Das saubere Gesicht des Calcio

Von Christian Bernhard
Paolo Maldini auf der Ehrenrunde nach seinem letzten Spiel im Giuseppe-Meazza-Stadion am 24. Mai
© Getty

Milan-Kapitän Paolo Maldini bestreitet am Sonntag in Florenz sein 902. und letztes Pflichtspiel für die Mailänder. Mit der italienischen Verteidigerlegende verabschiedet sich einer der größten Fußballer der letzten Jahrzehnte in den Ruhestand.

Cookie-Einstellungen

Es beginnt an einem Januar-Tag im fernen Jahr 1985.

Milan spielt in Udine, in der Halbzeitpause wendet sich AC-Coach Nils Liedholm an einen 16-jährigen, schlaksigen Burschen: "Du kommst jetzt rein. Wo möchtest du spielen, links oder rechts?" "Wo Sie möchten", antwortet der Junge. "Dann verteidige rechts hinten".

Der 16-Jährige hieß Paolo Maldini und feierte damals sein Serie-A-Debüt. 24 Jahre und 901 Pflichtspiele im Milan-Trikot später bestreitet der heute 40-Jährige am Sonntag in Florenz sein letztes Profispiel.

Guardiola verneigt sich

Mit Maldini verabschiedet sich einer der größten Fußballer der letzten Jahrzehnte von der Bühne. Der frischgebackene Champions-League-Sieger Pep Guardiola widmete ihm Barcelonas Erfolg in Rom am vergangenen Mittwoch: "Dieser Sieg ist auch für Paolo, den bedeutendsten Spieler der letzten 25 Jahre im Weltfußball."

Diego Maradona ("der beste Spieler, gegen den ich je gespielt habe"), Michel Platini, das holländische Milan-Dreieck Gullit-van-Basten-Rijkaard, Trainerlegende Arrigo Sacchi , sowie George Weah oder Kaka: Maldini war immer dabei, hat sie alle erlebt.

Das saubere Gesicht des Calcio

Ein paar Zahlen gefällig? Maldini ist mit 647 Serie-A-Spielen alleiniger Rekordhalter und lief insgesamt 126 Mal für die Azzurri auf. Er gewann fünf Landesmeister- bzw. Champions-League-Titel, sieben Scudetti und drei Klub-WM-Titel. Einzig ein Titel mit der Squadra Azzurra blieb dem Defensiv-Allrounder verwehrt.

Maldini ist aber weit mehr, als all diese beeindruckenden Zahlen - er ist das saubere Gesicht des italienischen Calcio, er steht für Fairness, Respekt und Moral.

Mit ihm geht ein Signore des Fußballs, eine der letzten italienischen Klublegenden neben Francesco Totti und Alessandro Del Piero. Nicht umsonst ist Maldini auch Unesco-Botschafter.

Selbst der "Feind" huldigt Maldini

In einem Land, in dem gegnerische Spieler nur selten von rivalisierenden Fans geschätzt werden, wurde Maldini vom Brenner bis Sizilien gehuldigt.

Sogar die Inter-Kurve zollte ihm Anfang des Jahres in seinem 56. und damit letzten Mailänder Derby seiner Karriere mit einem riesigen Spruchband Respekt. "Das war einer der schönsten Momente meiner Karriere, eine unglaubliche Geste", so Maldini kürzlich im "Giornale".

Der lange Schatten des Vaters

Dabei hatte es Maldini alles andere als leicht. Als Sohn von Cesare Maldini, der Kapitän und Trainer der Rossoneri war, wurde Paolo oft der Vorwurf gemacht, er hätte es wegen seines Vaters so leicht gehabt. "Mir wurde nichts geschenkt, ich musste aufgrund des berühmten Namens immer etwas beweisen", erzählte Maldini der "La Stampa".

Bewiesen hat er in all seinen Jahren mehr als genug. Zum Beispiel, das man seine ganze Karriere bei einem Verein verbringen kann: "Mir hat nie etwas gefehlt, ich habe bei Milan mein Glück, Erfolge und vieles andere gefunden. Etwas Besseres kann einem Spieler nicht passieren. Wäre ich gegangen, hätte ich mich vielleicht verloren."

Stress mit den Milan-Ultras

Was die Wenigsten wissen: Im Zimmer des kleinen Paolo hingen Juve-Poster und zu Beginn seiner Karriere wäre er beinahe auch in Turin gelandet.

"1986 sprach der damalige Juve-Sportdirektor Francesco Morini mit meinem Vater über einen möglichen Wechsel nach Turin", berichtet der Nachfolger von Milan-Kapitän Franco Baresi heute.

Jenen Baresi feierten einige Milan-Ultras bei Maldinis letztem Heimspiel in San Siro als "einzig wahren Milan-Kapitän" und verunglimpften den Maldini-Day mit einem großen Spruchband: "Du hast denen keinen Respekt entgegengebracht, die dich reich gemacht haben".

Maldini hatte sich in den letzten Jahren zweimal über mangelnde Unterstützung der Tifosi beschwert, das nehmen ihm die Ultras immer noch übel. Maldinis Kommentar nach seiner Ehrenrunde: "Ich bin froh, dass ich keiner von ihnen bin."

"Maldini ist der Fußball"

Die Ultras waren mit dieser Sicht der Dinge aber allein auf weiter Flur, von allen anderen Seiten gab es Lob für den zweifachen Familienvater. "Es gibt große Spieler und Champions. Paolo überragt beide Kategorien, er ist die wahre Nummer eins", ließ Del Piero verlauten.

Totti stand dem in nichts nach: "Paolo ist stets für die Fußballer aller Kategorien ein Anhaltspunkt und Vorbild gewesen. Der ganze italienische Fußball kann ihm nicht genug danken."

Palermos feuriger Präsident Maurizio Zamparini sprach das aus, was viele in Italien dachten: "Maldini ist der Fußball. Leider gibt es überall Idioten."

Die nächste Generation steht bereit

Gerüchten zufolge plant die "Curva Fiesole", der historische Kern der Fiorentina-Fans, etwas Besonderes für Maldini in seinem 902. und letzten Karrierespiel für den AC Milan am Sonntag in Florenz.

Danach wird Maldinis Nummer drei von den Rossoneri eingezogen und nicht mehr vergeben - außer einer seiner Söhne sollte es eines Tages in den Milan-Profikader schaffen.

Der zwölfjährige Christian verteidigt bereits in der Milan-Jugend auf der rechten Abwehrseite. "Eine Sache, die ich überhaupt nicht sehen will, ist, wenn Christian fällt und am Boden liegen bleibt: Steh sofort auf, rufe ich ihm zu", erzählt Maldini.

Daniel, sieben Jahre alt, deutete sein Talent bereits in San Siro mit einem sauberen Tackling gegen keinen Geringeren als Clarence Seedorf an. Der junge Maldini gegen den alten Seedorf im Video

Der perfekte Lehrer

Papa Paolo hat jetzt erstmal jede Menge Zeit für seine Söhne - und weiß auch, was er in Zukunft nicht machen wird:

"Trainer werde ich sicher nicht. Ich möchte aber gern in der Fußball-Welt bleiben, vielleicht mit Kindern arbeiten. Ihnen beibringen, dass es nicht nur ums Ergebnis geht. Dass man mit erhobenem Haupt verlieren kann und dass man hart spielen kann, ohne unfair zu sein. Das würde mir gefallen."

Die italienischen Nachwuchsspieler könnten keinen besseren Lehrer bekommen.

So steht's in der Serie A vor dem letzten Spieltag