Ciriaco Sforza im Legenden-Interview: "Wenn ich weinen musste, musste ich weinen"

Ciriaco Sforza spielte drei Jahre für die Bayern.
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Ciriaco Sforza holte mit dem 1. FC Kaiserslautern sensationell die deutsche Meisterschaft, mit dem FC Bayern gewann der Schweizer die Champions League und den Weltpokal. Heute ist der 49-Jährige Trainer beim Schweizer Zweitligisten FC Wil. Sforza hat schwierige Jahre hinter sich, gekennzeichnet von schweren psychischen Problemen. Im Interview mit SPOX und Goal spricht Sforza offen über dunkle Stunden und erzählt, wie er den Weg zurück ins Leben gefunden und eine zweite Karriere als Trainer gestartet hat.

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Außerdem erzählt Sforza von seinen erfolgreichen, aber nicht immer harmonischen Zeiten in München und beschreibt, warum er nicht wirklich in die Bayern-Familie passte.

Herr Sforza, wenn wir über Ihre große Karriere als Spieler sprechen wollen, müssen wir sehr früh beginnen.

Ciriaco Sforza: Das stimmt, mit 16 Jahren ging es schon los, da wurde ich Profi bei den Grasshoppers.

Was macht es mit einem 16-Jährigen, wenn er so früh ein völlig unnormales Leben führt?

Sforza: Damals ist für mich ein Traum in Erfüllung gegangen. Damals habe ich nicht gedacht, dass ich meine Jugend verpasse. Ich hatte die Chance, ganz früh mein Hobby zu meinem Beruf zu machen. Was gibt es Schöneres? Erst im Rückblick habe ich gemerkt, dass ich mit 16 Jahren in einen Tunnel reingefahren bin, in dem ich dann 18, 19 Jahre lang geblieben bin. Ich war knapp 20 Jahre im Tunnel Fußballgeschäft gefangen. Ich habe die wunderschönen Seiten des Geschäfts erleben dürfen. Ich habe als Spieler so gut wie alles erreicht, was man erreichen kann. Ich bin Meister geworden, Europapokalsieger, den Weltpokal habe ich gewonnen, ich durfte bei einer WM und EM teilnehmen. Viel mehr geht nicht. Ich habe Momente erlebt, die in so jungen Jahren nicht selbstverständlich sind. Dafür bin ich sehr dankbar. Genauso dankbar bin ich dafür, dass mir mein Körper vor einigen Jahren ein Zeichen gegeben hat.

Was für ein Zeichen?

Sforza: Es war wie ein innerer Kampf. Mein Körper zeigte mir, dass er eine Pause braucht. Dass er ausgelaugt ist. Mein Körper hat rebelliert. Der Akku war leer. Ich hatte Zeit, mir über mein Leben Gedanken zu machen. Ich bin sehr froh, sowohl die positiven als auch die negativen Erfahrungen gemacht zu haben. Dank ihnen kann ich sagen: Ich werde im nächsten Jahr 50 Jahre alt und bin ein ganz anderer Mensch geworden. Ich bin glücklich mit meinem Leben.

Wie wichtig war es für Sie, sich zu öffnen, als es Ihnen nicht so gut ging?

Sforza: Sehr wichtig. Ich hatte keine Hemmungen. Alles, was ich erlebte, ist menschlich. Außerdem hatte ich zwar wenige, aber dafür sehr gute Menschen um mich herum, die mich bestärkt haben. Die mir sagten, dass ich mich nicht verstecken muss. Wenn ich weinen musste, musste ich weinen. Dann hatte dies seinen Grund. Die Offenheit tat mir gut. Ich lüge mich nicht mehr an.

SPOX-Chefreporter Florian Regelmann traf Ciriaco Sforza in der Schweiz.
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SPOX-Chefreporter Florian Regelmann traf Ciriaco Sforza in der Schweiz.

Ciriaco Sforza: "Am schlimmsten war die Panik"

Was waren die schlimmsten Momente?

Sforza: Am schlimmsten war die Panik. Ich bin nachts um 2 Uhr im Bett gelegen, mit weiten Pupillen, klatschnass. Ich hatte Angst, alleine zu sein, weil ich Angst hatte, dass mir etwas passiert. Das war die erste Phase, in der mein Körper platt war und zugemacht hat. Die Energie ist nicht mehr geflossen. Am Anfang habe ich nicht gewusst, wie ich damit umgehen soll. Ich fragte mich: War es das jetzt? Ich musste lernen loszulassen. Du darfst keine Angst haben, Angst ist ein gefährliches Zeichen. Es war ein Prozess, den ich durchmachen musste. Meine Sicht aufs Leben hat sich komplett verändert.

