Zwei Favoriten für Ancelotti-Nachfolge

Von Oliver Wittenburg
Carlo Ancelotti nach dem 1:2 in Manchester. Im Hintergrund jubelt Alex Ferguson
© Getty

Nach der Niederlage im "Endspiel" gegen Manchester United scheint die Entlassung von Carlo Ancelotti beim FC Chelsea beschlossene Sache zu sein. Guus Hiddink und Porto-Coach Andre Villas Boas sind offenbar die Favoriten auf seine Nachfolge.

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Das moderne Fußball-Geschäft, die "industry", wie er sagt, schockt Alex Ferguson immer wieder aufs Neue. Dagegen härtet offenbar auch ein Vierteljahrhundert bei Manchester United nicht ab.

Mit dem 2:1 über Titelverteidiger FC Chelsea hat Ferguson einen weiteren Meilenstein mit United so gut wie erreicht. Der Klub wird seine 19. englische Meisterschaft gewinnen und den FC Liverpool als Rekordchampion ablösen. Und gleichzeitig hat er am Sonntagabend die vielbesungenen Mechanismen der Branche in Gang gesetzt.

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Chelsea hat auch sein letztes Saisonziel, seine letzte Titelchance, verfehlt. Es gilt als sicher, dass Trainer Carlo Ancelotti in spätestens 14 Tagen von seiner Entlassung unterrichtet wird. Vertrag bis 2012 hin oder her.

Siebter Trainer seit 2003 gesucht

Während Ferguson dann im November sein 25-jähriges Dienstjubiläum bei United begeht, wird an der Stamford Bridge in London längst ein anderer Trainer die Arbeit aufgenommen haben, der siebte wäre es seit der Übernahme des Klubs durch Roman Abramowitsch im Jahr 2003.

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Laut übereinstimmenden englischen Medienberichten gibt es zwei Favoriten auf die Nachfolge Ancelotti: Guus Hiddink, aktuell Nationaltrainer der Türkei, und Andre Villas Boas, der gerade den FC Porto zu einer Rekordmeisterschaft und in die Endspiele um den portugiesischen Pokal und den Europa-League-Titel führte.

Guus Hiddink: Der Niederländer genießt einen hervorragenden Ruf beim FC Chelsea. Als er im Februar 2009 als Interimstrainer für den gefeuerten Luiz Felipe Scolari an der Stamford Bridge übernahm, führte er die Blues souverän auf den dritten Platz in der Liga, zum Sieg im FA Cup und ins Halbfinale der Champions League, das äußerst unglücklich und erst in letzter Sekunde gegen den FC Barcelona verloren ging.

Abramowitsch hätte Hiddink liebend gerne langfristig in London behalten, doch ließ dieser nicht an seiner Entscheidung rütteln, seinen Vertrag als russischer Nationaltrainer (bis 2010) zu erfüllen. Auch jetzt ist Hiddink wieder in einer festen Beziehung: Mindestens bis Sommer 2012 steht er beim türkischen Fußball-Verband unter Vertrag. Chelsea sei zwar verhalten optimistisch, heißt es, dass Hiddink aus seinem Kontrakt schon im Sommer aussteigen könnte, falls es für die Türken in der EM-Qualifikation weiter schlecht laufen sollte; doch gibt es dafür keine Sicherheiten.

Zumal aus Verbandssicht die Zukunft Hiddinks nicht am Abschneiden der EM-Quali gekoppelt ist. Die Türken sehen den Niederländer vielmehr als eine Art Entwicklungshelfer, der den Umbruch im türkischen Fußball einleiten soll. So tourt Hiddink durch Europa um junge Türken für die Nationalmannschaft zu rekrutieren.

Überhaupt ist es fraglich, ob sich der inzwischen 64-Jährige, der sieben Klubs in vier Ländern und vor der Türkei schon vier andere Nationalmannschaften trainierte, einen Full-Time-Job als Klubtrainer noch einmal antun will.

Doch auch für diesen Fall sollen Abramowitsch einen Plan in der Tasche haben. Hiddink könnte auch den Posten des Sportdirektors übernehmen, den der Bald-Hamburger Frank Arnesen zum Saisonende räumt, aus dem Hintergrund die Strippen ziehen und gleichzeitig als eine Art Mentor für einen jungen Trainer dienen.

Andre Villas Boas: Ganze 33 Jahre ist er erst alt und verfügt dennoch über eine Bewerbungsmappe, um die man ihn in ganz Europa beneiden dürfte. Anfang April machte er mit dem FC Porto - fünf Spieltag vor Saisonende - den Meistertitel perfekt. Im Finale der Europa League gegen Liga-Konkurrent Sporting Braga und im portugiesischen Pokalendspiel gegen Vitoria Guimaraes gilt Boas Team als haushoher Favorit.

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Porto ist seine zweite Station als Cheftrainer, nachdem er sich erste Meriten in der Saison zuvor bei Academica Coimbra verdient hatte. Davor war er über fünf Jahre festes Mitglied im Stab von Jose Mourinho, dem er in Porto, bei Inter Mailand und eben auch beim FC Chelsea in erster Linie als Beobachter der gegnerischen Mannschaften zuarbeitete.

Also ist Boas wie Hiddink kein Unbekannter bei den Blues und wie im Falle des Niederländers ist Abramowitsch von Boas vollauf überzeugt. Das beruht offenbar auf Gegenseitigkeit: "Die Leute im Klub sind fantastisch: die Spieler, die Angestellten und der Besitzer. Mit Jose hatten wir den maximalen Erfolg. Chelsea hat nach 50 Jahren wieder die Meisterschaft gewonnen und sich einen Namen in der Fußball-Welt gemacht", sagte er kürzlich. Und: Er könne sich ein Leben in London "perfekt" vorstellen.

Andere Kandidaten: Englische Medien bringen auch Marco van Basten - als Trainer unter dem Supervisor Hiddink - oder Didier Deschamps ins Spiel. Der "Daily Mirror" berichtet davon, dass Chelsea-Legende Gianfranco Zola zurückkehren könnte, jedoch nicht als Chef-, sondern als Assistenztrainer. Mark Hughes und Harry Redknapp tauchen ebenso in der Berichterstattung auf. Laut dem "Guardian" interessiere sich auch der frühere Liverpool- und Inter-Trainer Rafa Benitez für den Posten, spiele aber in Chelseas Überlegungen keine Rolle. Übereinstimmenden Medienberichten zufolge sei auch Frank Rijkaard keine Option.

Den Umbruch verpasst

Ancelotti wird (wohl) die simple Tatsache zum Verhängnis, dass er in seiner zweiten Saison beim FC Chelsea keinen Titel holte. Die Gründe dafür sind nur zum Teil beim Trainer zu suchen.

Ein scheußlicher Durchhänger im November und Dezember illustrierte deutlich, dass der Umbruch im Kader der Blues zu lange verschleppt wurde. Und die Verpflichtungen von Fernando Torres und David Luiz im Winter für über 80 Millionen Euro änderten nichts an der Überlegenheit von Manchester United.

"Mein Vertrag läuft noch ein weiteres Jahr und ich würde gerne bleiben", sagte Ancelotti nach dem 1:2 in Manchester, "aber das muss der Klub entscheiden."

Und die Entscheidung scheint gefallen. Überrascht oder sogar schockiert muss man davon nicht sein, wie Alex Ferguson vorgibt. So läuft eben das Geschäft.

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