Der Zögling wird zum Mythos

Von Andreas Lehner
Josep Guardiola gewann in seinem ersten Jahr als Trainer Barcas das Triple
© Getty

Seine Freunde bezeichnen ihn als intelligent und besessen. Als Spieler war er ein Symbol Barcas. Als Trainer machte er sich unsterblich. Josep Guardiola repräsentiert die Philosophie eines ganzen Klubs. Der 38-Jährige im SPOX-Porträt.

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Der Präsident war etwas irritiert, als er die Trophäe an den jungen Mann im Barca-Trikot übergab. Immerhin erhielt der 15-Jährige die Auszeichnung für den besten Spieler des Turniers aus den Händen des großen Vereinspräsidenten - aber er weinte hemmungslos.

Bei dem heranwachsenden Barca-Spieler handelte es sich um Josep Guardiola. Er weinte, weil er im Spiel zuvor einen Elfmeter verschossen hatte, sein Team hatte trotzdem gewonnen. Guardiola ärgerte sich mehr über seinen Fehler, als sich über die Auszeichnung und die Anerkennung zu freuen.

Intelligent, leidenschaftlich, besessen

Schon immer hatte Guardiola die höchsten Ansprüche an sich, schon immer wurde er vom Streben nach Perfektion angetrieben.

Leute aus seinem Umfeld beschreiben ihn als intelligenten, leidenschaftlichen und besessenen Menschen. "Er verlangt sich alles ab und gönnt sich keine Verschnaufpausen. Er ist ein Kranker des Fußballs", erzählt Xavi, der Schlüsselspieler in Guardiolas Barca.

Alle wollen sie heute mit der Rückennummer vier spielen, seiner Nummer. Er kreierte ein Spielweise, die Barcas Ideologie verkörperte. Und die Quelle von neuen Vierern scheint in diesem Klub nicht zu versiegen: Xavi, Iniesta, Busquets, Fabregas. "Guardiola hat mit mich immer fasziniert. Er war geistig der allerschnellste", sagt Xavi.

Barca, wie es sein muss

Seine Eigenschaften überträgt der erst 38-Jährige auch auf seine Mannschaft. Mit technisch herausragendem und zum Teil atemberaubendem Fußball fegten die Katalanen wie eine Dampfwalze über Spanien und Europa hinweg, so dass Guardiola schon in seiner ersten Saison das historische Triple gewann.

Der FC Barcelona spielte unter Guardiola so, wie der FC Barcelona spielen muss, wie es die stolzen Katalanen sehen wollen und wie es in der Vereinsphilosophie verankert ist: offensiv, technisch perfekt und fast immer in Ballbesitz.

Ein Zögling Cruyffs

Guardiola hat dieses Spiel mit seiner typischen Besessenheit in La Masia, Barcas Jugendakademie, aufgesogen und damit auch die Grundsätze der Barca-Koryphäe Johan Cruyff.

"Es waren einfache Dinge", hat Guardiola einmal über Cruyffs Ansätze erzählt, "tausend fußballerische Details, durch die man Dinge im Spiel vorher wahrnimmt. Wo sich warum die Räume öffnen, wohin man selbst schauen muss, wenn alle Welt nur auf den Ball stiert."

Es ist diese intelligente Spielweise, die den Auftritten von Xavi, Messi oder Andres Iniesta die Leichtigkeit und den Zauber verleihen. Für Guardiola sind die Leitlinien La Masias gleichzeitig die Grundlagen seiner Barca-Mannschaft. Im CL-Finale standen sieben Spieler aus der eigenen Jugend auf dem Platz.

Symbol und Mythos

Am 4. September 1984 wurde der kleine Josep Guardiola in La Masia aufgenommen und vom ersten Moment an war er begeistert.

Als er zusammen mit seinen Eltern und seinem kleinen Bruder Pere den Schlafraum der Jugendlichen betrat, funkelten seine Augen und er sagte zu seiner Mutter: "Oh, Mama, jeden Tag, wenn ich das Fenster aufmache, werde ich das Camp Nou sehen." Für Guardiola begann in diesem Moment die Verwirklichung eines Traums.

Für Barcelona war es ein Moment mit großer Tragweite. Als Spieler verwandelte er sich zu einem Symbol, als Trainer zu einem Mythos, schrieb "El Pais".

Immer einen Schritt voraus

Nur ein Jahr brauchte Guardiola, um sich endgültig zur Legende im Verein zu machen und alle Bedenken zu zerstreuen, ihm fehle es an Erfahrung. Nachdem Barca unter Frank Rijkaard den Glanz früherer Zeiten verloren hatte, war es ohne Frage ein Risiko, Guardiola zum Chef-Trainer zu machen.

