einem Team voller Basken spielt. In diesem Jahr scheint es erstmals seit langer Zeit mal wieder nicht ausschließlich gegen den Abstieg zu gehen - auch dank eines 16-Jährigen, der an den jungen Messi erinnert.

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Athletic Bilbao ist stolze einhundertundelf Jahre alt, sein neues Idol gerade mal 16. Iker Muniain heißt der Junge, der im Baskenland schon nach sieben Pflichtspielen als Ikone gefeiert und vorsichtig mit einem gewissen Lionel Messi verglichen wird.

Er ist die neuste Errungenschaft eines Teams, das sich auch nach 82 Jahren in der Primera Division hartnäckig weigert, Spieler von außerhalb des Baskenlandes zu verpflichten - und dem Establishment damit weiter die lange Nase zeigt.

Jüngster Torschütze aller Zeiten

Muniains Start im Profigeschäft hätte wahrlich nicht besser laufen können. Mit 16 Jahren und 223 Tagen wurde er am 30. Juli im Hinspiel der Europa-League-Quali gegen die Young Boys Bern (0:1) erstmals eingewechselt, sechs Tage später schoss er Athletic mit seinem Tor zum 2:0 in Bern in die nächste Runde.

Muniain avancierte damit zum jüngsten Bilbao-Torschützen aller Zeiten und wurde anschließend mit Lob überhäuft. "Wenn seine Entwicklung so weiter geht, wird er ein Weltklassespieler", schwärmte Kapitän Joseba Etxeberria nach der jüngsten Muniain-Show beim 3:0 über Austria Wien. Trainer Joaquin Caparros ergänzte mit offensichtlichem Understatement: "Er ist ein besonderer Spieler."

Die spanische Presse war nach den ersten Auftritten des kleinen Wirbelwinds, der gerne über die Flügel kommt, schnell mit einem Messi-Vergleich bei der Hand. In der Tat erinnert der 16-Jährige in Ansätzen an den Argentinier, er ist beinahe ebenso schnell und hat eine ähnliche Dynamik. Und: Er ist genau so kompakt. "Ich bin nur 1,67 Meter groß. Da kann ich mich im Strafraum gut hinter den anderen Spielern verstecken", meinte er rotzfrech über seine geringe Körpergröße.

"Ein Titel soviel wert wie zehn mit Real"

Nach dem Jungen aus der Athletic-Talentschmiede "Lezama" haben angeblich schon Liverpool, Real und Barca die Fühler ausgestreckt. Um ihn nicht bald schon an die Reichen und Schönen des Fußballs zu verlieren, hat Muniain dem Vernehmen nach eine Ablösesumme im Vertrag stehen, die sich nach jedem Einsatz erhöht. Und derzeit spielt er oft.

"Ich hoffe natürlich, dass er noch viele Jahre bleibt", sagt Kapitän Etxeberria, "aber bei seiner Klasse wird es extrem schwer, ihn zu halten." Dass man nur ein Ausbildungsverein ist, dem irgendwann die Spieler abhauen, kennt man bereits in Bilbao. Rafael Alkorta, Asier del Horno, Aitor Karanka und nicht zuletzt Andoni Zubizarreta lernten alle im Baskenland das Kicken und zogen später aus in die weite Fußballwelt zu Real, Barca oder Chelsea.

Das trifft freilich nicht auf alle Spieler zu. Manchmal ist der baskische Nationalstolz größer als das eigene Ego. Bei Julen Guerrero war das zum Beispiel der Fall. Der sagte einst: "Ein einziger Titel mit Athletic ist genauso viel wert wie zehn Titel mit Real Madrid" - und blieb den Löwen bis an sein Karriereende treu.

An der Donau ist Schluss

Spieler werden in Bilbao nicht gekauft, sie werden gemacht. Nirgendwo sonst gilt dieses Prinzip so wie in Bilbao. Würde der FC Bayern dieselbe Transferpolitik wie Athletic betreiben, wäre an der Donau Zapfenstreich für die Bayern-Scouts.

Für Athletic dürfen auch anno 2009 nur Basken auflaufen - das Einzugsgebiet für das Erstligateam ist also auf die Provinzen Guipuzcoa, Vizcaya und Alava, sowie Navarra und den südfranzösischen Teil Iparralde begrenzt. Das wäre in etwa so, als würde der FCB nur Spieler aus Oberbayern, Niederbayern und allenfalls noch Tirol verpflichten.

Diese Transferpolitik leisten sich auf der Welt überhaupt nur drei Profi-Vereine: Chivas Guadalajara in Mexiko, Saprissa in Costa Rica und eben Bilbao. Dabei ist es gar nicht so einfach festzulegen, wer nun Baske ist und wer nicht. Etwa 4 Millionen Menschen wohnen in den baskischen Provinzen, allerdings sprechen nur rund 30 Prozent die Sprache.

"Baske ist, wer Baskisch spricht"

Deswegen verzichtet die Vereinsführung auch öfter mal auf die genaue Einhaltung des Sprichworts "Baske ist, wer Baskisch spricht" und lässt auch Spieler zu, die woanders geboren wurden, allerdings bereits als Steppke bei einem baskischen Verein gespielt haben. Die neue Sturmhoffnung Fernando Llorente ist so ein Fall. Einer der wenigen Ausländer in der Geschichte des Vereins, Bixente Lizarazu, stammte hingegen aus den baskisch bevölkerten Gebieten des Nachbarlandes Frankreich.