Zumal ein Schicksalsschlag noch hinzugekommen ist.

Sforza: Mein Vater ist vor ein paar Jahren verstorben. Ich wusste, dass es nicht mehr lange geht und wollte sehr nahe bei meinem Vater sein, der mich in meiner Karriere so sehr unterstützt hatte. Es war wie ein innerliches Zeichen. Fußball hatte keine Priorität, deshalb bin ich zu diesem Zeitpunkt auch bei keinem Verein eingestiegen. Ich wäre im Kopf nicht frei gewesen, es hätte dem Verein und mir nichts gebracht. Als mein Papa dann eingeschlafen ist, habe ich mir die Zeit genommen, die ich brauchte. Ich bin froh, dass ich jetzt seit April in Wil bin und einen Ort und eine Aufgabe gefunden habe, bei der ich mich total wohlfühle. Hier kann ich meine ganze Energie, meine Erfahrungen und meine Ideen einbringen.

Haben Sie sich in der schwierigen Zeit Hilfe von außen geholt?

Sforza: Ja, ich hatte eine Person an meiner Seite, die mir geholfen hat. Aber ich habe keine Medikamente genommen. Es lief alles über Gespräche und gewisse Übungen, die ich für mich gemacht habe. Und die Natur hat mir geholfen. Ich war sehr viel draußen, habe mir die Zeit und den Raum gegeben, um Stück für Stück klarer zu sehen.

Ciriaco Sforza: "Der Mensch zählt nicht mehr so viel"

Glauben Sie, dass die psychologische Seite im Fußball immer noch zu kurz kommt?

Sforza: Ich würde es begrüßen, wenn jeder Verein mit einem Psychologen zusammenarbeiten würde. Die Spieler müssen mit viel Druck und Stress umgehen. Es ist nicht immer einfach, alles mit nach Hause zu schleppen. Es kann auch nicht die Aufgabe des Trainers sein, das wird zu viel. Wenn es in die Tiefe geht, braucht es Spezialisten, die dafür ausgebildet sind. Zumal Spieler gegenüber dem Trainer auch gewisse Hemmungen empfinden, sich zu öffnen. Ich bin generell der Meinung, dass heutzutage immer weniger eine offene und ehrliche Kommunikation stattfindet. Es geht um so viel Geld, es herrscht so viel Druck: Der Mensch zählt nicht mehr so viel. Lasst uns wieder offen kommunizieren. Wenn jeder bei sich beginnt, bei sich bleibt und ehrlich ist, werden sich viele Dinge von selbst reinigen. Aber ich weiß, dass es leichter gesagt als getan ist. Es ist am Ende eine Charakterfrage.

Ein Trainer, der immer sehr offen mit seinen Spielern kommuniziert hat und großen Einfluss auf Sie hatte, war Ottmar Hitzfeld. Dabei begann Ihr Verhältnis gar nicht mal unkompliziert. Erzählen Sie.

Sforza: Ottmar ist 1988 als sehr erfolgreicher Aarau-Trainer zu GC gekommen. In der Vorbereitung habe ich gemerkt, dass er mich nicht als Spieler fürs Zentrum sieht, sondern für die Außenbahn. Das hat mir nicht so gut gefallen. (lacht) Ich bin dann im Tausch für Thomas Wyss nach Aarau gewechselt. Eineinhalb Jahre später holte mich Ottmar zu GC zurück, für knapp eine Million Schweizer Franken. Damals war das viel Geld. 1991 sind wir dann gemeinsam Schweizer Meister geworden. Ottmar hat für mich vor allem zwei Eigenschaften verkörpert: Disziplin und Siegermentalität. Da habe ich viel von ihm gelernt und mitgenommen.

Die Meistermannschaft von GC war interessant besetzt. Alain Sutter war unter anderem dabei, oder auch ein gewisser Peter Közle.

Sforza: Peter war sogar mein Nachbar in Wohlen. Er war ein lustiger Vogel. Peter wollte immer Gaudi machen, aber im Sechzehner war er eiskalt und hat die Dinger reingemacht. (lacht)

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