Er hatte zuvor nur für ein Jahr die B-Mannschaft trainiert, mit der immerhin Meister der Tercera Division wurde. "Er ist immer einen Schritt voraus. Er ist ein Typ, der von allem, was er macht, überzeugt ist", meinte sein ehemaliger Mannschaftskollege Guillermo Amor damals. "Er hat die Charakterstärke, um die Herausforderung zu bestehen und ist auch geistig darauf vorbereitet."

Vilanova: Der Zwillingsbruder

An seiner Seite - aber im Hintergrund - arbeitet dabei Francesc "Tito" Vilanova, der Co-Trainer und die rechte Hand Guardiolas. Oder wie es Thierry Henry ausdrückt: "Der Zwillingsbruder des Mister." Beide sind sich in ihrem Denken sehr ähnlich, geprägt von der Philosophie Barcas. Auch Vilanova kam 1984 in La Masia und lernte nach zwei Wochen Guardiola kennen. Obwohl er zwei Jahre älter ist, verstanden sie sich sofort.

Vilanova gehörte zu einer legendären Jugendmannschaft, die zweimal in Folge die spanische Meisterschaft holte, den Durchbruch bei den Profis schaffte er nicht. Schuld war Guardiola. Beide spielten auf der gleichen Position, so dass der damalige Trainer Johan Cruyff in einem Testspiel beiden die Chance gab, eine Halbzeit zu spielen. Es blieb Vilanovas einziger Einsatz für Barcas A-Team.

Kein typischer Co-Trainer

Er spielte für Figueres, Celta, Badajoz, Mallorca, Lleida, Elche und Gramanet. Seine Mitspieler schwärmen noch heute von seiner Spielintelligenz und seinen Pässen. "Er kann das Spiel sehr gut lesen. Er weiß, was passiert, bevor es stattgefunden hat", sagt Ex-Real-Coach Juande Ramos, der ihn aus seiner Zeit bei Lleida kennt.

Das schätzen auch Spieler wie Xavi und Andres Iniesta an ihm. Er ist kein typischer Co-Trainer, er bringt sich sehr viel ein, spricht viel mit den Spielern. "Er ist wie ein Buch. Er weiß alles und erklärt sehr viel, aber er macht es nie kompliziert", sagt Iniesta.

Weiterentwicklung von Cruyffs Konzept

Seine Trainerkarriere startete er im Nachwuchs bei Barca. Mit der Mannschaft um Messi, Fabregas und Pique. Dann arbeitete er in Palafrugell, Figueres und Terrassa. Bis Guardiola einen Assistenten suchte.

"Tito lässt dich nicht hängen. Wenn du ihn brauchst, ist er immer da. So stelle ich mir das vor, als Pep ihn gebeten hat, das Angebot anzunehmen", sagt ein gemeinsamer Freund als Erklärung, warum Vilanova einen Vertrag in Terrassa ausschlug, der ihm das doppelte eingebracht hätte, als bei Barcas zweiter Mannschaft.

Für Guardiola war er extrem wichtig. Er kannte die Tercera bestens und sagte seinem Chef immer direkt, was er denkt und was er anders machen würde. Das neue Barca entsprang auch seinen Vorstellungen.

Guardiola und Vilanova entwickelten das Konzept von Cruyffs Barca weiter. Die Grundlagen: 4-3-3, Angriff und Passspiel. Die Verteidiger greifen an und die Stürmer verteidigen. Die Mannschaft muss als Ganzes funktionieren. Wer auf eigene Rechnung spielt, wird abgeschoben, wie das Beispiel Samuel Eto'o zeigt.

Verdammt, ich bin ja der Trainer!

Aber Guardiola ist nicht nur ein "Weiser des Fußballs", wie es der frühere Profi Josep Maria Fuste, der in den Achtzigern für die Jugendabteilung Barcelonas verantwortlich war, ausdrückt, sondern ist auch Teil der intellektuellen Szene Barcelonas. Der Autor und Filmemacher David Trueba gehört zu seinen besten Freunden und gibt ihm immer wieder Ratschläge in Sachen Büchern und Filmen.

"Er kommt aus einer bescheidenen Familie, aber sie sind wunderbare Menschen und sehr pflichtbewusst. Nichts hat ihn so sehr geprägt wie seine Familie", sagt Trueba.

Deshalb amüsierte es ihn auch, als Guardiola nach Iniestas Siegtreffer beim FC Chelsea im Champions-League-Halbfinale die Auslinie entlang sprintete und völlig losgelöst jubelte. "Für 15 Sekunden hat er vergessen, dass er nicht mehr der Balljunge ist, bis ihm klar wurde: Verdammt, ich bin ja der Trainer! Pep ist im Geist noch immer der kleine Junge, der in seinem Dorf mit den anderen Fußball spielt."

Deshalb ist für ihn auch klar, wenn Guardiolas Zeit bei Barca einmal endet, wird er nicht zu einem anderen Verein oder ins Ausland wechseln. "Ich sehe ihn mit Kindern trainieren."