Für die Einhaltung dieser anachronistischen Philosophie muss Bilbao dennoch gutes Geld ausgeben. "Die Spieler bleiben, weil sie viel Geld verdienen", so Spanien-Experte Ricardo Moar zu SPOX. "Weil sie wenig Auswahl haben, müssen sie ihre Spieler halten. Bei Bilbao können auch mittelmäßige Spieler gutes Geld verdienen."

Die anderen baskischen Vereine CA Osasuna und Real Sociedad San Sebastian, die auch auf ausländische Spieler setzen, machen damit Geschäfte. So wechselte vor vier Jahren Javi Martinez als 17 Jahre alter Liga-Neuling für stolze 6 Millionen Euro von Osasuna nach Bilbao, allein weil Athletic ihn unbedingt haben wollte.

Ja zu Trikotsponsor und neuem Stadion

Um solche Beträge bezahlen zu können, fiel 2008 auch der Grundsatz, auf einen Trikotsponsor zu verzichten. Wo früher allenfalls "Euskadi" (= das baskische Wort für Baskenland) stand, prangt nun der Name eines Mineralölkonzerns. Zudem ist beschlossene Sache, bis 2015 aus dem altehrwürdigen San Mames, das von den Fans ehrfürchtig "die Kathedrale" genannt wird, zu Gunsten eines neuen Stadions auszuziehen.

Die auf Tradition erpichten Fans werden diesen Affront gegenüber dem San Mames wohl erst verarbeitet haben, wenn Bilbao mal wieder eine Meisterschaft am Ufer des Nervion feiert. 1984 war das zuletzt der Fall, damals holte Javier Clemente das Double. Seitdem musste sich Athletic des Öfteren im Abstiegskampf herumschlagen. Die diesjährige Europacup-Teilnahme erreichte man durch eine Niederlage im Pokalfinale gegen den FC Barcelona.

In dieser Saison scheint es allerdings besser zu laufen. Der achtfache Meister rangiert nach fünf Spieltagen mit neun Punkten auf Platz sechs. Nach drei Spieltagen stand Bilbao sogar auf Rang drei. "Real, Barca, Athletic - fast so wie früher", titelte die "Marca". Mit einem Sieg am vierten Spieltag gegen CD Teneriffa hätte Athletic sogar Vereinsgeschichte schreiben können - so einen guten Saisonstart gab es seit Ligagründung 1927 noch nie. Aber das Spiel ging 0:1 verloren, ebenso wie die Partie gegen Sevilla (0:4).

Llorentes Torversprechen

Neben Muniain sind vor allem Llorente und Martinez die Stützen des derzeitigen Erfolgs. Fernando Llorente gelang in der letzten Saison mit 18 Toren über alle Wettbewerbe der endgültige Durchbruch, seine Wucht vor dem Tor haben nur wenige Spanier. Für die Nationalmannschaft war er auch schon erfolgreich, erlebte den Confed-Cup zuletzt allerdings meist nur von der Bank aus (2 Spiele, 1 Tor).

Bei Bilbao hat er einen grandiosen Start in die Saison hingelegt, sechs Tore in bislang neun Pflichtspielen sprechen eine deutliche Sprache. Gegen Wien und Villarreal (3:2) traf er in den letzten beiden Spielen doppelt. Sein Vorsatz für diese Spielzeit: "Ich bin überzeugt, dass ich dieses Jahr mehr Tore schießen werde als jemals zuvor."

Die Primera Divsion im Überblick

U-21-Nationalspieler Javi Martinez ist hingegen ein echter Kampfklotz im Mittelfeld und hat mit seinen 21 Jahren schon über 100 Ligaspiele auf dem Buckel. Experte Moar ist sich sicher: "Das wird mal ein super Spieler. Er ist ein Kämpfer mit guter Technik und würde eigentlich gut nach Deutschland passen. Dazu hat er eine gute Übersicht und ein super Kopfballspiel."

Saisonziel bleibt der Nicht-Abstieg

Martinez ist damit prädestiniert für Athletic, das das wohl physischste aller spanischen Teams ist und gerne den Direktpass nach vorne gegenüber dem Kurzpassspiel bevorzugt. Manchen Kritikern ist Bilbaos Spielweise zu Englisch. In der Basken-Metropole nimmt man das als Kompliment - schließlich wurde der Klub 1898 von englischen Seeleuten gegründet.

"Von der Mentalität her sind Basken zu vergleichen mit Deutschen oder Engländern. Disziplin, Kampfkraft, kein Spiel verloren geben - das sind die Eigenschaften eines Basken", erklärt Moar, der Trainer Caparros noch aus dessen Amtszeit bei Deportivo La Coruna (2005-2007) kennt. Caparros ist ein Fußball-Fachmann, ein penibler Arbeiter, der immer etwas verbessern will.

Trotz des "Traumstarts" (Llorente) in die Saison sieht der 53-Jährige noch Verbesserungsbedarf. "Wir müssen noch mehr Ballbesitz haben, obwohl wir bislang gut verteidigen. Ich will einen offensiven Fußball spielen lassen, man braucht sich nur die Aufstellung ansehen."

Dass man in der Liga indes weiter mit den ganz Großen Schritt halten kann wie zum Start, daran glauben wohl nicht mal die optimistischsten Bilbao-Fans. "Ich denke, dass sie am Ende im Mittelfeld landen werden", sagt Moar. Und Mittelfeld-Spieler Carlos Gurpegi: "Für uns zählen nur die 42 Punkte gegen den Abstieg - obwohl wir sie natürlich lieber schon im Dezember als erst im April hätten." Mit einem Knaben wie Muniain im Team sei ein bisschen Träumen allerdings erlaubt.

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